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Sechs rote Tage in Rom

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Der neunte Kongreß der mächtigen Kommunistischen Partei Italiens im weiträumigen Kongreßpalast der E. U. R., dem einstigen Gelände für die Weltausstellung in Rom, verblüffte die Öffentlichkeit in zweifacher Hinsicht: Einmal durch die eiserne, alle Redner in Form haltende Disziplin, deren lebhafte, im Inhalt aber monotone Erörterung den Parolen des Parteiführers gehorsam' folgte, und, zum andern, der versöhnliche Grundton der fast vierstündigen Programmrede Togliattis, die sich eine „demokratische Erneuerung der italienischen Gesellschaft“ zum Ziel setzt. Diese Erneuerung soll natürlich, so heißt es ausdrücklich, zum Sozialismus hinführen, und der unbeirrbare Wegweiser dorthin soll die größte kommunistische Partei außerhalb Rußlands, eben die italienische, sein. *

Dieser Phrasenschwall ebenso wie der Mißbrauch des Begriffes „Demokratie“ sind für den aufmerksamen Beobachter nichts Neues. Er wird deshalb nicht ernst genommen. Neu war nur die wieder ganz auf das Moskauer Oberkommando ausgerichtete Marschroute des durch Jahrzehnte bewährten einstigen Stalin-Jüngers, der damit den in seinen Reden vom 20. Juli und 5. November vorigen Jahres offenbarten Zickzackkurs zugunsten einer neuen Geraden aufgegeben zu haben scheint. Die „Linie Chruschtschows“ hat sich also beherrschend aufgezwungen, und sie konnte nicht sinnfälliger demonstriert werden, als durch die sehr ostentative Teilnahme des sowjetischen Parteiideologen Suslow. Neben dieser zahlreichen Delegation aus Rußland waren jene der Satellitenstaaten und, durchaus vordergründig, die der französischen Kommunistischen Partei, vertreten. Der gemeinsame Nenner war damit autoritativ gegeben, und keiner der prominenten italienischen Exponenten — neben Togliatti: Terracini, Scocci-marro, Secchia, Giancarlo Pajetta — wagte es mehr, gegen den Moskauer Stachel zu locken.

Das Leitmotiv war somit die von Chruschtschow ausgegebene Parole der „Entspannung“ und des „Weltfriedens“, des von den Sowjets gewollten, für die wirtschaftliche Grundlegung des Weltkommunismus unentbehrlichen Friedens. So verstand es sich von selbst, daß die von der Democrazia Cristiana getragene Atlantikpaktpolitik des letzten Jahrzehnts und die damit verbundenen — überaus bescheidenen! — Rüstungsausgaben scharfer Kritik verfielen und daß die aktive Einschaltung der Kommunistischen Partei in das politische Kräftespiel Hand in Hand mit den Nennisozi allsten und den bürgerlichen Parteien gefordert wurde. Im übrigen — so hatte Togliatti in seiner Vierstundenrede betont — standen die Kommunisten bisher nicht abseits. Der Versuch, sie zu isolieren, Sri schmählich mißlungen. Im Gegenteil: die Politik aller Nachkriegsregierungen habe unter dem nie nachlassenden sozialen, von den Linksparteien ausgeübten Druck gestanden. Die Verbesserung der Lohn- und sonstigen Arbeitsbedingungen sei nicht zuletzt ihr Verdienst. In gewissem Sinne trifft diese Feststellung sogar zu, wenn auch hinzuzufügen ist, daß die linksextremen Interventionen durch unmotivierte, zumeist'politische Streiks und Sabotagen erhebliche, sich wirtschaftlich wie sozial negativ auswirkende Schäden verursacht hat.

Der Russe Suslow griff maßgeblich in die Debatte ein. Die hoffnungslose Abhängigkeit der kommunistischen Parteien von der zentralen Zügelführung wurde überdeutlich. Ein Übergang von Dur auf Moll war festzustellen, als Suslow die Sozialisten Nennis ansprach, die einst eifrige Besucher Sowjetrußlands gewesen seien, sich aber seit einigen Jahren kaum mehr in Moskau sehen ließen. Die aktive Mitarbeit der Sozialisten an den Menschheitszielen des Kommunismus aber sei im Interesse des Fortschritts der gesamten Arbeiterschaft unentbehrlich.

An dem imponierenden Sechstagekongreß nahmen außer den Neofaschisten, die keine Einladung erhalten hatten, alle übrigen italienischen Parteien als Beobachter teil. Natürlich kamen deren Vertreter nicht zu Wort. Eine indirekte Wortmeldung, die wie eine kleine Sensation wirkte, ging von dem Führer der gemäßigten sozialistischen Gruppe, Saragat, aus.

In Form eines Briefes an den Kongreß weist er auf die laut zuverlässigen Meldungen (unter anderen im englischen „Observer“) im Dezember 1959 erfolgten Hinrichtungen von 150 zur Zeit des Budapester Aufstandes halbwüchsigen Teilnehmern hin, auf diese grauenvolle Missetat, die an für die Freiheit begeisterten Jugendlichen begangen worden sei. Saragat fordert den Kongreß zu einem feierlichen Protest gegen diese Justizmorde der ungarischen Machthaber auf.

Das Ergebnis der neunten kommunistischen Heerschau Italiens? — Einigkeit und völlig wie derhergestellte Einheit dieser Massenpartei im Zeichen der internationalen Entspannung, die sich im Innern Italiens möglichst in einer Mitbeteiligung der Kommunisten an den demokratischen Regierungen ausdrücken müsse. Diese neue breite Front habe dann — so meint die demokratische Tagespresse — unter anderem die Aufgabe, die im Atlantikpakt gegen Sowjetrußland aufgerichteten Abwehrorganisationen in Italien zu beseitigen. Aber der Weg zu diesem allzu entspannenden Wunschbild sei keineswegs geebnet.

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