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Das Ende von Jalta

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Mit der Reise des USA-Prasiden-ten nach Rotchina, deren Ankiindi-gung im Jahr 1971 eine Weltsensa-tion darstellte, geht das Zeitalter von Jalta zu Ende. Auf der Konferenz in Jalta, im Februar 1945, an der Stalin, Churchill und der schon tod-kranke Roosevelt teilnahmen, wurde die Welt in zwei Spharen ein-geteilt: hie die EinfluBzone der USA, hie EinfluBzone der Sowjets. Diese Einteilung mag angesichts der Teilnahme Churchills an der Kon­ferenz merkwiirdig erscheinen, denn bei dieser Enteilung kam das briti-sche Empire so gut wie gar nicht zum Zug. Tatsachlich ignorierten die beiden Supermachte die Existenz des Empire so gut wie vollstandig und die Teilnahme Churchills an der Konferenz stellte nur einen Akt des Respekts dar, den die beiden Super­machte der gewaltigen Personlich-keit eines Churchill zollten. Ein Vierteljahrhundert lang hatte die Welt von Jalta Bestand.

Fernen Zeiten wird diese Periode vielleicht wie eine Art Biedermeier erscheinen. Denn tatsachlich gab es in dieser Zeit keine globalen Aus-einandersetzungen mit schrecklichen, bisher nicht verwendeten Waffen. Es gab ein paar Kriege am Rande der Weltgeschichte, mit sogenannten her-kommlichen Waffen: in Korea, in Vietnam, im Nahen Orient. Es gab politische Veranderungen groBen AusmaBes: in Afrika, in Asien. Aber es gab — Gott sei es gedankt — kei-nen dritten Weltkrieg. Wie aber die Welt des Biedermeier trotz auBerer Bliite ausgehohlt wurde, so audi die Welt, die von der Konferenz von Jalta geschaffen worden war:

Am Anfang stand die Angst.

Zunachst die Angst der Sowjet-russen vor einem wiedererstarkten und geeinigten Deutschland — RuB-land hatte ja im zweiten Weltkrieg unendlich viel gelitten. Die Angst, daB sich diese Leiden in einem viel­leicht noch starkeren MaBe wieder-holen konnten, erzeugte bei den Rus-sen ein Trauma, aus dem sich viele Schachziige der russischen Poli-tik erklaren lassen. Dieses Trauma der Russen wurde noch verstarkt durch den Gedanken, daB ein wie-dererstandenes, starkes Deutschland ein Verbiindeter der Westmachte oder gar der USA sein konnte. Das es also endgiiltig unschlagbar wiirde. Der gigantische Aufstieg West-deutschlands in den Jahren der Re-gierung Adenauer, die gute Zusam-menarbeit Bonns mit Washington in dieser Zeit lieB dieses Trauma der Russen nicht als ein reines Phanta-siegebilde erscheinen.

Nicht nur im Anfang stand die Angst der Sowjetrussen. Sie ver-groBerte sich noch im Laufe dieser Epoche von Jalta. Zum Trauma vom geeinigten Deutschland, das mit den Westmachten verbiindet ist, ge-sellte sich das Trauma der Bedro-hung durch das chinesische Riesen-reich. Auch dieses Trauma hat seine realen Hintergriinde: China ist iibervolkert und seine Bevolkerung wachst mit unheimlicher Stetigkeit. AusweichmSglichkeiten fur seine Volksmassen gibt es nicht viele. Australien ist weit, Indien ist iiber­volkert, ebenso zum Teil Japan. Bleibt somit nur Sibirien. In Sibi-rien wohnen Stamme, die mit Be-volkerungsschichten Chinas ver-wandt sind. Somit eine ideale fiinfte Kolonne bilden.

Aber natiirlich war dieses China mit seiner Ubervolkerung und sei-nen hungernden Massen so lange fur RuBland keine wirkliche Bedro-hung, solange sich diese Massen nicht mit einer Industriemacht verbiindeten. Der Traum dieses Biindnisses kam in greifbare Nahe, als Nixon seine Reise nach Peking ankiindigte.

Von da an lief die russische Diplo­matic auf Hochtouren und konnte, bevor die Reise noch stattfand, tat­sachlich viele Erfolge einbringen. Erfolge, die nur eine Fortsetzung eines bereits eingeschlagenen Weges darstellten:

Die „Befriedung“ innerhalb des Ostblocks, die mit der Besetzung der Tschechoslowakei begann, konnte weitergefiihrt werden. Rumanien, das eine Art Kavalierstour inner­halb der russischen EinfluBzone zu gehen schien, wurde streng an die Kandare genommen. Die Frage Ber­lin wurde eindeutig zugunsten RuB-lands gelost. Ost-Berlin wurde ohne Gegengabe der DDR eingegliedert, West-Berlin von der Bundesrepublik ausgeklammert und zu einem Hong­kong RuBlands im Westen umgestal-tet, das RuBland nur niitzen, aber nie gefahrlich werden kann. Die Ost-vertrage sollen Deutschland neutra-lisieren und die NATO schwachen. Der Putsch der serbischen Generate in Jugoslawien sollte RuBland die Chance geben, am Todestag Titos auch Jugoslawien in den Griff zu bekommen, die geplante Sicher-heitskonferenz Europa endgiiltig paziflzieren und damit die West-grenze RuBlands fiir immer sichern. Um aber fiir alle Falle gesichert zu sein, befindet sich der groBte Teil der russischen Armee nach wie vor im europaischen RuBland.

Daftir befindet sich ein GroBteil der russischen Flotte in asiatischen Gewassern. Durch das Biindnis mit Ceylon konnte sich RuBland einen erstklassigen Naturhafen fiir seine Flotte sichern. Durch den Krieg zwi-schen Indien und Pakistan brachte es nicht nur Indien auf seine Seite, son-dern erhielt durch die Schaffung Ost-pakistans als eines selbstandigen Staates die Chance, sich auch hier einen groBen Hafen, Chittagong, fiir seine Flotte zu sichern. Aber diese Flotte ist ohne Zufuhr lahmgelegt. Die kiirzeste Zufuhr ginge durch den Suezkanal. Seit langem geht das Bestreben der russischen Diplomatie dahin, den Frieden im Nahen Osten herbeizufUhren. Als Sadat seine kriegerischen Reden hielt, wuBte der israelische Geheimdienst und wuB-ten damit alle einschlagigen Stellen der Welt, daB dies nur Blechmusik war, denn Israel war sich dessen sicher, daB RuBland keinen Krieg im Nahen Osten mehr wollte, sondern Frieden, damit der Suezkanal wieder befahrbar sei. Und die russische Flotte in Asien versorgt werden konne.

So wachst die Einkreisung Chinas. Moglich, daB RuBland schon geheime Faden nach Taiwan ausgesteckt hat. Sicherlich streckt es schon seine Fiihler nach Japan aus, wie dies die Reise Gromykos nach Tokio beweist.

Diese geniale Einkreisungstaktik muBte natiirlich die Angst der Chi-nesen wecken. RuBlands Armee und Flotte auf der einen Seite, verbiin­det mit den indischen Massen und verbiindet vielleicht mit Japan, wenn nicht gar mit “dem Todfeind Tschiangkaischek, das ist eine tod-liche Bedrohung, der China unbe-dingt ausweichen muB. Ein Auswei-chen gibt es im Falle Chinas nur nach einer Seite. Nach einer Seite, die den Sowjets Paroli bieten kann: die starkste Macht der Welt, die USA.

Als Nixon seine Reise nach China ankiindigte, muBte sein Gedanke auf fruchtbaren Boden fallen. Die

(Fortsetzung auf Seite 2)

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