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Schon auf dem Abstellgeleise?

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Die Geschäftsordnungsreforaii^s Nationalrats soll bis zum Sommer abgeschlossen sein: so sagte es der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ, Leopold Gratz, in einer Pressekonferenz für Parlamentsredakteure zu Beginn dieses Monats. Die gute Hoffnung, in der sich der sozialistische Klubobmann zur Zeit wiegt, dürfte freilich nur für eine Handvoll interessierter Journalisten gedacht gewesen sein, denn in der breiten Öffentlichkeit spielt die Reform der Geschäftsordnung kaum eine Rolle.

Es begann mit einer Rede des früheren sozialistischen Klubobmanns Dr. Pittermann zu Beginn der XII. Legislaturperiode (also am Beginn der Minderheitsregierung des Dr. Kreisky), der erklärte, daß es

,.nie mehr^, vorkommen werde, daß Anträge einer Minderheit in irgend-' einer Parlamentsschublade verschwinden würden.

Die XIII. Legislaturperiode brachte die absolute Mehrheit der Sozialisten. Die Hoffnungen, eine Reform durchzubringen, näherten sich wieder beträchtlich dem Nullpunkt, bis sich der neue Klubobmann der SPÖ, Gratz, in seiner großen Verteidigungsrede der Regierungserklärung für eine großzügige Reform der geltenden Geschäftsordnung aussprach. Ein zentraler Punkt der Gratzschen Vorschläge war die Stärkung der Kontrollrechte der Minderheit, also gerade jener Punkt, der in der Demokratiereformdiskussion Ende der sechziger

Jahre eine bedeutende Rolle gespielt hatte. (So wurde damals die Meinung vertreten, die Kontrolle der Regierenden könne nur dann echt vom Parlament ausgeübt werden, wenn alle jene Rechte, die heute der Mehrheit gegeben sind, auf die Minderheit, und damit auf die Opposition übertragen werden.)

So gesehen, konnte man also einige Hoffnung für eine echte Geschäftsordnungsreform schöpfen. Die Praxis sah freilich anders aus und es zeigte sich rasch, daß die Geschäftsordnungsreform zwar von der Opposition dringend gewünscht, von der Mehrheit aber im zunehmenden Maße auf Nebengeleise geschoben wurde.

Diese Absicht wurde in den ersten

Verhandlungen des Geschäftsordnungsausschusses und des Unterausschusses bestätigt: Obwohl es von allen drei Parteien klare Vorstellungen zur Novellierung der Geschäftsordnungsreform gab (die SPÖ legte einen Initiativantrag aus dem Jahr 1970 als Unterlage vor, ÖVP und FPÖ jeweils neue Pläne), entschloß man sich dennoch nicht, die grundsätzlichen Fragen zu diskutieren; vielmehr nahm man sich die bestehenden Vorschriften paragraphenweise vor und debattierte darüber, was zu den einzelnen Normen neu hinzukomme oder weggestrichen werden könne.

An und für sich könnte auch diese Vorgangsweise zu einem positiven Ergebnis führen, falls die einzelnen Paragraphen straff durchdiskutiert und die Klubvertreter ihre spezifischen Vorschläge zu den jeweiligen Punkten knapp und eindeutig deponieren würden. Tatsächlich jedoch kommt man, wie ein Teilnehmer des Gesprächskreises meinte, jedesmal vom „Hundertsten ins Tausendste“ und rückt vom Ziel — echte Stärkung der Minderheitsrechte, Straffung und Modernisierung — jedesmal ein Stück weiter ab. Kenner der Materie zweifeln bereits heute daran (man steht derzeit beim Paragraphen 16), daß man die 90 Paragraphen der Geschäftsordnung überhaupt bis zum Ende der Legislaturperiode durchdiskutieren kann. Immerhin beginnt sich erst ab dem Paragraph 15 die Geschäftsordnung mit grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen, sieht man davon ab, daß in den ersten Paragraphen die Rechte und Pflichten des Präsidenten behandelt werden: Die Fragen, die für die Opposition von Bedeutung sind, müssen warten. So wird beispielsweise im Paragraph 18 die, zumindest für Kleinparteien, eminent wichtige Frage der Unterstützung eines Antrages behandelt. Die FPÖ will das derzeitige Quorum von acht auf fünf senken. Die Volkspartei ist in diesem Punkt mit der derzeitigen

Regelung einverstanden, obgleich auch hier manche die Meinung vertreten, es sei widersinnig, daß zwar fünf Abgeordnete eine Anfrage einbringen können, aber acht für die Einbringung eines Antrages erforderlich sein sollen.

Sicherlich handelt es sich hier um relativ kleine, wenn auch für die Stärkung der Minderheitsrechte wichtige Brocken. Die großen Fragen erwartet man bei allen jenen Paragraphen, in denen Rechte der Mehrheit in Rechte der Mnderheit umgewandelt werden sollen. So kann beispielsweise derzeit ein Untersuchungsausschuß — also eines der schärfsten Instrumente der Kontrolle — nur mit einem Mehrheitsbeschluß im Nationalrat eingesetzt werden. Es kann also die Mehrheit — die Regierungspartei — jederzeit unangenehme Fragen durch einfachen Beschluß nicht zur Behandlung freigeben (wie dies im Fall der UNO-City erfolgte). Dieses Relikt aus der Koalitionszeit müßte also bei einer echten Reform genauso in ein Recht der Minderheit umgewandelt werden, wie es der Minderheit auch ermöglicht werden müßte, wichtige politische Fragen auch gegen den Wunsch der Regierung zu beraten (also währungspolitische Entschei-düa*gef. außenpolitische Fragen und so weiter).

Bis zum Sommer dürfte also eine Reform der Geschäftsordnung unmöglich sein, es sei denn, man ringt sich zu einer anderen Diskussionsform durch. Arbeitet man in der Form weiter, in der man bisher bei Kaffee und Mineralwasser eine der wichtigsten Fragen der Demokratie überhaupt zu behandeln pflegte, so dürften jene recht behalten, die aus der derzeitigen Vorganigsweise den Verdacht schöpften, die SPÖ werde zwar ihr Versprechen, die Geschäftsordnungsreform durchzuführen, zwar offiziell nicht ablehnen, die Reform selber werde sich aber in Retuschen und Nebensächlichkeiten erschöpfen.

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