Am Hungertuch - neben vollen Schüsseln

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Das Festhalten am Pflichtzölibat erzeugt jenen spirituellen Notstand, den die Kirche dann "großartig neuevangelisiert".

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Das Festhalten am Pflichtzölibat erzeugt jenen spirituellen Notstand, den die Kirche dann "großartig neuevangelisiert".

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Das Priesterthema ist kein Randthema des "Dialogs", sondern ein zentrales. Deshalb steht der Zölibat - die Lebensform der Priester - an der Spitze aller gewünschten Dialog-Themen. Auch wenn das nicht sehr angenehm sein sollte ...

Vielleicht sind die TV-Bilder der Papstgottesdienste schuld: Sie zeigen bis in letzte Wohnzimmer hinein eine "Modeschau" der Kirchengeschichte: Aus jeder Epoche ist etwas dabei. Das Geschlecht wirkt sich auch aus: Mönche wurden zu Priestern, Ordensfrauen blieben ohne Priesterweihe (sie schmücken den Altar und lesen vor). Das Zweite Vatikanum hat deutlich gespürt, daß sein Aggiornamento die Lösung des Priester-Problems beinhalten müßte. Das Konzil fürchtete sich, machte daher einen Bogen und wurde lieber ein "Bischofskonzil". Die Priester fielen aufs Ganze gesehen durch den Rost der Neuregelungen.

Dieses Ausweichen des Konzils fällt uns jetzt allen massiv auf den Kopf. Natürlich auch beim "Dialog für Österreich". Denn: Ohne Priesterschaft keine sakramentale Seelsorge. So lehrt bisher der Glaube. Das ungelöste Problem aber wächst wie ein Furunkel. Daß der Koloß "katholische Kirche" daher vatikanlastig in den Seilen hängt - wen verwundert das wirklich?

Vereinsamt, überaltert, überfordert Das alles zeigt sich auch in Österreich und will zur Sprache kommen: Die Priesterschaft ist überfordert, überaltert und fühlt sich im Grunde auf die "Wandlungsworte" und die "Absolutionsformel" reduziert. Alles andere können ja Laien auch! Oder? Daraus die bange Frage: Wozu dann Zölibat? Einsamkeit? Wenn man ohne Nachfolger im Pfarrhaus bleibt? Wenn die "junge Elite" sich lieber aus den Gemeinden in die sektenhafte Subkultur der "wahren" Katholiken zurückzieht? Und sich mit "den vielen Leuten" nicht mehr die Hände dreckig machen will? Ja sogar das Gefühl hat, keinen Glauben mehr zu haben, der herzeigbar wäre, der nur den Unterentwickelten etwas bedeutet, weil es ihnen an Bildung mangelt?

Dazu kommt: Von rund 500.000 Priestern weltweit sind etwa 100.000 verheiratet und daher kirchenrechtlich amtsbehindert. Der Klerus ist dreigeteilt: Einer 1. Gruppe zölibatärer, folgt die 2. Gruppe der mit einer Frau liierten im Amt und die 3. Gruppe der in Ehren verheirateten, aber ehrlos aus dem Amt verwiesenen Priester. Das ist nicht gut so.

Das ist die destruktive Frucht eines wider besseres Wissen aufrechterhaltenen Zölibatsgesetzes. Nach rund tausend Jahren fällt niemandem mehr ein neues Argument ein. Alles bekannt. Handeln ist notwendig!

Das Charisma der freigewählten Ehelosigkeit steht außer Streit, aber die absurd-unerbittliche Amtsenthebung derjenigen, die heiraten, entehrt die Frauen, die Kinder und auch die Gesamtkirche. Und produziert schweren Schaden auf seiten der Frauen und Kinder ...

Natürlich haben alle verheirateten Priester ihre einstige Zusage des Zölibats zurückgenommen. Darüber kann in Ordinariaten kein Jubel ausbrechen, auch nicht beim "Dialog". Aber wo kämen wir als Christen hin, wenn die Korrektur einer Entscheidung aus Wahrheitsgründen nicht möglich sein sollte, zumal Priester ja nicht um des "Himmelreiches willen", sondern "um der Priesterweihe willen" einst den Zölibat riskiert hatten?

Dazu kommt, daß dieser Zölibat wohl einer heidnischen Tabu-Magie entspricht, nicht aber dem Abendmahlsgeschehen. Bekanntlich saßen mit Jesus fast nur verheiratete Männer zu Tisch! (Wenn Frauen wegen dieses Abendmahlstisches nicht Priester werden dürfen, dann ist der zölibatäre Klerus sehr amtsgefährdet ...)

Die nächste Schwierigkeit lauert gleich dahinter: Läßt sich schon der Zölibat nicht wirklich argumentieren, wie dann das "Priestertum"?

Mit gutem Grunde verwendet das Neue Testament das übliche Wort "Hiereus" nicht und sagt lieber: "Ältester", "Presbyter" und ähnliches.

Wollte Jesus diese Priester?

Ein Priester im Sinne der heidnischen Religionen ist ein Opferexperte. Sein Tempel gleicht einem Schlachthaus und sein Altar einer Schlachtbank (Brandopfer detto). Es mußte geopfert werden, weil gemordet worden war (in der Bibel: Kain und Abel). Die lauernde Mordlust ("Erbsünde") muß durch einen stellvertretend Gemordeten rasch gesühnt werden, sonst droht Blutrache auszubrechen. Daher: Ohne Priester keine Opfer, ohne Opfer Rachegemetzel rundum. Zur Zeit Jesu rochen antike Städte nach verbranntem Opferfleisch, weil man so dachte.

Vielleicht verstehen wir heute besser, warum Jesus kein Priester war, daß er "ein für allemal" als endgültig letzter "Hohepriester" mit allen diesen Opfern, Altären und Tempeln Schluß gemacht hat. Denn auf diese Weise wurden Menschen religiös ermordet und dann behauptet, Gott sei ein Böser, der das so wolle. Eine blasphemische Denunziation! Jesus sagt: "Gott ist die Liebe!" Und "Er ist Licht und keinerlei Schatten ist in Ihm!" lehrt das Neue Testament.

Die ersten Christengenerationen sahen sich deshalb als "Heilige Priesterschaft", als "Könige", als "lebendiger Tempel", ja als "Glieder am geheimnisvoll-lebendigen Leib Christi". Das war die Frucht des Sieges Jesu über die Todesmacht. Sich auch unter Todesdrohung nicht mehr vom Weg Gottes abbringen zu lassen, gehörte zum christlichen Weg. Deshalb gab es den Tisch und Häuser für die Eucharistiefeier, das genügte. Eine Situation, die uns gar nicht so fremd ist, gäbe es nicht einige hundert Jahre religiös-sakrifiziellen Rückfalles hinter uns und falsch verstandene Loyalität zu dieser bedauerlichen Tradition rund um uns. Das schlägt sich bis heute im Typus der Priesterausbildung nieder: Hier der konservativ-katholische Opferpriester - und da der progressiv-katholische Seelsorger. Ein Moment gefährlicher Spannung unter uns - ein eminentes Dialogthema!

Warum diese (plakative) Weitschweifigkeit? - Weil man das wissen muß, um konservative Christen (samt Papst und Kurie) ebenso verstehen zu können wie Progressive mit dem Kirchenvolks-Begehren. Ihre Weltbilder, Gefühle und Lebensformen hatten ihre spirituelle Glut, verdient Respekt ...

Trotzdem: Die Kirche bildet sich rund um den Auferstandenen Jesus. Und zwar "heute und jetzt". Darum drängt der Geist von der guten Tradition zu nehmen (ein Fuß hinten) und Neues zu riskieren (ein Fuß vorne). Ohne diesen Spagat geht nichts mehr.

Gerade aus dieser Spannung begreifen wir die Jesuanische Offenbarung, und was uns geschenkt wurde, daß sie einzigartig, ja kostbar ist! (Auch wenn die Kirche, also wir alle, Mühe haben, unter dem Gebläse der vielen Zeitgeister den milden Hauch Jesu zu realisieren. Das kostet es eben!)

Spirituelle Verwahrlosung Deshalb gilt für den "Dialog": * Es gibt eigentlich keine "priesterliche Lebensform", sondern vor allem eine christliche! (Charisma und der Aufgabenbereich setzen die Akzente, das ist alles.)

* Getaufte sind "Seelsorge-Priester" für die Welt - "geweihte Priester" sind dasselbe für die Getauften.

* Natürlich gilt: "... weder Mann noch Frau, sondern beide sind eins in Christus!" (Paulus im Galaterbrief) * Natürlich besteht die Lebensform christlicher Priester aus "Glaube - Hoffnung - Liebe".

* Natürlich zählt nicht Ehe oder Ehelosigkeit - weil beides um des "Himmelreiches willen" gelebt wird. (Und weil man erotiklos nicht lieben lernen kann!)

* Natürlich gehört zur christlichen - besonders priesterlichen - Lebensform das gelebte (Stunden-)Gebet und die geliebte Liturgie. Samt "Kunst des Feierns" und einem Herzen für die Seelsorge ...

* Natürlich gibt es viele Priester - und viele, die es gerne werden würden: Schon jetzt stehen den rund 700 offenen traditionellen Seelsorgestellen 650 verheiratete amtsbehinderte Priester gegenüber. Rund 250 würden über Anfrage priesterliche Dienste übernehmen. Jede Gemeinde könnte wieder eine Eucharistiefeier haben - nahezu ohne finanziellen Aufwand.

Daß Bischöfe statt dessen Autokilometer empfehlen, führt zur spirituellen Verwahrlosung vieler Gemeinden - und zum Beispiel in Wien zum Absinken der Katholikenzahl unter 50 Prozent. Das bedeutet: Man erzeugt jenen Notstand, der hinterher großartig "neuevangelisiert" wird! Ist es nicht so?

Das kann's doch wirklich nicht sein! Neben vollen Schüsseln am Hungertuch nagen? Darüber muß im "Dialog" offen geredet werden!

Der Autor ist Psychotherapeut in Wien (und gehört nach der Definiton in obigem Beitrag zur "3." Klerusgruppe: "in Ehren verheiratet, ehrlos aus dem Amt verwiesen").

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