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„lnternationale“ imVatikan?

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Es hat katholische Traumer gege- ben und es gibt sie wahrscheinlich immer noch, die in ihren Visionen von dem Tag schwarmten, an dem im Damasushof des Vatikans die Internationale erklingt und wo der Papst, das Oberhaupt der katholischen Christenheit und der Fiihrter des Weltkommunismus einander umarmen,. dem Tag, da zwischen Kirche und Kommunismus Friede geschlossen wird und ein neues Zeit- alter beginnt. Und es gab auf der anderen Seite Katholiken, die von dem Angsttraum geplagt werden, der Antichrist in Person kbnnte in Gestalt eines kommunistischen Emmis- sars im Vatikan empfangen werden und damit im Herzen der Kirche das Bose selbst sich einnisten; die die Mauem der Kirche zerfallen sehen und auf der Kuppel des Petersdomes Sichel und Hammer statt dem Kreuz. Das ware nicht der Anfang des En- des, das ware das Ende selbst.

Die Internationale ist im Damasushof nicht erklungen. Es hat keine Umarmungen gegeben. Aber der sowjetische AuBenminister Gromyko wurde von Papst Paul VI. empfangen. Nicht zu einem bloB mensch- lichen Gesprach wie seinerzeit Johannes den Schwiegersohn Chrutsohtschows, Adschubej, mit seiner Gattin empfangen hatte. Es war kein Hbflichkeits- und kein Touri- stenbesuch, es war eine hochpoli- tische Unterredung in Anwesenheit des Kardinalstaatssekretars.

Was der Papst und der sowjetische AuBenminister, die sich ja schon in New York bei den Vereinten Natio- nen freundlich begriiBt hatten, mit- einander wirklich gesprochen haben, wissen wir nicht und wissen wahrscheinlich sehr wenige Menschen. Der Vatikan selbst gibt fiber solche Unterredungen keinerlei detaillierte Berichte aus, und Gromyko selbst hat rbmischen Journalisten gegenfiber lediglich erklart, der Papst und er hatten fiber den Frieden und das friedliche Zusammenleben aller Menschen gesprochen. Es ist gewiB nicht anzunehmen, daB der Papst und Gromyko, beides Menschen, die sehr genau wissen, was sie wollen, ein unverbindliches Gesprach ge- fiihrt hatten. Aber ein Gesprach fiber den Frieden ist gerade in der jetzigen Situation, in der der Vietnamkrieg sehr leicht in einen groBen Weltbrand umschlagen kann, ein hochak- tuelles, hochpolitisches und fur das Schicksal der Menschheit hbchst be- deutsames Gesprach.

Das offlzielle Schweigen laBt na- tiirlich Spielraum fur Spekulationen und Kombinationen. Es bedarf aber gewiB keiner groBen Phantasie, um anzunehmen, daB das Gesprach zwischen dem Papst und dem sowjeti- schen AuBenminister auch das Schicksal der Katholiken im kommunistischen Herrschaftsbereich und die Lage der Kirche in den kommunistischen Landern betraf. Und hier geht es nicht nuir um Polen.

Einem sowjetischen Minister kann man gewiB nicht Ansichten heraus- locken, er wird nur das sagen, was er sagen will, aber es bestehf mehr als ein Grund, anzunehmen, daB Gromyko, der an dieser Unterredung mit dem Papst sehr interessiert war, Gelegenheit suchte, um das zu sagen, was man im Kreml Rom wissen las- sen mochte.

Natfirlich war dieser Besuch be- gleitet von einer Reihe von vorsich- tigen Absicherungen auf beiden Sei- ten. Der „Osservatore della Dome- nica“, die im Vatikan erscheinende Wochenzeitung, hat noch vor dem Gromyko-Besuch eine scharfe Warnung vor jedem Anbiederungs- versuch der Kommuriisten gebracht, und der „Osservatore Romano" selbst nach dem Besuch eine Klar- stellung, daB diese Unterredung nichts mit einer ideologischen Ver- schleierung der Gegensatze zwischen dem Katholizismus und dem Kom- munismus zu tun habe. Man kann der Meinung sein, daB die erste Vor- wamung an die Adresse der italle- nischen Innenpolitik ging, aber auch AusfluB einer etwas divergierenden Stromung im Vatikan war, und man kann weiters der Meinung sein, daB der Nachkommentar des „Osserva- tore“ der Beruhigung inlandischer und auslandischer Besorgnisse gait. Audi die Kommunisten selbst mach- ten in der Distanzierungskampagne mit. Als eine italienische Zeitung ein Bild brachte, auf dem gezeigt wurde, wie der Papst Gromyko mit offenen Armen entgegenging, da stellte nicht nur der „Osservatore“, sondern da stellten auch die kommunistischen Zeitungen Italians mit Entriistung fest, daB es sich hier um eine iible Falschung handle.

Man hat jahrzehntelang dem Vatikan, nicht ganz mit Unrecht, den Vorwurf gemadit, er wurde die Weltpolitik allzu sehr von der Warte der italienischen Innenpolitik betrachten. Papst Paul VI. hat sich von diesen innenpolitischen Riick- sichten in seinen weltpolitischen Aktionen weitgehend freigespielt. Er zeigte aber auch in Italien selbst ein Verhalten, das nicht frei von Uber- raschungen ist. So, wenn er bei sei- nem Besuch im Kapitol dem sozia- listisdien Fraktionsfiihrer ver- sicherte, es ware sein Wunsch, daB die Sozialisten auf das Kapitol zuriick- kehren kbnnten, und dies knapp vor den Kommunalwahlen in Rom. Und wenn er weiters dem kommunisti- schen Schattenbiirgermeister der Ewigen Stadt versicherte, daB er sein Wirken mit groBer Achtung verfolge. Sind das Worte der Hoflichkeit, 1st es mehr? Papst Paul VI. ist keine impulsive Natur wie Johannes der XXIII. Er iiberlegt sich ge- nau, was er sagt und er weiB genau, was er tut.

Und wenn er vom Frieden redet, dann ist es bei ihm mehr als eine Emotion und dann ist es auch mehr, als, die allgemeine Angst und Sorge. Er weifi, was er will, auch wenn er mit dem sowjetischen AuBeminister spricht. DaB er wenige Tage nach Gromyko den amerikanischen Son- derbeauftragten fiir Vietnam, Cab- hot Lodge, empfangen hat, beweist, daB er seine Friedensinitiativen be- ziiglich Vietnam noch immer weiter- verfolgt.

Es geht nicht, wie katholische Illu- sionisten und katholische Pessimi- sten meinen, um einen Ausgleich zwischen Kirche und Kommunismus, nicht um eine Verwischung von Gegensatzen. Unserer Zeit ist es nicht gegeben, Gegensatze auszuglei- chen, Unterschiede zu verwischen, uns ist es gegeben, Spannungen zu ertragen und in Konflikten zu leben.

Eines aber mussen wir, und das hat der Papst klar erkannt und es ist zu hoffen, daB das auch die groBen Machte erkennen, daB es auch die Sowjetunion erkennt: daB es nur eine Moglichkeit gibt, alle Konflikte auszulbschen, indem wir uns selbst ausloschen, daB der Friede nicht ein frommer Wunsch und eine unbe- stimmte Sehnsucht, sondern die Grundlage unserer Existenz ist. Der verstorbene Nuntius in Osterreich, Erzbischof Dellepiane, soil einmal gesagt haben, er sei, um das Kon- kordat weiterzubringen, bereit, sich auch mit dem Teufel um Mitternacht auf dem Kahlenberg zu treffen. Der Friede ist mehr als ein Konkordat, unendlich mehr. Der Papst hat sich nicht mit dem Teufel, er hat sich mit dem AuBenminister der zweitgrbBten Macht der Erde getroffen. Der AnlaB ist zu emst, um auf die Schwarmer zu horen und auf die Kassandrarufe.

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