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Mehr als Korrekturen

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Das Parlament ist das Instrument der Demokratie. Es soll die gesamtgesellschaftlichen Entscheidungsvorgänge, in einen kleinen, überschaubaren Rahmen delegiert, transparent machen. Als Instrument muß es daher vollkommen sein und die Wünsche zur Reform des Parlamentarismus sind deshalb ebenso alt wie die Parlamente selbst. Wenngleich in den letzten Jahren die „Reformwelle“ im wesentlichen auf eine Neugestaltung der Geschäftsordnung des Parlamentes hinzielte, kann man dennoch auch die Rufe nach einem Überdenken des Parlamentarismus an sich kaum überhören.

Klammert man nun dieses Neuüberdenken des Parlamentarismus vorläufig aus — diese Neuorientierung kann sicherlich nicht ohne den Willen zu einer Gesamtreform der Demokratie realisiert werden —, so bleibt immerhin noch das weite Feld der Geschäftsordnungsreform übrig. Es ist unbestritten, daß mit den angestrebten Reformen der Geschäftsordnung des Nationalrates wesentliche Schritte zu einer lebendigeren und besseren Präsentation der politischen Willensbildung und damit mehr Verständnis in der Öffentlichkeit für die Arbeit des Parlamentes gewonnen werden können.

Sicherlich können auch rein äußerliche Fragen wie die der Sitzordnung, der Gestaltung des Rednerpultes, kurzum der Bühne, auf der sich das Parlament der Öffentlichkeit präsentiert, hier nicht außer acht gelassen werden. Die Placierung des Redners im österreichischen Nationalrat mit dem Rücken zur Regierung, auf dem tiefsten Punkt des Sitzungssaales, das Fehlen audiovisueller Hilfsmittel, die starre Form der Rednerreihenfolge sind zweifellos behebbare „technische Mängel“, die zu diskutieren es sich lohnt. Ich glaube aber nicht, daß die Frage der Sitzordnung für die Präsentation in der Öffentlichkeit ausschlaggebend sein könnte. „Links“ oder „rechts“ sind heute kaum mehr als inhaltliche Aussagen über Parteien brauchbar, noch weniger als Sitzordnungskategorien, die ja überdies eine Frage des Standpunktes des jeweiligen Betrachters sind. Der englischen Tradition des Wechsels der Plätze zwischen Regieruhgs- und Oppositionspartei im Fall von Wahlniederlagen und -siegen, steht die österreichische Tradition der festen Plätze gegenüber. Ob man durch eine Änderung oder einen Austausch der „Traditionen“ den oft wähl- und gedankenlos verwendeten Mißbrauch von Schlagworten wie „links“ und „rechts“ als politische Inhaltsangabe begegnen könnte, möchte ich mehr als bezweifeln.

„Links“ und „rechts“ waren wahrscheinlich nie, sind aber heute ganz bestimmt keine ausreichenden Determinanten mehr, um den politischen Standort großer Parteien abzugrenzen, es sei denn, man vereinfacht in eindeutig unzulässiger Weise an Hand von althergebrachten Kategorien, die mit der heutigen Wirklichkeit nichts mehr gemein haben.

Ich glaube deshalb, daß eine Parlamentsreform über technische Korrekturen, so wünschenswert solche zum Teil auch sein mögen, weit hinausgehen muß. Für diese Reform sehe ich zwei Schwerpunkte: • Die Kontrolle der Regierung durch das Parlament krankt letzten

Endes daran, daß heute die klassische Gewaltentrennung, hie Regierung — hie Parlament, wie sie zur Zeit der Entstehung der Demokratien gegeben war, nicht mehr existiert. Heute stehen einander Regierung und Opposition auf der anderen Seite gegenüber. Die Kontrollaufgabe ist demnach zur Oppositionsaufgabe schlechthin geworden. Diesem Funktionswandel Rechnung zu tragen, ist die Hauptaufgabe der gegenwärtig laufenden Debatte über die Reform der Geschäftsordnung des Parlaments. Hauptanliegen dieser Reformbestrebungen ist deshalb in erster Linie die Stärkung der Minderheitsrechte im Parlament. • Da die Staatstätigkeit dauernd zunimmt, vielfältiger und schwerer überschaubar wird, wird auch die Kontrolltätigkeit zunehmend schwieriger und komplizierter. Der technische Apparat, der den Parlamentariern heute zur Verfügung steht, reicht zur Wahrnehmung dieser größer werdenden Aufgabe bei weitem nicht aus. Jede Reform muß deshalb auch mit einer grundlegenden Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten für die Parlamentarier verbunden werden.

Sicherlich ist mit einer sinnvollen Geschäftsordnungsreform das Neuüberdenken des Parlamentarismus und eine Reform unseres heutigen Demokratiedenkens keineswegs abgeschlossen. Die Bestrebungen dazu könnten aber ein erster wichtiger Schritt zu einem neuen Demokratie-verständnis in unserer Bevölkerung werden.

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