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Neuer Stil im Hohen Haus?

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Man konnte die Ereignisse, die am vergangenen Donnerstagabend das Hohe Haus minutenlang er- schutterten, einfach mit dem Wort Hitzekolier Oder Ulbermudung klas- sifizieren, aber das ginge am Kern der Sache vorbei. GewiB hat die Ubermiudung der sozialistischen Ab- geordneten einen nicht unwesent- lichen Anteil an jener Explosion ge- habt, die aus heiterem Himmel uber die vollig verdutzten Abgeordneten niederging. Hatten die Sozialisten doth seit dem friihen Nachmittag bis in die spaten Abendstunden fast allein die Debatte bestritten und da- mit, wenigstens zum Teil, selbst eine Ermudung des parlamenta- rischen Gegners beabsichtigt. In die bittere Enttauschung vom Fehl- schlag dieser Taktik geriet ein Antrag der Volkspartei, dessen Titel vielleicht nicht sehr geschickt for- muliert war, und der Antrag des Klubobmannes der OVP, auszuzah- len, trieb die Sozialisten zur WeiB- glut und fuhrte zu den bekannten Zornesausbriichen, in deren Verlauf der sozialistische Klubsekretar den ehemaligen Innenminister nur mit Miihe von Tatlichkeiten zuriickhal- ten konnte. Seither sind die Tage der Budgetdebatte wieder ruhig ver- laufen, geradezu friedlich, fast wie wenn alle erschrocken uber die Vor- gange nun versuchen, nur ja keinen neuen AnlaB zum Streit zu geben.

Und doch ist der vergangene Donnerstagabend ein Symptom fur viele Mangel, die sich jetzt in dem aus dem ruhigen Wasser der Koalition in die stiirmische See des Regierungspartei-Opposition- Verhaltnisses gesturzten Parlament zeigen. Kaum jemand konnte sich ein Bild davon machen, wie ein „aufgewertetes“ Parlament arbeiten wird, kaum jemand hat sich auf die neuen Arbeitsverhaltnisse ein- gestellt. Im Gefolge der Ereignisse der vorigen Woche erhob die OVP den Vorwurf gegen die SPO, sie ruiniere den parlamentarischen Apparat. Nun ist daran etwas Wahres. Der parlamentarische Apparat, der in der Koalitionszeit ge- niigte, um in grbBeren Zeitabstan- den eine Sitzung uber die Biihne gehen zu lassen, kann — und das gilt von der Parlamentsdirektion herab bis zu den letzten Steno- graphen — das nun anfallende Arbeitspensum kaum bewaltigen: Standige AusschuBsitzungen, eine Unzahl von zusatzlichen Antragen und Arbeiten bei vollig ungeniigen- dem Personal. So stehen der Parlamentsdirektion, abziiglich der den Klubs beigegebenen Akademiker, nur neun Akademiker zur Ver- fiigung (I). Zud.em fehlt der Parlamentsdirektion eine feste Geschafts- verteilung, was zu vielfach undkono- mischem Einsatz der an sich schon sparlichen Beamten fuhrt. Die Stenographen haben zwar fruher auch nicht geschlafen, aber nicht nur die Arbeit in den Ausschussen, auch der Stil der Arbeit im Plenum hat sich geandert: Mehr und langere Zwischenrufe sind eine Folge der Verlagerung des politischen Schwer- gewichts in das Parlament. Dazu kommt noch eine technisch unzu- reichende Ausriistung. So lag zum Beispiel im Fall der eingangs erwahn- ten Budgetsitzung nicht einmal alien Abgeordneten der Text des strittigen Antrags vor. Nur der OVP- Klub hatte ihn fur seine Mitglieder abziehen lassen. Es miiBte das doch fur alle Abgeordneten moglich sein. Es ist selbst von einem Abgeordneten zu viel verlangt, daB er sich um 22 Uhr noch an den Wortlaut eines Antrages erinnem kann, der am Nachmittag eingebracht wurde.

Das Parlament und nicht mehr die Regierung ist nun das Forum der SPO. Ein Forum, in dem sie sich allerdings selbst noch nicht ziurecht- gefunden hat. Aber auch die Abgeordneten der OVP sind in ihre neue Rolle noch nicht hinein- gewachsen. „Aufwertung“ kann nicht von heute auf morgen erfol- gen, sondem wie ein unmundiges Kind erst langsam heranwachst, so muB auch das Parlament erst langsam die Kinderschuhe, die es als Vollzugsmaschine der Koalition an- hatte, ablegen.

In der Frage der Behandlung der Themen in den Ausschussen und im Plenum liegen die Reibungspunkte zwischen Rechts und Links. Was fruher durch das Sieb des Koalitons- ausschusses, dutch Unterausschiisse im vorparlamentarischen Raum ging, liegt nun gleich dem Hohen Haus vor, kann mit den Stimmen der Mehrheit beschlossen werden, ohne daB die Minderheit etwas da- gegen tun konnte. Nur reden! Dieses Gefuhl der Ohnmacht verargert die Sozialisten, vielleicht auch nicht zu Unrecht. Denn nicht alles, was an Kompromissen in der Koalitionszeit ausgehandelt wurde, war schon des- wegen schlecht. Vier Augen sehen eben mehr als zwei, und wenn schon berechtigte Griinde fiir die Nicht- beachtung der Oppositionsantrage sprechen, so muB man das die Opposition wenigstens nicht fiihlen lassen. Wenn der Abgeordnete Staribacher von der SPO am Montag bei der Debatte des Kapitels Innenes meinte, der Verzicht der Minister auf das jeweilige SchluB- wort nach ihrem Budgetkapitel sei eine MiBachtung der Opposition, so kann man das dahinterstehende menschliche Problem nicht ver- leugnen. Mehr Offenheit von Links und Rechts konnte nicht schaden!

Aber vielleicht ist die Frage des neuen Stils auch eine Generationen- frage. Ein Parlament, in dem die eine Halfte wufite, sie kann ohne die andere nichts ausrichten, kann sich eben nicht von heute auf morgen umstellen. SchlieBlich scheint man ja auch in den Parteisekretariaten nicht an die nun ins Haus gestan- dene Aufwertung geglaubt zu haben, sonst hatte wohl mancher Abgeordnete nicht den Weg auf die Kan- didatenliste gefunden.

Nicht zuletzt muBte sich auch der President des Hohen Hauses in diesen Tagen wegen seiner Amtsfiih- rung angegriffen sehen. Der Paragraph 7, Absatz 2 der Geschaftsord- nung des Nationalrates schreibt dem Prasidenten, der sonst relativ selb- standig die Verhandlungen leitet, doch eindeutig die Bindung an die Geschaftsordnung vor. Nun steht einer im Rahmen des Gesetzes liegenden Auslegung der Geschaftsordnung nichts im Weg, aber Dinge einfach zu ubersehen, durfte nicht vorkommen, und vielleicht hatte auch der Donnerstag der vorigen Woche anders verlaufen konnen. Wir alle schatzen das Bemuhen des Prasidenten, uber den Dingen zu stehen und die Leitung der Parla- mentsgeschafte und des Sitzungs- ablaufes aus dem Parteienstreit herauszuhalten, aber es konnte eine Zeit kommen, wo man nicht jedem recht geben kann, und dann ist es besser, Harte schon in ruhigeren Zeiten richtig angewandt zu haben.

Das Hohe Haus steht an der Spitze der Reform, die von unserer Republik im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens gefordert wird, damit es aber eine echte Reform ist, muB es eine Reform an Haupt und Gliedem sein. Der Wille scheint dazusein, auch das Haupt zu reformieren, mit ein wenig Einfuhlungsvermogen und menschlichem Verstandnis miiBte das auch gelingen.

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