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Und bei einer Koalition?
Was in der räumlichen Gestaltung des britischen Unterhauses und seiner Sitzordnung sichtbaren Ausdruck findet, ist das System des englischen Parlamentarismus, der sich bekanntlich von dem der anderen europäischen Demokratien sehr wesentlich unterscheidet. Schon deshalb sind Vorbehalte anzumelden, wenn Besonderheiten des House of Commons zur Nachahmung empfohlen werden.
Der wesentlichste Unterschied, der bei einer Gegenüberstellung des österreichischen Nationalrates mit dem britischen Unterhaus ins Auge springt, ist der der Wahlsysteme, auf Grund derer sich diese beiden Häuser zusammensetzen.
In einem Land, in dem das Mehrheitswahlrecht gilt, läßt sich die Konfrontation zwischen Regierungspartei und Opposition durch die sehr simple Standortbestimmung „rechts und links vom Speaker“ versinnbildlichen.
Im Gagensatz zur Mehrheitswahl, deren primärer Zweck die Bildung einer Einparteienregierung ist, steht das in Österreich geltende Verhältniswahlrecht, das der Vielfalt relevanter Meinungen den Vorrang einräumt und daher wechselnde Mehrheiten ebenso wie die Bildung von Koalitionen begünstigt.
Wäre die Verwirklichung des Vorschlags, auch bei uns die Regierungsparteien) — nur eine in Klammer gesetzte Wortendung und doch ein großer Unterschied! — rechts vom Präsidenten, die Opposition links von ihm zu placieren, bei einer „kleinen Koalition“ wegen Platzmangels schon schwierig genug, so würde dieses Vorhaben im Falle einer „großen Koalition“ vollends ad absurdum geführt. (Was aber kein Plädoyer für eine Rückkehr in die Zeit vor 1966 sein soll!)
Ebenso wie die Sitzordnung des britischen Unterhauses dem dortigen System optimal gerecht wird, ist meines Erachtens auch die Arena-Gestalt unseres Nationalrates im großen und ganzen „systemkonform“. Daß die technischen Einrichtungen sowie die Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten — hier möchte ich mich als österreichischer Parlamentarier nur auf die hiesigen Verhältnisse beziehen — dringend einschneidender Verbesserungen bedürfen, steht auf einem anderen Blatt.
Wenn ferner vorgeschlagen wird, es sollten die Abgeordneten nicht von dem Pult, das sich vor der Ministerbank befindet, sondern von ihrem Platz aus sprechen, so ist in diesem Zusammenhang folgendes zu bedenken: Daß das Parlament in seiner Gesamtheit der Regierung kontrollierend gegenübergestellt sei, ist ja nur noch eine Fiktion. In der Wirklichkeit unserer Demokratie stehen einander auf der einen Seite Regierung und Regierungsfrak-tion(en) und auf der anderen Seite die Oppositionsfraktion(en) gegenüber. Eine Regierungsfraktion betrachtet es als ihre primäre Aufgabe, ihre Regierung parlamentarisch zu unterstützen und gegen oppositionelle Kritik in Schutz zu nehmen.
Würden nun die Abgeordneten — auch die der Regierungsfraktion — von ihrem Platz aus, also der Regierungsbank zugewandt, sprechen, so entstünde eine Optik, die den heutigen Verhältnissen im Hinblick auf das oben Gesagte nicht gerecht würde.
Die — gerade von uns Freiheitlichen seit jeher vertretene — Forderung, daß alle Abgeordneten im In-
Photo: Kern teresse einer lebendigen Diskussion zur freien Rede verhalten sein mögen, hängt nicht notwendigerweise mit der Frage zusammen, von welchem Platz aus ein Redner spricht oder eben (wie dies leider häufig vorkommt) liest. Die Geschäftsordnung böte hier eine ausreichende Handhabe.
Zusammenfassend sei mir noch diese Bemerkung gestattet: Wenn meine persönliche Stellungnahme zu dem in der „Furche“ veröffentlichten Vorschlag einer „kleinen Parlamentsreform“ nicht positiv ausgefallen ist, so darf daraus keinesfalls etwa auf eine wenig reformfreudige Haltung geschlossen werden. Vielmehr halte ich eine umfassende Parlamentsreform — und zwar im Bereich der Bundesverfassung, der Geschäftsordnung des Nationalrates sowie in bezug auf die personellen und technischen Einrichtungen des Parlaments — für dringend geboten.
Die Ratlosen
Die Mitbestimmung d la Häuser ist unversehens zur eigentlich interessantesten gesellschaftspolitischen Frage dieser anlaufenden politischen Saison geworden.
Es war zu erwarten, daß die internationale Diskussion nicht am Walserberg aufgehalten werden würde, und doch staunt man über die Ratlosigkeit, die allerorts die Interessenten angesichts der Mitbestimmung erfüllt. Dabei fehlt es beileibe nicht an sachlichen Argumenten, die vom Versagen fast aller ausländischen Modelle bis zur Frage der Mitverantwortlichkeit reichen.
Man wird den fatalen Vergleich nicht los: So ähnlich muß der französische Adel 1789 reagiert haben, als das Volk die Republik einführte.
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