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Das Mißtrauen ist nicht einseitig

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In gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen, insbesondere wenn es um die gerade in Österreich so sensiblen Beziehungen zwischen Kirche und Staat geht, zählt Tirols Landeshauptmannstellvertreter Dr. Herbert Salcher gewissermaßen zu den Schlüsselfiguren: Als Sozialist und praktizierender Katholik gilt er in seinen eigenen Reihen wie in der Öffentlichkeit als Mittelding zwischen politischer Mißgeburt und roter Wunderwaffe. In den heranstehenden Beratungen zur Formulierung des Kapitels „Sozialismus und Religion“ im neuen sozialistischen Parteiprogramm wird ihm wieder eine heikle Rolle zufallen. Von beiden Seiten, von der Kirche wie von der SPÖ, wird sein Wirken mit Zurückhaltung und Mißtrauen verfolgt. Wie sieht dieser Herbert Salcher selbst seine Rolle innerhalb der SPÖ?

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In gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen, insbesondere wenn es um die gerade in Österreich so sensiblen Beziehungen zwischen Kirche und Staat geht, zählt Tirols Landeshauptmannstellvertreter Dr. Herbert Salcher gewissermaßen zu den Schlüsselfiguren: Als Sozialist und praktizierender Katholik gilt er in seinen eigenen Reihen wie in der Öffentlichkeit als Mittelding zwischen politischer Mißgeburt und roter Wunderwaffe. In den heranstehenden Beratungen zur Formulierung des Kapitels „Sozialismus und Religion“ im neuen sozialistischen Parteiprogramm wird ihm wieder eine heikle Rolle zufallen. Von beiden Seiten, von der Kirche wie von der SPÖ, wird sein Wirken mit Zurückhaltung und Mißtrauen verfolgt. Wie sieht dieser Herbert Salcher selbst seine Rolle innerhalb der SPÖ?

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SALCHER: Ich gelte als praktizierender Katholik erst seit den Ereignissen am Villacher Parteitag, weil ich damals vor den Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Fristenlösung gewarnt habe. Damals hab’ ich die Punze des praktizierenden Katholiken bekommen, was mir gar nicht immer so recht ist: Denn ich glaube, ein Politiker sollte keinen religiösen Exhibitionismus betreiben.

FURCHE: Wie sehen Sie rückblik- kend die Ereignisse am Villacher Parteitag?

SALCHER: Das Erlebnis in Villach hat mich in meiner demokratischen Grun’düberzeugung sehr mitgenommen. Das waren Emotionen und nicht Argumentationen. Ich erinnere mich noch genau an eine Bezirksvorsitzende unserer Frauenorganisation, sie hatte fünf Kinder, war 40 Jahre in der Partei, eine überzeugte Katholikin, aber sie drohte mit ihrem Parteiaustritt, sollte die Fristenlösung in der Partei nicht durchgehen. Übrigens möchte ich sagen: Die Kirche hat’s ims nicht leicht gemacht. Ich hab’ mich von beiden Seiten im fetich gelassen gefühlt: In der Kirche war ich isoliert, weil die war ja damals gegen die Indikationenlösung, und in der Partei war ich isoliert, weil für sie der § 144 wirklich keine Diskussionsgrundlage darstellte … Aber die Sache ist vorbei, da läßt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen …

FURCHE: Fühlen sich die Sozialisten in der Kirche als Gläubige 2. Klasse?

SALCHER: Ich glaube, es wäre gar nicht gut, anzustreben, daß die Sozialisten als Sozialisten mehr Einfluß in der Kirche bekommen. Man soll aber den Katholiken in der SPÖ sagen, sie sollen ihre kirchlichen Pflichten ernst nehmen: Als Katholiken und nicht als Sozialisten.

FURCHE: Wie sieht es in Ihrer Partei aus? Sind Sie da als Funktionär mit der Punze des praktizierenden Katholiken ein Parteimitglied 2. Klasse?

SALCHER: Psychologisch hat man manchmal den Eindruck der großen Verlassenheit; da wie dort. Das ist auch historisch zu begründen: Die Kirche der 1. Republik war antidemo-- kratisch und antisozialistisch, die Sozialisten der 1. Republik waren antikirchlich. Beide Seiten glauben auch heute nicht immer, daß keine Reste dieses historischen Mißtrauens mehr vorhanden wären. Niemand sagt, der Salcher ist ein Sozialist 2. Klasse. Aber es existiert ein latentes Mißtrauen, das bei Meinungsverschiedenheiten immer wieder hervorbricht. Das Mißtrauen ist gewiß nicht einseitig. Ich spüre das persönlich bei Teilen des Klerus in Tirol. Ich gehe auch deshalb nicht bei der Fronleichnamsprozession mit; weil sonst heißt es nur: ,Des is a Scheinheiliger*. Uns Katholiken in der SPÖ nimmt man’s noch nicht so ab, daß wir christlich motiviert sind.

FURCHE: Wer ist in der SPÖ stärker: Die prononcierten Katholiken oder die erklärten Kirchengegner?

SALCHER: Nach dieser Frage wird die Partei schlecht dargestellt. Am stärksten sind nämlich die Lauen, die sagen, jeder solle in Glaubenssachen tun, was er will. Diese Polarität Katholiken kontra’Kirchengegner bricht nie auf… Noch einmal: Ich will weder eine christliche Fraktion in der Partei, noch eine sozialistische Fraktion in der Kirche. Was ich will, ist, daß selbst in schwierigen Situationen das Gespräch nicht abreißt. Dazu dient ja auch die „Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus“, deren Vorsitz ich nach anfänglichem Widerstreben übernommen habe.

FURCHE: Auch die vorliegende Diskussionsunterlage für das neue Parteiprogramm der SPÖ baut auf der Beseitigung der Klassen auf. Gleich im ersten Absatz heißt es von den Sozialisten: „Sie wollen die Klassen beseitigen und den Ertrag der gesellschaftlichen Arbeit gerecht verteilen.“ Kann ein Marxist, der die Klassen beseitigen will, überhaupt gleichzeitig Katholik sein, denn die christliche Lehre kennt ja keine Klassen?

SALCHER: In dieser Frage bin ich eigentlich überfordert, weil ich nicht weiß, was ein Marxist ist. Der Begriff „Klasse“ wird heute weithin nicht so, wie von Marx gesehen, definiert. Wenn die Sozialisten heute von einer Klassengesellschaft sprechen, meinen sie, daß es ungerechte Verhältnisse in der Gesellschaft gibt. Aber der Marxist, den man sich als Pappkameraden aufbaut, den kenn’ ich in der politischen Praxis nicht, den hab’ ich im Parteivorstand noch nie argumentieren gehört.

FURCHE: Bei der Wahl des Vorsitzenden der Hörer- und Sehervertretung im ORF wurde der Vertreter der Kirche, Dr. Stäuber, gleich zweimal übergangen. Sehen Sie darin nicht eine Brüskierung der Kirche durch die SPÖ?

SALCHER: Da bin ich nicht so empfindlich. Dr. Stäuber ist ein Mann, der gleichberechtigt mit den anderen Mitgliedern in der Hörer- und Sehervertretung sitzt. Das soll man nicht als Brüskierung sehen. Ich empfinde es auch nicht als Brüskierung der Sozialisten, wenn kein Sozialist in der Innsbrucker Synode sitzt. Übrigens ist Dr. Stäuber vermutlich ein Mann, der der ÖVP nicht ganz ferne steht Wenn der Vertreter der Kirche ein anderer gewesen wäre, nicht ich, einer zwischen Strauber und Salcher, dann hätt’ ihn unsere Partei ohneweiters als Vorsitzenden akzeptieren können.

FURCHE: Wie stehen Sie zu den Angriffen der Jungen Generation Ihrer Partei gegen den Religionsunterricht? In Wien hat die Junge Generation der

SPÖ erst kürzlich für die Abmeldung vom Religionsunterricht geworben.

SALCHER: Das war ein grober Angriff auf die Religionsfreiheit Ich halte den Versuch, die freie Entscheidung mit billigen Argumenten zu beeinflussen, für wenig demokratisch.. Ich wollte mich eigentlich in der Öffentlichkeit zu diesen Vorgängen äußern, hätte aber diese Aktion damit vermutlich nur aufgewertet. Sollten aber ähnliche Tendenzen auf die Partei insgesamt übergreifen, dann würde ich mich nicht scheuen, doch in die Öffentlichkeit zu gehen.

FURCHE: Es ist sicherlich richtig, daß es zwischen Sozialisten und Christen viele gemeinsame Grundüberzeugungen gibt. Ausschlaggebend und bestimmend für die gegenseitigen Beziehungen sind aber meist jene Punkte, an denen sich die Wege scheiden. Welche Punkte sind das?

SALCHER: Es gibt tatsächlich viele Gemeinsamkeiten. Ich glaube auch, daß es in den letzten Jahrzehnten sehr wenige Punkte gegeben hat, die eine Auseinandersetzung bedeutet haben. Ich denke hier an das Konkordat, die Schulfrage, überhaupt ist das Verhältnis Kirche-Kultusbehörden völlig reibungslos. Es gab nur eine wirklich größere Auseinandersetzung, nämlich die um die Fristenlösung. Vom Grundsatz her halte ich menschliches Leben für ein unbedingt schutzwürdiges Rechtsgut. Aus meiner Erfahrung kann ich aber nur sagen, daß die Indikationenlösung kaum praktikabel wäre.

FURCHE: Gibt es im Bereich der Familienpolitik, speziell im Scheidungsrecht, nicht doch stark divergierende Meinungen?

SALCHER: Familienbeihilfen, Direktzahlungen, Schülerfreifahrten, Gratisschulbücher und ähnliche Dinge müßten die Katholiken eigentlich nur unterstreichen. Was die Scheidung betrifft, stelle ich die Frage: Ist es wirklich Aufgabe des Staates, kirchliche Dogmen gesetzlich zu schützen?

FURCHE: Die Sozialisten wollen die Liberalen und die Katholiken einla- den, mit ihnen ein Stück des Weges zu ziehen. Ist das nicht nur Stimmenfängerei?

SALCHER: Ich gestehe gerne, daß es in der Partei auch Leute gibt, die glauben, aus parteitaktischen Gründen sollten die Katholiken jetzt mehr herausgestrichen werden. Ich sehe das aber anders: Als Katholik geht man mit der SPÖ nicht ein Stück mit, man ist mitten drinnen. Die Einladung, ein Stück Weges mitzukommen, ist an das liberale Bürgertum gerichtet. Auf das Begrįffpaar Sozialisten-Katholiken ist diese Formulierung gar nicht zutreffend, das sind zwei unterschiedliche Ebenen. Ich kann ja net sagen: Ich geh mit mir selber ein Stück Weges!

Das Gespräch mit Landeshauptmannstellvertreter Dr. Herbert Salcher führte Alfred Grinschgl.

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