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Der Herde vorangehen

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Auf dem Hintergrund des anhaltenden Priestermangels auch in Österreich zeichnet der Bischof der Diözese Graz-Seckau das Bild des Priesters als Hir-te und seiner Verantwortung für die Herde.

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Auf dem Hintergrund des anhaltenden Priestermangels auch in Österreich zeichnet der Bischof der Diözese Graz-Seckau das Bild des Priesters als Hir-te und seiner Verantwortung für die Herde.

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In den Worten des Johannes-Evangeliums „Er geht ihnen voraus" (10,4) ist die Rede vom Hirten Jesus Christus und es ist ebenso die Rede vom katholischen Priester.

Die Bibel redet vom Hirten. Die gesamte Tradition der katholischen Kirche ebenfalls. Sie versteht darunter den Priester, den Bischof, den Papst. Der Hirte trägt im Namen der Kirche Sorge und Verantwortung, daß die Gemeinschaft mit der ganzen Kirche gewahrt wird. Daß das Wort Gottes nicht verstummt, daß die Sakramente recht gespendet werden. Er tut es nicht im eigenen Namen, nicht von der Herde dazu ernannt, sondern weil er im Namen Christi vor den Seinen steht, Christus repräsentiert und zugleich mit den Seinen lebt. Er geht mit ihnen und er geht ihnen voraus zum endgültigen Reich Gottes.

Das Konzil hat die Kirche in ihrer ganzen Weite und Größe abgetastet, ihre Schönheiten und ihre Möglichkeiten ausgesprochen. Mit Recht hat es das allgemeine Priestertum hervorgehoben. Man wußte aufs neue vom gemeinsamen Dienst der Kirche, von der gemeinsamen Beauftragung zur Evangelisierung. Die „Brüderlichkeit" der Priester und Laien war keine Phrase mehr. Mancherorts meinte man die Konsequenz der völlig gemeinsamen Ausbildung von Priestern und Laien ziehen zu müssen.

Es ist aber auch kritisch zu fragen, ob heute unser Denken, Reden, Schreiben und Handeln noch im Lot sind. Die hohe Zahl von Priestern, die in den siebziger Jahren ihr Amt aufgegeben haben, die bis vor kurzem ständig geringer werdende Zahl von Bewerbern für dieses Amt — das alles verträgt keine schnellen Antworten. Wohin läuft das nun heute? Wollen wir dem biblischen Bild vom Hirten — und alle Bilder der Bibel sind auch Aufforderungen— gerecht werden?

Da können Priester selber den Rückzug antreten in eineFeier um ihrer selbst willen. Ebenso gibt es die Faszination eines Paradieses auf Erden und unversehens bekommt Gott den Namen „Friede" oder „Befreiung".

Die Bibel aber spricht vom Hirten.

Wir haben sehr wohl dafür einzutreten, daß sich die Gemeinden nicht bloß versorgen lassen, sondem auch selbst sorgen. Die Beauftragung und Befähigung durch Taufe und Firmung, die jedem geschenkt wird, dürfen nicht in Frage gestellt werden — aber der Hirte muß unerschrocken vorangehen. Er ist kein bezahlter Knecht, der sich heraushalten darf, wenn die Wölfe diverser Interessen die Herde auseinanderjagen (Joh 10,12).

Das heißt: Der Priesterberuf ist nicht nur zu erlernen, man wird vor allem dazu berufen. Die Antwort auf die Berufung ist die persönliche, unverdrossene Liebe zum Herrn Jesus und seiner Herde, seiner Kirche — so, wie es Petrus trotz seiner Niederlagen seinem Meister gesagt hat (Joh 21,17).

Die Stimme des Hirten wird gehört, weil er etwas zu sagen hat (Joh 10,3). Und sagen muß: Nicht von sich aus, sondern weil er beauftragt und gesendet ist vom Eigentümer der Herde. Der Eigentümer hat sein Blut für die Herde gegeben. Und er will, daß sie heimgeführt wird aus aller Zerstreuung.

Der von ihm beauftragte Hirte hat geistliche Kompetenz, sei es in der Predigt, sei es im Unterricht, in der geistlichen Führung, in der Leitung der Gemeinde und vor allem und insbesondere bei den Sakramenten. Es mögen andere bessere Redner sein, er aber — und auch der Diakon — haben einmal gesagt: „Adsum — ich bin bereit"— und er hat sich auf den Boden geworfen.

Er hat verzichtet, Kinder zu haben und wird — wenn er wirklich Hirte sein will — überwältigt werden vom Wachstum der Herde. Noch kaum einmal gab es so viele Laien, die im beruflichen und ehrenamtlichen Dienst in der Kirche mitgesorgt, mitverantwortet, mitgelehrt haben. Und man nehme alles zusammen: Es gibt mehr Leben in unserer Kirche, als wir oft nachrechnen.

Doch es gibt auch die stumme, die schweigende, die verirrte Herde. Es gibt die 90 oder 80 oder 70 Prozent, die wohl zur Kirche zählen, aber in ihr nicht sichtbar werden. Sie brauchen die Stimme und den Dienst des Hirten!

Wer — wenn auch mit geziemendem Bedauern — über die geringe Zahl klagt und deshalb eine Änderung des Priesteramtes verlangt, die eigentlich den freien Zutritt dazu bedeutet, bereitet in Wirklichkeit das Schrumpfen, ja das Verdorren dieses neuen Reichtums vor. So wie es eine Verdorrung wäre, wenn das Apo-stolat der vielen Leute des Volkes, der „Ehrenamtlichen", ersetzt wird durch bezahlte Mitarbeit.

Aber heißt das nun nicht doch — wenn wir so auf den Priester drängen — eine neue Klerikalisie-rung?

Die Antwort steht bei Johannes 10, 11: „Er gibt sein Leben." Der Herr ließ seine Freunde nicht im Unklaren, daß es dem Jünger nicht besser gehen wird als dem Meister (Mt 10,25). Ich weiß, der Priester kann bekömmlich leben, Ersatz suchen, wehleidig und sonderlich werden. Er kann sich als Kirchenreformator gebärden und sich zugleich weigern, bei einem Mitbruder auszuhelfen.

Das alles ist möglich. Aber die Kirche kann nicht locker lassen: Es muß Hirten geben, aber sie müssen verwundet bleiben.

Die Ehelosigkeit bleibt eine offene Wunde. Sich in der säkularisierten Welt unerschrocken als Priester auszuweisen und die Wahrheit von Gott zu sagen, wird Wunden eintragen. Man kann versuchen, sie zu betäuben durch Kameraderie und eifrigen Betrieb. Aber die Wunde des Hirten bleibt. Und so darf er vorangehen, weil ihn das Geheimnis Christi berührt hat: das verwundete Herz des Herrn.

Oftmals war die Kirche eines Landes versucht zu sagen: Es gebe doch so einfache Lösungen unserer Not, denn sie sei ja bloß selbst verschuldet — der Papst oder sonst wer würde doch nachgeben müssen. Doch die Dinge sind wohl etwas schwieriger, nein, tiefer. So, wie auch Christus Ärgernis und Torheit geblieben ist (1 Kor 1,23).

Soll die Kirche keine Vision mehr haben? Doch, sie hat sie. Reduzierung allerdings ist keine Vision. Die weltweite — und nun auch in Österreich spürbare — Zunahme von Bewerbern um das Priesteramt ist eine Vision. Wir können einiges dazu beitragen, daß daraus nicht eine Utopie wird.

Schließlich sei es noch erlaubt, in eigener Sache etwas zu sagen: Für die Bischöfe hat man das unrichtige Wort „Amtskirche" erfunden. Man möge nicht vergessen, daß wir zuerst Priester sind. Wir sind Hirten. Wir haben kein Interesse, Fürsten zu sein. Es kann uns elend zumute sein, wenn wir ratlos sind. Aber wir wissen, daß die Herde uns braucht. Wir werden also weiter in die Pfarren kommen, firmen, lehren, zuhören, leiten, den Menschen unserer Diözese dankbar sein und eines Tages den Hirtenstab wieder abgeben. Aber alle sollen von uns wissen: Wie immer du beschaffen bist — wir haben in dir einen Hirten, nicht aus eigener Vollmacht, nicht aus der Gunst jeweiliger Meinungen, sondern gesandt vom einen Guten Hirten. Um uns seine Stimme verstehbar zu machen. Und auch etwas von seinem Herzen.

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