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Ein falsches Schlagwort

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Als Grund fiir diese Haltung wird stereotyp angefuhrt, daB Osterreich, da sich seine ubernommene Verpflich- tung in „militarischer Neutralitat" er- schbpfe, zu keiner „ideologischen Neutralitat" verbunden ware. Ganz abgesehen davon, daB die Verpflich- tung zu ausschliefilich militarischer Neutralitat kein Freibrief fur publi- zistische Exzesse sein kann, stimmt die ganze Formulierung nicht: „ideo- logische Neutralitat" muBte eine Neutralitat bedeuten, die sich gegeniiber alien Ideologien, also weltanschauli- chen, insbesonders staatspolitischen Systemen, neutral verhalt, also eine geistige Auseinandersetzung meidet. Dazu besteht weder eine allgemeine noch eine besondere volkerrechtliche Verpflichtung. Die Verwendung des Ausdruckes „ideologische Neutralitat" ist also irrefiihrend und sollte, weil sie AnlaB zu falschen und unbegriindeten Folgerungen geben kann, unterbleiben. Das Recht zur Stellungnahme und Kritik kann weder dem Staat noch der Einzelperson entzogen werden. Wenn dennoch irnmer wieder zu hbren ist, daB Osterreich zu keiner ideologischeft Neutralitat verpflichtet ist, so ist dies nach dem Gesagten vollig iiberfliissig und nur irrefiihrend: Durch das Bun- desverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 ist Osterreich weder zu ,.militarischer" noch zu „ideologischer" Neutralitat, sondern zu „immerwah- render Neutralitat" verpflichtet. Dieser Begriff schlieBt die militarische Neutralitat ein, ist aber keineswegs damit allein ausgefullt, sondern verlangt auch ein bereits im Frieden praktiziertes neutralities Verhalten, in dem das Verbot fremder Stiitzpunkte auf osterreichischem Territorium und das Verbot des Beitrittes zu militarischen Biindnissen zwar besonders aufgezahlte Pflichten darstellen, aber eben keineswegs alle Pflichten iiberhaupt. Ein immerwahrend neutraler Staat ist verpflichtet, sich auch in Friedenszeiten so zu verhalten, daB die Neutralitats- partner auf die Wahrung der Neutralitat im Kriegsfall vertrauen konnen: Zu diesem Verhalten gehort neben der Vermeidung von Bindungen, die den immerwahrend neutralen Staat in auBenpolitische Schwierigkeiten bringen konnen, auch eine entsprechend sachliche und verstandnisbereite publi- zistische Behandlung anderer Staaten. Noch scharfer druckte es der Schweizer Volkerrechtler Hagemann aus: ,.Die Schweiz kann nicht im Krieg neutral bleiben wollen und im Frieden nach Lust und Laune Partei ergreifen." Diese Objektivitatspflicht ist durchaus vereinbar mit kritischer Betrachtung fremder Staatssysteme, sie zwingt aber den neutralen Staat, seinen eigenen Standpunkt grundlich abzuklaren.

Gegen die hier skizzierte These von der Pflicht des immerwahrend Neutralen, die von seinem Gebiet ausgehende Informationstatigkeit im weitesten Sinn zu objektivieren, wird eingewen- det werden, daB hierfiir im Volkerrecht keine Stiitze zu linden sei: es bestunde nur die Pflicht der Staaten und ihrer Organe, Beleidigungen anderer Staaten und Regierungen zu unterlassen. Das ist richtig, aber das Volkerrecht darf nicht rein statisch als Summe von bereits anerkannten Normen angesehen werden, sondern es muB auch auf die Dynamik der Rechtsweiterbildung ge- achtet werden. ZahlenmaBig viel mehr ins Gewicht als die „Beleidigungen" fallen AuBerungen, die der bewufiten Verachtlichmachung und Untergrabung des politischen, moralischen, humani- taren Kredits anderer Staaten dienen, tendenziose, gehassige, hetzerische Be- richterstattung bedeuten. Hier ergibt sich aus allgemeinen Regeln des Volkerrechts eine staatliche Vorsorge- und Sorgfaltspflicht, die, unabhangig vom „kalten Krieg", jedenfalls von einem immerwahrend neutralen Staat beachtet werden mufi. Die neutralen Staaten Schweden und Schweiz haben sich regelmaBig besondere Einschran- kungen in publizistischer Hinsicht auf- erlegt: das Beispiel der Schweiz be- sitzt fur Osterreich besondere Bedeu- tung, auch wenn man die bekannte Bestimmung des Moskauer Memorandums mangels Vertragscharakter dieses Dokumentes nicht als bindend ansehen will.

Ein Beispiel geben

Aber die dargelegten Verpflichtun- gen beruhen nicht nur auf der irnmer- wahrenden Neutralitat Osterreichs, sondern sie konnen, was vielleicht noch starker wiegt, auf seine Mit- gliedschaft bei den UN und die Bindung an die in der Praambel der Charter niedergelegten Ziele gestiitzt werden. Zu diesen Zielen gehort nicht nur die Vermeidung von Krieg und Gewalt, sondern, viel aktiver, die Auf- rechterhaltung freundschaftlicher und gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den Staaten und das Leben in Tole- ranz gegeniiber alien Volkern (Praambel und Art. 1 [2]). Diese Ziele kon- nen ohne das geforderte Verhalten nicht erreicht werden. DaB die UN- Satzung geltendes Volkerrecht ist, kann nicht bestritten werden: Osterreich ist daher in doppelter Weise an die Pflicht zu Objektivitat, Toleranz und Siche- rung freundschaftlicher Beziehungen zu alien Staaten gebunden, da es einer- seits UN-Mitglied ist und anderseits Art. 9 BVG. die anerkannten Normen des Volkerrechts in das geltende Bundesverfassungsrecht transformiert. Speziell auf dem Gebiet der Forderung des besseren Zusammenlebens der Volker durch Vermeidung einseitiger und hetzerischer Informationstatigkeit exi- stieren auch internationale Abkommen. Der Volkerbund hat Vorarbeiten ge- leistet, und auf dem wichtigen Gebiet des Rundfunkwesens wurde im Jahre 1936 die International convention concerning the use of broadcast in cause of peace geschlossen, die jede falsche, tendenziose, irrefuhrende Berichterstat- tung, jede Aufforderung zu Gewalt, Feindseligkeit und Verachtlichmachung unter Verbot stellte und aktiv ver- langte, daB die Staaten in ihrer Publi- zistik der internationalen Wahrheit dienen. Dabei war es gleichgiiltig, ob die betreffenden Sendungen von Staaten oder Privatleuten ausgingen. Be- dingt durch die damaligen Verhaltnisse kam die Konvention in keine rechte Wirksamkeit: aber als bedeutendes Dokument auf dem Weg zur Objekti- vierung der internationalen Publizistik ist sie fiir das neutrale Osterreich, dessen Rundfunk anerkennenswert um Objektivitat und Standpunktfestigkeit bemuht . ist, nicht. zu iibersehen.

Der Einwand, daB die Machte sich nicht an die international-rechtlich zumindest prinzipiell fixierte Objekti- vitats- und Toleranzpflicht halten, kann nicht entscheidend sein: Die Tatsache des Rechtsbruches rechtfer- tigt vielleicht die Anwendung der Ver- geltung, aber gerade der immerwahrend neutrale Staat als Hort der internatio-

nalen Humanitat sollte sich bemuhen, einen besonderen Beitrag zur Ethisie- rung der internationalen Beziehungen zu leisten. Von den neutralen Staaten ausgehend, konnte eine wirksame Mafiigung der internationalen Polemik eingeleitet werden.

Geistige Landesverteidigung

Dazu gehort allerdings, daB der immerwahrend neutrale Staat seine Meinungsbildung nicht nur objek- tiviert, sondern weiterhin vermeidet, sich in falsch verstandener Objektivi- tat zu isolieren: zur Objektivierung der nationalen Meinungsbildung ist er- forderlich, daB im Staat ein starkes politisches und staatsburgerliches Be- wuBtsein und Interesse best e h t. Standpunktbewufite Stellung- nahme und politische Haltung zu Pro- blemen anderer Staaten und Systeme verlangen erworbene Klarheit uber die eigenen Ansichten, den eigenen Staat und seine Position. Besonders notig ist also die Pflege der „inneren Neutralitat", die eng verwandt ist mit der Pflege des staatsburger- lichen BewuBtseins und des historisch, wirtschaftlich, kulturell und so weiter untermauerten B e k e n n t- nisses zu Osterreich. Auch hier kann die Schweiz als Beispiel dienen, denn die Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft ihrer Burger hat ihre Neutralitat und ihre angesehene Stellung in der Welt sehr gefordert. Gleiches mufite auch fur Ostereich erreicht werden.

Darnit wird die oft gehorte re- signierte Meinung beriihrt, die Neutralitat sei abhangig von dem Willen der GroBmachte, das Neutralitatsstatut zu achten. Die Entscheidungen der Machte im konkreten Fall werden, wie die Beispiele Schwedens, der Schweiz und anderer Staaten zeigen, zu einem betrachtlichen Teil bestimmt durch die Einstellung des Neutralen zu seiner Neutralitat und zur Bereit- schaft, diese aufrechtzuerhalten und zu verteidigen. DaB eine einwandfrei feste, noch dazu historisch gewach- sene Neutralitat, die sich bemuht, beiden Kriegsparteien im erlaubten und wunschenswerten Rahmen beizu- stehen, verletzt wird, ist wesentlich weniger wahrscheinlich als die Nicht- achtung einer schon im Frieden durch Einseitigkeit suspekten Neutralitat.

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