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„Delikate“ Fragen

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Wahrend seines Aufenthaltes in Polen, wo er dem Beginn der Millenniums/eiem beiwohnte, konnte Jacques Ourevitch, Reporter von „Europa Nr. 1“ unter anderen auch den Erzbischof in Breslau, Monsignore Boleslaw Kominek, interviewen. Aus diesem Interview, das sich an die Interviews anschlieftt, die Erzbischof Kominek Hans Jakob Stehle („Die Furche" Nr. 4/1966) und dem Chef- redakteur der „Furche“, Kurt Skalnik („Die Furche“ Nr. 8/1966), gab wurde von der Warschauer Presse fdlsch- licherweise versucht, einen Ant- agonismus zu Kardinal Wyszynski zu konstruieren.

FRAGE: Ich weift in diesem Augenblick nur zu genau, daft die Fragen, die ich Ihnen stellen werde, in Polen delikat sind. Ich werde sie Ihnen trotzdem frei stellen, so wie sie mir gerade in den Sinn kommen, und ich werde gut begreifen, wenn Sie sie nicht beantworten kbnnen oder wollen. Monsignore Kominek, gibt es eine Auseinandersetzung zwischen Kirche und polnischem Staat?

MONSIGNORE KOMINEK: Sicher- lich besteht sie. Sie geht nicht auf gesteim oder vorgestem zuriick. Es gibt schon seit Jahren Auseinander- setzungen. Es hat sie vor dem Krieg gegeben, und es gab sie nach dem Krieg. Wir sind in einem soziali- stischen Staat im engsten Sinn des Wortes und es wurde ein Wunder sein, wenn sie nicht bestehen wiirden.

FRAGE: Bestehen diese Ausein- andersetzungen wirklich zwischen Kirche und Staat oder bestehen sie nicht vielmehr zwischen Kardinal Wyszynski und Herrn Gomulka?

ANTWORT: Mit scheint, daB sie z.wischen Staat und Kirche bestehen. Genau wie zwischen Kardinal Wys- zynski und dem Ersten Sekretar der Partei, Gomulka. Aber ich glaube, daB die zweite nur eine Folge der ersten Auseinandersetzung .isst, Die,, erste ist fundamental, sie ist eine, uhi eis'sditi Sh Sh, existentielle'Aus-" einandersetzung zwischen Kirche und Staat.

FRAGE: 1st es moglich, daft Polen beim katholischen Glauben und kommunistisch bleibt?

ANTWORT: Das ist eine wirklich, wirklich delikate Frage. Es scheint mir, daB mit gutem Willen, sowohl von der einen als auch von der anderen Seite eine Koexistenz moglich ist, weil die Menschen und nicht die Doktrinen zusammenleben miissen.

FRAGE: Wollen die Katholiken Polens diese Koexistenz?

ANTWORT: Ich glaube ja, und nicht nur die Katholiken, auch Kardinal Wyszynski, die Bischofe, die Priester, die Ordensgeistlichen, die Schwestem und das Volk... Sicher- lich! Alle wiinschen sie eine Koexistenz in Frieden!

FRAGE: Wiinscht die Partei diese Koexistenz?

ANTWORT: Sie wissen, daB ich selbst nicht Kommunist bin. Ich mochte auf diese Frage nicht ant- worten. Wir Katholiken in Polen wir Sind fur den Dialog; wir sprechen vielleicht viel zuwenig mit den Kom- munisten und die Kommunisten sprechen viel zuwenig mit uns. Da liegt das Problem.

FRAGE: Worum gehen die Aus- einandersetzungen? Sind die Ziele der polnischen Kirche von den Zie- len der polnischen Kommunisten verschieden?

ANTWORT: Sicher, sicher. Die Ziele sind verschieden. Wir haben ein hauptsachlich ubematiiriiches und religioses Ziel, wahrend sie ein materielles Ziel haben. Aber wir unterstutzen die kommunistischen Ziele in materieller Hinsicht, wir lassen sie gelten, weil auch wir wollen, daB sich Polen in indu-

strieller Hinsicht usw. entwickelt... Aber wir wollen auch, daB man die religiose Freiheit respektiert, nicht nur die Freiheit des Kultes, sondern auch eine gewisse apostolische Freiheit. Das wiinschen wir.

FRAGE: Ist Polen geteilt, Monsignore Kominek? Gibt es eine Art von Trennung zwischen denen, die kommunistisch sind und nichts als kommunistisch, und denen, die katholAsch sind-und nicht kommunistisch sein werden?

ANTWORT: Ich glaube nicht. Wenn wir solche Trennungen in der Vergangenheit hatten, so verringem sie sich heute, nach dem Konzil, nach und nach. Es scheint mir, daB sich der gute Wille vermehrt; bei uns und bei den Kommunisten. Das ist eine Tendenz, die heute sehr stark ist.

FRAGE: Wird es eine Vernunftehe geben?

ANTWORT: Ja! Man konnte das eine Vernunftehe nennen. Das ist es! Wir sind, wie ich es in Tschenstochau gesagt habe, zu einer Koexistenz ge- zwungen. Wir sind, wie ein pol- nisches Sprichwort sagt, „auf dem- selben Ast eines Baumes".

FRAGE: Aber wie sehen Sie die Zukunft des Christentums in Polen? Wird es nach ihrer Ansicht ein Massenchristentum oder ein Chri- stentum, das erstarren wird, geben?

ANTWORT: Das sind auch Fragen, fiir die man Prophet sein miiBte. Heute ist es ein Christentum der Masse, diesen guten Eindruck konn- ten Sie ja selbst gewinnen. Aber dieses Massenchristentum muB sich welter entwickeln. Es muB sich, ganz nach dem Konzil, zu einem sehr er- wachsenen Christentum entwickeln,

zeugung, Freiheit der menschlichen Person, und wenn wir nach dieser Uberzeugung leben (Freiheit, Tole- ranz usw.), werden wir gut fahren, werden wir weiterkommen. Ich wiinsche ebenso, daB auch die Kommunisten dieselbe Entwicklung dieselbe Richtung der Entwicklung anerkennen.

FRAGE: Tatsachlich hangt dies von der Jugend ab, Exzellenz. Wird sich die Jugend vom Katholizismus abwenden, um kommunistisch zu werden, oder umgekehrt?

ANTWORT: Sehen Sie, das sind ebenfalls auBerordentlich delikate Fragen, und es giibt ein lateinisches Sprichwort, ,Nemo propheta in patria sua‘. Das bedeutet ,Man ist nie Prophet im eigenen Land'. Des- wegen kann ich nicht antworten... Aber ich bin optimistisch, was die polnische Jugend betrifft.

FRAGE: Die letzte Schwierigkeit zwischen der Kirche und dem Staat scheint durch die Botschaft des polnischen Episkopats, die sich an den deutschen Episkopat wandte, im letzten November hervorgerufen worden zu sein. Parteisekretdr Gomulka hat in zahlreichen Reden den Pralaten vorgeworfen, von einer Verzeihung gesprochen zu haben, einer Verzeihung, die die Deutschen den Polen gewdhren mufiten, und Parteisekretdr Gomulka hat den Pralaten auch vorgeworfen, in irgendeiner Form davon gesprochen zu haben, daft die Gebiete, die den Deutschen weggenommen wurden, unter Gewaltanwendung aus dem Osten gestanden haben. Was ist die Stellungnahme der Kirche dazu?

ANTWORT: Es bestehen MiBver- standnisse; es bestehen zu viele MiBverstandnisse. Heute, nach der Feierlichkeit des polnischen Jubi- laums, sind die Dinge schon genug geklart. Der Brief des polnischen Episkopats an den deutschen Episkopat war ein Brief des Konzils, sozusagen ein evangelischer Brief, ein religioser Brief und nicht ein politischer. Wir haben auch gar nicht das Problem der Oder-NeiBe-Grenze angeschnitten. Wir alle, die Bischofe, Wyszynski und Gomulka und Cyran- kiewicz und die Regierung und wir alle, wir sind fur die Oder-NeiBe- Grenze.

FRAGE: Wenn ich recht verstehe, hat Parteisekretdr Gomulka beim erstenmal den Brief schlecht gelesen?

ANTWORT: Ich glaube, daB dem so ist. Aber die Schuldigen waren vor allem ein Teil der deutschen Presse, der unserem Brief eine anti- polnische, antikommunistische und gegen die Regierung gerichtete Aus- legung gab.

FRAGE: Sind also tatsachlich Partei und Kirche darin einig, die Westgebiete Polens als einen Be- standteil des polnischen Territoriums zu betrachten?

ANTWORT: Vollkommen, voll- kommen. In diesem Punkt sind wir uns einig, das ist einer der Punkte, die uns vollkommen einig machen mit den Kommunisten. Ich selbst weiB sehr gut, daB ich nicht Erzbischof von Wroclaw, ehemals Breslau, sein wurde, wenn es hier keine kom- munistische Regierung gabe.

FRAGE: Es gibt etwas, was mich befremdet: In seinem Brief an den deutschen Episkopat hat der pol- nische Episkopat von einer Verzei- hung gesprochen. Bei den letzten

Feiern zum 1. Mai lautete die kom- munisitische Parole: Im Gegenteil, wir werden niemals die Grausam- keiten der Hitler-Anhdng er ver- zeihen ... Es scheint, dap auf diesem Gebiet ebenfalls eine Trennung zwischen der Kirche und dem Staat besteht?

ANTWORT: Ja, ja, leider; aber die Verzeihung des polnischen Episkopats war eine vollkommen religiose Verzeihung. Wir als Christen, als Bischbfe, ja als Bischbfe, die am Konzil teilgenommen haben, mussen alien verzeihen, die ein biBchen guten Willen zeigen. Die Kommunisten dagegen verstehen vielleicht die Verzeihung vom politischen Gesichts- punkt; das ist eine politische Verzeihung. Wir haben nicht an eine Verzeihung gedacht, die vielleicht die Politik der Kommunisten und unsere Regierung in der Grenzfrage storen konnte. Die Justiz muB gegen die GroBen vorgehen, gegen die grofien Ubeltater der Hitler-Zeit, und wir stimmen mit den Kommunisten darin uberein, daB die Prozesse, die in Deutschland jetzt gegen die groBen deutschen Verbrecher ab- rollen, fortgesetzt werden sollen. Aber fiir uns, die Christen, gibt es Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.

FRAGE: Nun gut, sie machen also einen Unterschied zwischen den beiden.

ANTWORT: Ja, Gerechtigkeit muB geschaffen werden, aber auch Barmherzigkeit muB alien jenen erwiesen werden, die sie verdienen.

FRAGE: Es scheint, dap die Regierung von Cyrankiewicz und Parteisekretdr Gomulka dem Episkopat ebenfalls vorgeworfen hat, den Papst eingeladen zu haben, ohne daruber zu berichten oder sie um die Er- mdchtigung zu fragen.

ANTWORT: Das ist, wie Sie wissen, eine sehr delikate Frage, und ich mbchte nicht antworten. Vielleicht wiirde sie Kardinal Wyszynski beantworten, aber ich nicht. Es wiirde namlich die Situation noch mehr komplizieren, wenn ich Ihnen eine Antwort geben wiirde.

FRAGE: Man prasentiert haufig Kardinal Wyszynski; es scheint mir, dap auch sie in Tschenstochau ihn als einen Martyrer, einen Kardinal- martyrer prasentiert haben. Stimmt es, dap Kardinal Wyszynski, dap die Kirche von heute in Polen eine Martyrerkirche ist? Ist sie eine Kirche des Schweigens?

ANTWORT: Nein, nein, nein.. . Sie wissen, auch das sind ein biBchen zu delikate Fragen und ich mbchte die Situation nicht kompli-

zieren.

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