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Links und „links“

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Als der durch Kriegseinwirkung zerstörte Abgeordnetensaal des österreichischen Parlamentes wieder hergestellt werden sollte, schlug der damalige Präsident Dr. Felix Hurdes vor, man möge von der im bisherigen österreichischen Parlament üblichen „Arenagestalt“ des Abgeordnetenhauses abgehen und dafür die Raumgestaltung des britischen Unterhauses einführen.

Dieses Unterhaus besteht aus einem langgestreckten Saal. In der Mitte der einen Breitseite befindet sich der Sitz des „Speakers“, des Präsidenten, der eine ähnliche Stellung wie der britische Richter im englischen Gerichtsverfahren hat: Er mischt sich so gut wie gar nicht in die Verhandlungen ein, sondern achtet nur darauf, daß die Spielregeln nicht verletzt werden.

Rechts und links, an den Längsseiten, befinden sich, in Stufenform ansteigend, die Sitze der Abgeordneten.

Rechts vom Speaker sitzt jeweils die regierende Partei und hier in der ersten Reihe die Regierung. Es gibt somit im britischen Parlament keine eigentliche Regierungsbank, wie sie sich im österreichischen Parlament und in vielen kontinentalen Parlamenten vorfindet. England ist eine parlamentarische Demokratie, wer nicht Abgeordneter ist, kann nicht Minister werden. Ein sogenanntes Beamtenkabinett ist in Großbritannien unmöglich. Dr. Waldheim und Dr. Kirchschläger, General Freihsler und Brigadier Lütgendorf hättten in Großbritannien niemals Minister werden können.

Links vom Speaker sitzt jeweils die Opposition, mag es sich um Konservative, Liberale oder Sozialisten handeln. „Rechte“ können somit auch Sozialisten sein, wenn ihre Partei die Regierung bildet. „Linke“ können auch Konservative sein, nämlich dann, wenn sich die Konservativen in Opposition befinden.

„Links“ ist somit nach britischem Sprachgebrauch die Bezeichnung für die Oppositionsrolle einer Partei. Etwas anderes heißt dies gar nicht.

Eine Besonderheit des britischen Parlaments besteht noch darin, daß das Parlament kein Rednerpult für die Reden der Abgeordneten kennt. Die Abgeordneten, auch die Regierungsmitglieder, müssen jeweils — in freier Rede — von ihren Sitzen aus sprechen. Durch diese Bestimmung ist fast jede Diskussion im britischen Parlament von einer außerordentlichen Lebhaftigkeit und Intensität.

Dr. Hurdes drang mit. seinem Vorschlag, den Sitzungssaal des österreichischen Abgeordnetenhauses nach britischem Muster zu gestalten, nicht durch. Der Sitzungssaal wurde wieder in der üblichen „Arena“-Form gestaltet, wie er seit je im österreichischen Parlament bestand und wie er auch in fast allen europäischen Parlamenten existiert.

Diese Gestalt der Sitzungssäle der europäischen Parlamente ist zunächst ein Ausdruck der Rückzugsgefechte der einst absoluten Herrscher gegen das immer stärkere Eindringen des demokratischen Geistes in die Politik. In den absoluten Monarchien waren die Kabinette eigentlich der verlängerte Arm des Souveräns. Sie waren nur ihm verantwortlich. Auch mit dem Aufkommen der Parlamente blieben sie weiterhin der verlängerte Arm des Souveräns, in erster Linie nach wie vor ihm verantwortlich und nur nach und nach auch dem Parlament. In allen kontinentaleuropäischen Parlamenten besteht deshalb eine eigene

Ministerbank, die sich in Frontalstellung zur Arena der Abgeordneten und über den Sitzen der Abgeordneten befindet.

Auch in den kontinentalen Parlamenten sprach man von den Parteien als von „Linken“ und „Rechten“, je nachdem, ob sie links oder rechts vom Präsidenten saßen. Aber diese Bezeichnung hat nichts mehr mit der englischen gemein. Sie war eine Art Bekenntnis zu einer Weltanschauung. Aus dem britischen Parlamentarismus hatte man die Bezeichnung „Links“ als ein Firmenschild für „Opposition“ übernommen. In Opposition befanden sich aber in erster Linie alle jene Abgeordneten, die Parteien angehörten, die die bestehende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnung ablehnten. Das waren zunächst die Liberalen, dann die Sozialisten und schließlich die Kommunisten.

Natürlich kann man heute nicht mehr den Saal des österreichischen Parlaments umbauen, aber man könnte zwei kleine Reformen ohne viel Aufhebens und ohne jedwede Kosten durchführen:

• Die Partei, die die Regierung stellt, sollte jeweils rechts vom Präsidenten sitzen, die Opposition dagegen links. Der Nimbus von Weltanschauung, der allen österreichischen Parteien anhaftet, würde dadurch etwas ins rechte Licht gerückt werden. Es täte außerdem vielleicht den Sozialisten recht gut, wenn sie einmal „Rechte“ und der ÖVP, wenn sie „Linke“ wären.

• Die Abgeordneten sollten nicht vom Pult, das sich vor der Ministerbank befindet, sprechen, sondern von ihren jeweiligen Sitzen. Im alten Reichsrat war dies schon der Fall, obwohl es damals noch keine Lautsprecheranlage gab. Im heutigen Abgeordnetenhaus wäre dies ohne weiteres technisch möglich, da eine solche Lautsprecheranlage bereits bei jedem Sitz eingebaut ist. In der Fragestunde, wenn der Abgeordnete eine Zusatzfrage stellt, muß er ohnedies bereits jetzt von seinem Platz sprechen.

Warum diese Reform? Dadurch käme viel deutlicher zum Ausdruck, daß das Parlament die Regierung zu kontrollieren hat. Wenn heute ein Abgeordneter vom Rednerpult spricht, kommt er zunächst in die Versuchung, seine Rede nicht frei zu halten, sondern abzulesen, wodurch viele Reden tödlich langweilig werden. Vor allem aber wendet er der Regierung den Rük-ken zu, und im Fernsehen ist nur zu oft zu bemerken, wie die Regierungsmitglieder sich in keiner Weise „angesprochen“ fühlen.

Die Rede eines Abgeordneten vom Rednerpult ist nach österreichischer Ansicht als eine Diskussion unter Abgeordneten gedacht. Das ist richtig, denn im Parlament sollen die Abgeordneten diskutieren. Aber durch diese Diskussion sollen die Abgeordneten vor allem der Regierung Vorschläge machen oder an ihr Kritik üben, vor allem aber sie kontrollieren. Denn nicht die Regierung, sondern das Parlament ist der Souverän. Aber optisch hat der österrei-: eher oft den Eindruck, daß die Regierung über dem Parlament im wahrsten Sinne des Wortes „thront“.

Die Durchführung dieser zwei kleinen Reformen würde, wie gesagt, keine Schwierigkeiten bereiten. Aber sie würden doch vieles im parlamentarischen Leben Österreichs erst in die rechte Stellung rücken. Denn man unterschätze nicht äußere Zeichen. Sie sind immer nur Ausdruck einer inneren Haltung.

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