Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Der „Pillenstreik“
Viele Anzeichen sprechen dafür, daß nach einem politisch temperierten Herbst Italien einem „heißen Winter“ entgegengeht, vergleichbar dem streiküberladenen „heißen Herbst“ von 1969, als der Wirtschaft 360 Millionen Arbeitsstunden verlorengingen. Kürzlich fand in 11 von 15 Regionen ein vierstündiger Generalstreik statt. Anschließend versuchten die drei großen sozial-kommunistischen, sozialdemokratischen und christlichdemokratischen Gewerkschaften diesen „Generalstreik in Pillenform“ — wie er von seinen Gegnern verächtlich genannt wird — noch in anderen Regionen durchzusetzen. Überdies trat das Führungspersonal des Staatsapparates in den Ausstand. Die Besetzung der Mittel- und Hochschulen ist dermaßen selbstverständlich geworden, daß sie schon keine Schlagzeilen mehr abgibt.
Es bedurfte des Todes des Studenten Saltarelli, damit sich die Massenmedien an vorderster Stelle mit dem Mailänder Kleinkrieg befaßten. Gleichzeitig sahen sich die Karabinier! an drei Stellen der lombardischen Metropole von Anarchisten, Neofaschisten und linksextremen Manifestanten herausgefordert. Von den 56 außer Gefecht Gesetzten waren 48 Uniformierte. Lediglich die Protestkundgebung gegen die verfolgten Basken verlief ohne Zwischenfälle.
„Establishment-Kommunisten“
In den Chor „Basta con la violenza!“ (genug der Gewalttätigkeit) stimmen mit zunehmender Eindringlichkeit auch die Vertreter der KPI, denen das Vorgehen der jungen Heißsporne nicht mehr geheuer ist. Der wirkliche Führer der Kommunistischen Partei Italiens, Bierlinguer — der kranke Longo ist nur noch der Schatten seiner selbst — bezeichnete die Demonstranten des „Movimento studentesco“ als Spezialtruppen der außerparlamentarischen Linken, die nach Vorwänden zur Durchsetzung antidemokratischer Pläne Ausschau hielten. Daß er sich immer mehr von den linksextremen Studentenorganisationen distanziert, deutet darauf hin, daß der Apparat der KPI selbst Angst hat vor den Geistern, die er in den letzten Jahren nach dem Slo gan der Politik „Je schlechter desto besser“ direkt oder über seine DGIL- Gewerkschaft beschworen hatte. Von einer gutorganisierten Gruppe, gar einer Partei, von links her überrollt und in den Schatten gestellt zu werden, ist vielleicht die größte Sorge der KPI.
Seit zwei Jahren befindet sich die KPI in einer wenig beneidenswerten
Lage, die bereits durch weitere gewichtige Verluste an eingeschriebenen Mitgliedern ihren Preis gefordert hat. Auf der einen Seite möchte sie gegenüber Anarchisten und Chinesen den „Autobus der Popularität“ nicht verpassen und sieht sich verleitet, in der Auseinandersetzung mit den Machtträgem von heute nicht minder rabiat zu sein als jene. Anderseits partizipiert sie, wo immer sie kann, mit den Parteien links von der Mitte auf kommunaler und regionaler Ebene, um die Glaubwürdigkeit einer konzilianten Politik durch Zusammenarbeit mit dem bisherigen Establishment unter Beweis zu stellen. Viele kommunistische Bonzen sind es müde, dauernd in der Opposition zu leben und möchten von all den Pfründen der Verwaltung Italiens auch außerhalb der traditionellen roten Zone Emiglias und der Romagna erheblich profitieren.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!