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Prüft doch die französische Lösung!

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„Heute möchte ich mich als Pfarrer, der verschiedene sozialistische Katholiken zu seinen Freunden zählt, an Sie als gegenwärtig prominentesten sozialistischen Katholiken wenden. Sie waren es ja auch, der aus seiner katholischen Gesinnung heraus beim Villacher SPÖ-Parteiitag offen gegen die Fristenlösung Stellung genommen hat und vor der drohenden Konfrontation Kirche— SPÖ gewarnt hat, die dann während der Volksbegehrenskampagne tatsächlich eingetreten sind.

Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmannstellvertreter Herbert Salcher, waren während dieser Zeit auch einer der ersten, die sich gegen den Ton dieser Auseinandersetzung wandten. Ich verweise auf den Artikel „Salcher als Katholik bestürzt und empört über den Ton der Kirche“ in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 8. November 1974. Ich sprang Ihnen damals bei und veröffentlichte am 24. Dezember 1974 einen Artikel in der genannten Zeitung mit dem Titel „Ein Pfarrer will Brük-ken bauen“. Ich wandte mich darin gegen die Diffamierungen Bundeskanzler Kreiskys und der Regierungspartei im Zuge dieser Kampagne.

Daraufhin trat nach der versöhnlichen Neujahrspredigt unseres Kardinals wieder eine Art von Entspannung zwischen Kirche und SPÖ ein. Die „Aktion Leben“ stellte ihre Kampagne vor den Wahlen ein und erklärte sich für neutral. Bundeskanzler Kreisky und Kardinal König erklärten übereinstimmend, die Fristenlösung werde aus den Wahlen ausgeklammert. Minister Broda, zuerst anderer Meinung, erklärte, „er werde nichts zu einer Eskalie-

rung dieser Frage beitragen und sie sicher nicht in den Wahlkampf werfen“. Nach den Wahlen erklärte aber der neue SPÖ-Klub-chef Heinz Fischer — leider im SPÖ-Lager unwidersprochen —, es sei bei den Wahlen bereits über die Fristenlösung abgestimmt worden. Dabei weiß jeder halbwegs politisch Orientierte, daß es bei den Wahlen unter der Parole: „Kreisky — wer sonst?“ nur um die Fortsetzung der Ära Kreisky ging.

Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmannstellvertreter Salcher, haben im Jänner vor der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten erklärt, Sie würden nach den Wahlen, wenn nur irgendeine Chance bestehe, mit Bundeskanzler Kreisky darüber reden: inzwischen wurde das Volksbegehren von fast 900.000 Österreichern unterschrieben und damit zum größten Volksbegehren der Zweiten Republik. Bundeskanzler Kreisky hat wiederholt versichert, er werde im Parlament eine faire Behandlung sichern. Inzwischen haben aber immer mehr Abgeordnete der Sozialistischen Partei, darunter der neue Klubobmann Fischer, versichert, man werde dem Volksbegehren gegenüber fest bleiben und de facto liöchstens eine Geste gegenüber der Kirche und der „Aktion Leben“ vollziehen. Justizminister Broda sprach von einer Grundsatzerklärung zum Schutz des Lebens, die auch in die Verfassung aufgenommen werden könnte, und Heinz Fischer von „flankierenden Maßnahmen“.

Hier aber müßte auf jeden Fall Verschiedenes geschehen. Die Sozialisten, die sich mit vollem Recht für Wehrdienstverweigerung aus

Gewissensgrür^den eingesetzt haben, dürften zum Beispiel auf keinen Fall zulassen, daß Frauen und Mädchen unter irgendeinem Druck (Geliebter, Mutter, Dienstherr usw.) zur Abtreibung gezwungen werden.

Bei der französischen Fristenlösung muß die Frau ihre Absicht, abzutreiben, schriftlich erklären; auch dürfen in Frankreich die Abtreibungszahlen nicht verschleiert werden, wie es bei uns geschieht. Die Beratung bei nur einem Arzt, der ja dann an der Abtreibung verdient, genügt dort nicht und es muß ein Familienberatungszentrum in Anspruch genommen werden. Auf diese Weise ist es in Frankreich immerzu gelungen, 10 Prozent der Frauen von ihrem Entschluß, abzutreiben, abzubringen.

„Der Spatz in der Hand wäre besser als die Taube auf dem Dach.“ Selbst bei tatsächlichem Beharren auf der Fristenlösung wären einige Verbesserungen unbedingt notwendig.

Bundeskanzler Kreisky sagt bei Geiselnahmen immer: „Menschliches Leben hat unbedingt Vorrang!“ Und dann wird mit den Terroristen so lange verhandelt, bis eine Lösung gefunden ist. Müßte dieses Motto nicht auch für die Abtreibungsfrage gelten? Um eine Kluft zu vermeiden und die Gräben zu überbrücken?

Indem ich hoffe, daß Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmannstellvertreter, als prominentester Katholik der SPÖ, Ihren Einfluß dahin geltend machen, daß es doch zu einer beide Seiten befriedigenden Lösung kommt, verbleibe ich mit den besten Grüßen

JOHANNES MIRONOVICI.“

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