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England ist anders
„Die Furche“ hat für die Sitzordnung im Plenarsaal des Nationalrates eine Reihe interessanter Reformen nach dem Vorbild des britischen Unterhauses vorgeschlagen. Sie ist der Meinung, daß die jeweilige Oppositionspartei auf der linken Seite des Hauses sitzen sollte. Die beiden Großparteien müßten daher ihre traditionellen Plätze wechseln. Ich gebe daher zu bedenken, daß die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ in Österreich, seit es überhaupt Parteien gibt, politische Standortbegriffe sind. Literatur und Publizistik bedienen sich ihrer; die Kommentatoren der Tagespresse verwenden sie fast täglich. Jeder Österreicher weiß somit, was damit gemeint ist, wenn von der politischen Auseinandersetzung zwischen „links“ und „rechts“ die Rede ist. Diese Begriffe sind daher im Bewußtsein der Bevölkerung fest verwurzelt. Der Platzwechsel würde also sicher zu einer ständigen Begriffsverwirrung führen.
Sicher basiert die Sitzordnung im britischen Unterhaus auf einer jahrhundertealten Tradition, die man jedoch der völlig andersartigen Tradition der kontinentaleuropäischen Parlamente nicht aufoktroyieren sollte. Diese Traditionen haben nämlich den Baustil geprägt. Das österreichische Parlament hat somit eine halbkreisförmige, in Stufen ansteigende Arenaform, während der Plenarsaal des britischen Unterhauses einen ebenen, rechteckigen Grundriß hat. Die Abgeordneten sitzen daher einander gegenüber, weil die Bänke parallel mit den Längsseiten des Saales verlaufen. Der Mittelgang, der die Bühne trennt, führt zum Sitz des Speakers.
Es ist zwar richtig, daß vor Beginn der Restaurierung des bombenzerstörten Nationalrats-Sitzungssaales kurz über eine Änderung der Sitzordnung diskutiert worden ist. Sie war aber völlig undurchführbar, weil ja die Arenagestalt des Saales — zerstört waren lediglich Decke und Inneneinrichtung — erhalten war. Die zur Einführung der britischen Sitzordnung notwendigen Einbauten wären daher nicht nur stilwidrig, sondern überhaupt undurchführbar gewesen. Man hätte sich zu einem völligen Umbau entschließen müssen, der die geschlossene Form des Parlamentsgebäudes zerstört hätte — ganz abgesehen von den damit verbundenen Mehrkosten.
Sicherlich ist der Hinweis der „Furche“, daß in unserem Parlament die Regierung über den Abgeordneten „thront“, nicht unberechtigt; auch die Tatsache, daß der Redner den Ministern den Rücken zuwendet, die sich ja doch „angesprochen“ fühlen sollten, ist unleugbar richtig. Die Lösung des Problems ist jedoch durch die oben erwähnte Grundtatsache der Form des Sitzungssaales erschwert. Natürlich konnten die Abgeordneten auch von den Sitzplätzen aus sprechen, wie dies ja auch tatsächlich in der Fragestunde der Fall ist. Aber zwischen kurzen Fragen und einer langen Rede besteht ein wesentlicher Unterschied. Man stelle sich nur einen Abgeordneten in den rückwärtigen Bankreihen vor, der nun zwar die Regierung von Angesicht zu Angesicht sieht, dafür aber die Rücken aller Abgeordneten vor sich hat.
Vielleicht kennzeichnen noch einige andere Bemerkungen und Hinweise den Unterschied zwischen dem britischen und den kontinentaleuropäischen Parlamenten: das britische Unterhaus ist gewissermaßen ein
Klub; überdies besitzen nicht einmal sämtliche Abgeordnete einen Sitzplatz. Da natürlich auch dort, in der Mutter der Parlamente — was in Österreich immer wieder schwer kritisiert wird — viele Abgeordnete nicht immer im Sitzungssaal sind, so ist das freilich nur dann edn Problem, wenn es sich um eine große Debatte handelt.
Wenn ich aus den dargelegten Gründen persönlich auch nicht mit den interessanten Reformvorschlägen konform gehe, so möchte ich doch betonen, daß jeder Diskussionsbeitrag in den Massenmedien zur Verlebendigung des Parlamentarismus von großem Wert ist, veranlaßt er doch breitere Bevölkerungskreise, sich mit dem Parlament intensiver auseinanderzusetzen. Der „Furche“ muß daher für ihre kritischen Anregungen gedankt werden.
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