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Das Positive in der priesterlosen Kirche

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Ich mochte vorausschicken, dafi ich Priester bin, der sich seinerzeit vbllig frei, uberlegt und mit grofier Freude fur den Zolibat entschieden hat - im einigermafien reifen Alter von 26 Jahren -, dafi ich diese Entscheidung nie bereut habe und heute noch genau so dazu stehe. Fiir mich persqnlich will ich nichts anderes. Aber fiir die katholische Kirche wiin-sche ich mir, dafi sie die Koppelung von Priesterberuf und Zolibat aufgibt.

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Ich mochte vorausschicken, dafi ich Priester bin, der sich seinerzeit vbllig frei, uberlegt und mit grofier Freude fur den Zolibat entschieden hat - im einigermafien reifen Alter von 26 Jahren -, dafi ich diese Entscheidung nie bereut habe und heute noch genau so dazu stehe. Fiir mich persqnlich will ich nichts anderes. Aber fiir die katholische Kirche wiin-sche ich mir, dafi sie die Koppelung von Priesterberuf und Zolibat aufgibt.

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Ich bin selbstverstandlich iiber-zeugt, daB es eine echte Berufung zum ehelosen Leben „um des Reiches willen“ gibt. Ich bin ebenso uberzeugt, daB dieses Charisma heute wie immer vielen Mannern und Frauen in der Kirche gegeben wird. Und ich bin genau so uberzeugt, daB das Charisma fiir das priesterliche Amt etwas ganz anderes ist.

Freilich kann ein Mensch beide Charismen bekommen haben, aber wo steht, daB Gott nur Menschen zum Priesterberuf beruft, denen er auch das Charisma der Ehelosigkeit gegeben hat? Das biblische Zeugnis zeigt wohl eher das Gegenteil, und die Friihzeit des Christentums kennt kein zolibatares Amt in der Kirche. Und das war, weiB Gott, nicht die schlechteste Zeit der Kirche.

Wenn aber Gott einer geniigend groBen Zahl von Menschen die Berufung zum Priestertum schenkt, die Kirche sie aber nicht zur Weihe laBt, weil sie nicht auch die Berufung zum ehelosen Leben empfangen haben, dann handelt sie nicht im Gehorsam gegeniiber ihrem Meister. Wenn sie Millionen Menschen seelsorglich verwahrlosen laBt, bloB um ihrer Tradition treu zu bleiben, wird sie ihrem eigentlichen Auftrag untreu.

Allein in der Erzdiozese Wien haben derzeit 107 Pfarren keinen Priester mehr. Viele von ihnen sind Dor-fer mit ein paar hundert Einwohnern. Es ist schwer zu begreifen, warum dort nicht auch ein verheirateter Priester mit Familie und unter Umstanden sogar mit einem Nebenberuf sehr gut die Gemeinde leiten konnte. Freilich, wenn ein Pfarrer neben seiner eigenen Pfarre noch ein halbes Dutzend Dorfer mitbetreuen muB, wird er durch eine Familie in seiner Verfugbarkeit sehr behindert sein. Aber ware es nicht besser und richti-ger, jeder Pfarre ihren eigenen, wenn auch verheirateten Priester zu ge-ben? Hat sie nicht Anspruch darauf?

Der Papst schreibt den Priestern: „Wir diirfen das Priestertum nicht wegen der Schwierigkeiten, die uns begegnen und wegen der von uns ge-forderten Opfer aufgeben.“ Ob nicht ein Pfarrer mit Frau und Kindern, der die Pflichten und Sorgen eines Fami-lienvaters kennt, manchmal ein weit schwierigeres und opfervolleres Leben hatte als ein zolibatarer Pfarrer?

Ist nicht eher die Kirche in Gefahr, wegen der im Zusammenhang mit dem Aufgeben des Priesterzolibats von ihr geforderten Schwierigkeiten und Opfern das Priestertum aufzu-geben? Wenn aber das Einhalten des Zolibats fiir den Priester solche Schwierigkeiten und Opfer mit sich bringt, ist er dann wirklich „frei“? Ware er dann nicht viel freier fiir den Dienst an den andern, wenn er verheiratet ware? „Es ist besser, zu hei-raten als zu brennen“, sagt Paulus (1 Kor 7,9).

Nun ist mir freilich klar, daB der Papst nicht will, daB die Kirche ihrem Auftrag untreu wird, sondern daB er im Gegenteil uberzeugt ist, daB die Kirche im Festhalten am Zolibat der Priester ihrenGlauben unter Beweis stellt. Da er selbst in seinem Schreiben von der Notwendigkeit unserer taglichen Bekehrung spricht, ist aber wohl nicht auszuschlieBen, daB er im Horchen auf den Willen Gottes allmahlich zu einer anderen Uberzeugung kommt.

Wenn nun der Papst ebenso wie seine Vorganger und die Mehrheit der Bischofe, deren aller Bereit-schaft, Gottes Willen zu erfullen doch nicht im Ernst bezweifelt werden kann, am Priesterzolibat festzuhalten wiinschen, so kann sich ja mogli-cherweise darin auch das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche zeigen. Dann will Gott offenbar etwas damit erreichen. Worin konnte also das Positive einer priesterlosen oder prie-sterarmen Kirche liegen?

Es konnte sein, daB die Gemeinden dadurch mtindiger werden. So wie heranwachsende Kinder manchmal gerade dann reif und verantwor-tungsbewuBt werden, wenn sie den Vater verloren haben, weil sie wissen, daB sie jetzt die Sache der Familie selbst in die Hand nehmen miissen, so konnten auch die Gemeinden durch den Wegfall des Seelsorgers selbstandig werden. Sie konnten er-kennen, daB die Sache der Gemeinde, die Verwirklichung ihrer Sen-dung, ihre eigene Sache und Aufgabe ist; daB vieles, was bis dahin der Priester gemacht hat, von Gemeindemitgliedern selbst geplant, organisiert und durchgefuhrt werden muB; daB die Existenzfrage der Kirche nicht von der Losung des Priesterpro-blems, sondern von der Existenz le-bendiger Gemeinden abhangt.

Noch ganz andere Strukturande-rungen konnten sich aus der absur-den Situation, die jetzt entsteht, er-geben:

Der Priestermangel hat ja schon jetzt zur Folge, daB Nicht-Ordinierte (Gemeindeassistenten, Katechisten, Ordensschwestern) vom zustandigen Bischof mit der Leitung der priesterlosen Gemeinde beauftragt werden. Sie stehen der Gemeinde vor, halten mit ihr Gottesdienst, verkunden ihr das Wort Gottes, bereiten auf den Empfang der Sakramente vor, spen-den die Taufe, teilen die Kommunion aus, assistieren bei Trauungen - kurz und gut, sie iiben das priesterliche Amt aus, ohne „Amtspriester“ zu sein.

Sie diirfen nicht mit ihrer Gemeinde die Eucharistie feiern. Dazu muB gelegentlich ein Priester von auswarts kommen, der zu der betref-fenden Gemeinde gar keine Bezie-hung hat. Er konsekriert einen ge-wissen Vorrat von Hostien, die dann bei den Gottesdiensten der folgenden Wochen vom eigentlichen, nichtge-weihten Gemeindeleiter verteilt werden. Der Widersinn einer solchen „Ordnung“ ist augenfallig.

Es eriibrigt sich wohl, darauf hin-zuweisen, was fur ein Priesterbild und Eucharistieverstandnis so einer Praxis zugrunde liegen (oder aus ihr erwachsen miissen. DaB bei einer solchen Praxis der Priesterberuf fur junge Leute nicht gerade erstre-benswert erscheinen wird, liegt auf der Hand.

Es wird dadurch der Priestermangel also noch driickender werden, die wenigen vorhandenen Priester aber immer mehr zu hektischen Mana-gem.

Das spiiren die Leute naturlich auch, und es mag mit ein Grund sein, wenn sicher auch nicht der einzige, daB sie nicht mehr beichten gehen. Sie haben Hemmungen, seine „kost-bare Zeit wegzunehmen“. Ich wiiBte auch nicht, wo ein Pfarrer, der als einziger Priester fiir ein paar tausend Menschen da ist, die Zeit zum Beicht-horen und zu personlichen seelsorg-lichen Gesprachen hernehmen sollte. Ein bloB mechanisches Absolvieren ist aber doch wohl nicht der Sinn des BuB sakraments.

Daher wird das Festhalten der Kirche am Zolibat auch zum grundle-genden Wandel der BuBpraxis in der Kirche beitragen. Es ist wohl nicht auszuschlieBen, daB auch dieser Wandel im Sinn des Wirkens des Heiligen Geistes in der Kirche liegt.

Die priesterlose oder priesterarme Kirche kann sich auch positiv auf die okumenischen Bemiihungen aus-wirken, ist doch die Frage des Amtes, also des Amtspriestertums, der apostolischen Sukzession, immer noch ein trennender Faktor zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation. In einer priesterarmen katholischen Kirche aber werden wohl bald auch andere als die geweihten Amtspriester der Eucharistiefeier vorstehen, da die ge-schilderten Zustande ja nicht lange tragbar sind.

Schon heute gibt es Theologen, die von der Moglichkeit einer „Noteu-charistie“ sprechen, bei der Nicht-geweihte der Feier vorstehen, die Eucharistie sprechen und die Gaben konsekrieren. Zweifellos ware eine solche Noteucharistie sinnvoller und berechtigter als eine „Nottaufe“.

Wenn aber auch nichtgeweihte Gemeindeleiter die Eucharistie feiern konnen (was derzeit naturlich noch unerlaubt ist), ist die Frage der apostolischen Sukzession ganz anders zu beantworten, als das bisher in der katholischen Tradition geschah. Ob Johannes Paul II. unfreiwillig und unbewuBt mit 450jahriger Ver-spatung die Reformation in der katholischen Kirche nachholt?

Ich weiB es nicht. Jedenfalls bin ich uberzeugt, daB jede Gemeinde in der Kirche einen Menschen haben sollte, der voll und ganz jenes Amt versieht, das man bisher als die eigentliche priesterliche Funktion des geweihten Priesters angesehen hat. Kurz gesagt, daB jede Gemeinde Anspruch auf einen „Priester“ hat. Daher bin ich sicher, daB die Kirche eines Tages es als ihre Pflicht erkennen wird, jeder Gemeinde ihren Priester zu geben, egal ob der nun ehelos oder verheiratet ist, ob er mannlich oder weiblich ist, ob er sein Amt haupt- oder neben-amtlich ausiibt.

Denn wie Johannes Paul II. schreibt: „Gefragt ist letztlich von den Menschen immer nur jener Priester, der sich seines Priestertums im vollen Sinn bewuBt ist: der tiefglau-bige Priester, der mutig seinen Glauben bekennt, der eifrig betet, mit Uberzeugung in der Lehre unterrich-tet, der dient und in seinem Leben das Programm der Seligpreisungen verwirklicht, der selbstlos zu lieben weiB und alien nahe ist, besonders denen, die sich am meisten in Not be-finden.“ Alles andere ist sekundar.

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