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Gesetzgeber oder Moralhüter?

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Die Strafrechtsdebatte im Nationalrat ist vorbei, die Diskussion über das neue Gesetzeswerk, das mit Jahresbeginn 1975 in Kraft tritt, wird aber noch lange nicht abflauen. Zunächst geht einmal die parlamentarische Diskussion weiter, im Bundesrat nämlich, wo die ÖVP Einspruch gegen den Gesetzesbeschluß des Nationalrates erheben wird und neuerlich eine große Debatte abzuhalten gedenkt. Dann muß das Gesetz nochmals in den Nationalrat, der ja, damit es in Kraft treten kann, einen Beharrungsbeschluß fassen wird. Und hier werden es sich die Vertreter der beiden Oppositionsfraktionen sicher nicht entgehen lassen, wieder ihre Gegnerschaft zu der einzigen kontroversiellen Materie des neues Gesetzes zu bekunden: zur Fristenlösung für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruches.

Das Abstimmungsergebnis im Nationalrat hat deutlich gezeigt, welche tiefe Kftift sich hier zwischen den Parteien aufgetan hat. Stimmte die gesamte SPÖ-Frak-tion einschließlich des neu angelobten Universitätsprofessors und Arztes Dr. Gisel für die Fristenlösung und damit für das gesamte Strafgesetz, so lehnte die ÖVP mit ebensolcher Einigkeit die Fristenlösung und damit das gesamte Strafgesetz ab. Die Freiheitlichen, die den Klubzwang aufgehoben hatten und von denen Beobachter glaubten, sie würden differenziert abstimmen, hielten es im großen und ganzen auch mit der Einheitlichkeit. Sie lehnten ebenfalls ab, bis auf einen einzigen Mann: der oberösterreichische FPÖ-Abge-ordnete Jossek verließ vor der Abstimmung demonstrativ den Plenarsaal. Aus welchen Gründen auch immer. Die sonst so wißbegierigen Parlamentsberichterstatter versuchten jedenfalls seine Begründung nicht herauszukriegen.

Die Diskussion der Politiker im Nationalsratsplenum, aber auch die Erörterung der Abtreibungsfrage und der verschiedenen Standpunkte dazu zeigt oft mit erschreckender Deutlichkeit, mit wie wenig seriöser Sachkenntnis einfach mitgeredet wird. Jeder, ob er sich nun jemals mit der Materie befaßt hat oder auch nicht, will mitreden und gültige Erklärungen abgeben. Daraus ergibt sich freilich die bange Frage: War die Zeit schon wirklich reif für eine dezidierte Regelung gerade dieser Materie? Was hätte es ausgemacht, wenn man eine Reform, die jetzt schon seit 20 Jahren in Diskussion steht, noch etwas länger vorbereitet hätte? Zwang etwa der nächste Na-tionalratswahltermin zur Eile? War es nicht der in höchster Erregung und Spannung im Parlament von Justizminister Broda ausgesprochene Satz an die Adresse des ÖVP-Rechts-r—oerten Hauser („Ich glaube, Sie sind froh, daß jetzt entschieden wird und daß Ihnen diese Entscheidung abgenommen wird!“), der die wahlstrategischen Überlegungen ins Spiel brachte?

Die SPÖ und auch der Justizminister selbst haben bei der Regelung der Strafbestimmungen für den Schwangerschaftsabbruch mehr als nur wenig Fingerspitzengefühl gezeigt, da sie auch versuchten, offensichtlich eine klare Trennungslinie zwischen Recht, Moral und Ethik zu ziehen. So etwas kann man nur, wenn man Reformen am grünen Tisch, fernab vom wirklichen sozialen Leben, konzipiert. Wer hat, ehe er die Fristenlösung formulierte, die Fürsorgerin, den Landarzt, den Dorfpriester gefragt? Und war man sich bei den Sozialisten der katholischen Kirche in dieser Frage so sicher? Hat überhaupt einer aus der Gruppe junger SPÖ-Anhänger aus Wien und Ostösterreich, die sich so vehement für die Fristenlösung eingesetzt haben, daran gedacht, daß der Einfluß der Kirche in solchen Dingen immer noch größer ist, als er vermutet? Fragen über Fragen. Alle sind unbeantwortet.

Wie heikel auch für die Spitzenpolitiker der SPÖ das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche in Österreich ist, zeigen die Versuche, etwa des Bundeskanzlers, die Wogen nach der Schlacht wieder zu glätten. Die unerhört deutliche und scharfe Fernseherklärung des Wiener Erzbischofs Kardinal König am Samstag vor der Parlamentsdebatte ist den offiziellen SPÖ-Reprä-sentanten offenbar doch in die Knochen gefahren. Bundeskanzler und Justizminister haben ja die längste Zeit versucht, einen Konsens auch mit den Exponenten der Kirchen über die Möglichkeiten der Abtreibungsregelung herbeizuführen. Sie haben jetzt nicht nur in der eigenen Partei eine niederschmetternde Niederlage erlitten, weil es ihnen nicht gelungen ist, die ursprüngliche in der Regierungsvorlage vorgesehene erweiterte Indikationenlösung durchzudrücken, sie haben auch das durch die Regelung der Finanzierungsfrage für konfessionelle Schulen besser gewordene Klima gegenüber der Kirche leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Und die Deutlichkeit der Worte des Kardinals in seiner Fernsehrede lassen darauf schließen, daß es kaum möglich sein wird, diese Klimaverschlechterung sobald aus der Welt zu schaffen. Da helfen auch Leitartikel in den sozialistischen Zeitungen nichts. Wenn auch die Beteuerung des Redakteurs Günter Traxler im SPÖ-Zentralorgan „Arbeiter-Zeitung“, die Partei wolle keinen Kampf mit der katholischen Kirche, und die Konstruktion von Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und Sozialistischer Partei, wie sie der ehe- sich seit langem bewußt aus der malige Kaplan und nunmehrige Re- Politik zurückgezogen. Es wäre zu dakteur der steirischen SPÖ-Zeitung wünschen gewesen, wenn die Sozia-

„Neue Zeit“, Hellmut Griess, vor-Gewissen zeugen. Die Kirche hatlisten diesen Zustand respektiert nimmt, von einem äußerst schlechten hätten.

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