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Sozialisten nicht obwohl, sondern weil sie Christen sind

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Im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Katholiken und das neue Programm der SPÖ“ kündigte Tirols Landeshauptmannstellvertreter Dr. Herbert Salcher, der zugleich Präsident der „Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus“ (ACUS) ist, an, daß die Tiroler Landespartei einen eigenen Antrag zum momentan diskutierten Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der Partei einbringen werde: einen Antrag, der auf „einen wesentlich geänderten und erweiterten Teil“ jener Stellen im Programmentwurf abziele, die sich mit der Religion befassen. Tirols Landesparteisekretär Dr. Lothar Müller stellte der FURCHE die inzwischen in der Bun-desparteizentrale eingebrachten Abänderungsvorschläge zur Verfügung.

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Im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Katholiken und das neue Programm der SPÖ“ kündigte Tirols Landeshauptmannstellvertreter Dr. Herbert Salcher, der zugleich Präsident der „Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus“ (ACUS) ist, an, daß die Tiroler Landespartei einen eigenen Antrag zum momentan diskutierten Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der Partei einbringen werde: einen Antrag, der auf „einen wesentlich geänderten und erweiterten Teil“ jener Stellen im Programmentwurf abziele, die sich mit der Religion befassen. Tirols Landesparteisekretär Dr. Lothar Müller stellte der FURCHE die inzwischen in der Bun-desparteizentrale eingebrachten Abänderungsvorschläge zur Verfügung.

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Herbert Salcher, der der Ansicht ist, „ein Politiker sollte keinen religiösen Exhibitionismus betreiben“ (FURCHE, 7.10.1977), ist wieder einmal dabei, für die Gläubigen unter den Sozialisten die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Kein Zweifel, daß die Tiroler Abänderungspassagen, die die Handschrift Herbert Salchers tragen, von vielen Christen als unzureichend empfunden und mißtrauisch angeschaut werden dürften. Dabei kann aber nicht übersehen werden, daß trotz aller ehrlichen Bemühungen seitens der ACUS und einzelner ACUS-Mitglieder die prononcierten Christen in der SPÖ nach wie vor einen schweren Stand haben, zumal sie, vorsichtig ausgedrückt, nicht in der Uberzahl sind.

Nun zu den Tiroler Vorschlägen. Der größte Teil der Änderungswünsche bezieht sich auf das Kapitel „Sozialismus und Religion“ (1.4), das aus dem alten Programm vollinhaltlich in den vorliegenden Entwurf übernommen worden ist Salcher und seine Parteifreunde suchen bereits einen anderen Einstieg für das Kapitel Religion. Im vorhegenden Entwurf heißt es: „Der Sozialismus ist eine internationale Bewegung, die keineswegs eine starre Gleichförmigkeit der Auffassungen verlangt.“ Der Tiroler Vorschlag hingegen bringt eine positive Argumentation, die noch dazu durch die „Wir“-Diktion eine stärkere Identifikation mit dem Niedergeschriebenen vermuten läßt: „Wir demokratische Sozialisten sind für die volle Freiheit des Glaubens und Denkens. Diese Freiheit darf weder durch den Staat noch auf sonstige Weise eingeschränkt werden Der Staat muß die gleichberechtigte freie Ausübung aller Bekenntnisse in umfassender Weise sichern.“

Die etwas differenzierte Haltung der Tiroler Katholiken läßt sich auch an kleinen Nuancen und Akzenten ablesen. Im offiziellen Entwurf steht etwa, daß die Sozialisten das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben wie zu einer nichtreligiösen Weltanschauung als innerste persönliche Entscheidung „achten“.

Der Salcher-Entwurf hingegen: „Wir demokratischen Sozialisten haben tiefen Respekt vor dem religiösen Glauben wie auch vor nichtreligiöser Uberzeugung als innerste persönliche Entscheidung jedes einzelnen und als wertvoller Antrieb für aktives Handeln in der Gesellschaft.“

Weiters heißt es in Salchers Vorschlag: „In unserer weltumspannenden sozialistischen Bewegung gibt es eine lebendige faszinierende Vielfalt von Auffassungen. Wir sind die geistige und politische Heimat für Millionen Menschen verschiedener Glau-

bens- und Denkrichtungen. Unsere Übereinstimmung beruht vor allem auf den sittlichen Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität.“ In der weiteren Folge nähert sich der Tiroler Vorschlag der immer wieder gestellten Frage, ob Sozialismus mit dem Christentum vereinbar sei, von einer herausfordernden Seite: „Längst stehen in der ganzen Welt Mil-lionen von Christen als Sozialisten mitten in unserer Bewegung. Sie sind Sozialisten nicht obwohl, sondern weil sie Christen sind. Die alte Frage: Sind Christentum und Sozialismus vereinbar? ist längst überholt durch die Wirklichkeit Die aktuelle Frage lautet vielmehr: Sind Christentum und gesellschaftliche Ungerechtigkeit vereinbar?“

Die dieser Fragestellung entsprechenden Passagen im vorliegenden Entwurf lauten ganz anders, nicht herausfordernd, sondern feststehend trocken: „Sozialismus und Christentum als Religion der Nächstenhebe sind miteinander durchaus vereinbar ... Sozialismus und Religion sind keine Gegensätze. Jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig Sozialist sein.“

Der Tiroler Vorschlag weist einen weiteren neuen Absatz auf, in dem es heißt: „Wir demokratische Sozialisten anerkennen: Für Christen kann nur der demokratische Sozialismus akzeptabel sein, weil er für geistiges Leben uneingeschränkt Raum bietet.“ Hier ist allerdings nicht ganz klar, ob die Betonung auf dem Wörtchen „nur“ oder „demokratische“ liegt. Im ersten Falle könnte die Formulierung auf einen Alleinvertretungsanspruch der SPÖ auf die Christen, ein Christen-Monopol, hinauslaufen, was aber vermutlich nicht recht glaubwürdig sein würde. Im zweiten Fall, der wahrscheinlicher ist, könnten die Verfasser dieses Parteiantrages eine stärkere und ausdrückliche Abhebung gegenüber anderen „Sozialismen“ bezwecken.

Zum Thema „Sozialismus und Religion“ heißt es noch abschließend: „Keine Partei und kein Staat dürfen über letzte Wahrheiten entscheiden, sondern ausschließlich die Menschen selbst gemäß ihrem Gewissen. Den christlichen Kirchen begegnen wir demokratische Sozialisten mit Achtung. Wir wollen ihnen keine weltanschauliche Konkurrenz machen, sondern ihre volle Freiheit sichern - eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft.“

Fallengelassen haben die Tiroler eine umstrittene Passage, von der man nicht recht wußte, ob sie den erhobenen Drohfinger der SPÖ für gewisse Eventualfälle verkörpere: „Zwischen

dem auf einer sittlichen Gesinnung beruhenden Sozialismus und den Religionsgemeinschaften kann es keine Konflikte geben (und jetzt kommt der Pferdefuß), wenn diese es vermeiden, für die Durchsetzung konfessioneller Forderungen oder in der Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen staatliche Machtmittel anzuwenden.“

Nur geringfügige Änderungen beantragen die Tiroler Sozialisten hinsichtlich des Kapitels „Die offene Partei“ (4.5). Sie übernehmen den Wortlaut großteils wortgetreu, schieben aber Nebensätze ein, wie: „Daher wenden wir uns auch an alle Christen, die noch nicht zu jener großen Zahl gehören, die ohnehin schon in unserer Bewegung stehen.“ Eine kleine, vielleicht aber vielsagende Erweiterung ist auch darin zu sehen, wo es um das „gesellschaftspolitische Engagement von Christen und Priestern“ geht.

Der offizielle Entwirf führt als Beispiele an: „Junge Katholiken und Priester kämpfen in den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas; sie haben in Spanien mitgeholfen, die Diktatur zu überwinden.“ An dieser Stelle schieben die Tiroler, zur Kenntnis nehmend, daß es nicht nur die „bösen“ Rechtsdiktaturen gibt, wie Kanzler Kreisky demagogisch geschickt immer wieder glauben läßt, folgende Ergänzung ein: „Sie stehen in einem schweren Abwehrkampf gegen Versuche kommunistischer und faschistischer Diktaturen, die Freiheit der Christen auszulöschen und die Kirchen zu vernichten.“

Wie gesagt: Die Änderungswünsche der Tiroler Sozialisten unter Führung von ACUS-Präsident Herbert Salcher sind nicht solcher Natur, daß sie dem Programmentwurf insgesamt widersprechen würden. Das war auch keineswegs zu erwarten. Die Tiroler Passagen brächten nur wichtige Ergänzungen zum Programm, das im Bereich SPÖ-Religion halbherzig abgefaßt erscheint; was auch daran zu erkennen ist, daß die entsprechenden Passagen aus dem alten Programm in den Entwurf des neuen einfach übernommen wurden.

Sollten die Tiroler Wünsche im endgültigen Programm vollinhaltlich berücksichtigt werden, wäre das ein gutes Zeichen dafür, daß jene Sozialisten, die zwar keinen religiösen Exhibitionismus betreiben, aus ihrer Glaubensüberzeugung anderseits auch wieder kein Hehl machen, in der Partei etwas zu reden haben. Für die Partei insgesamt wäre das ein Zeichen des guten Willens. Ein Zeichen, das öfter gesetzt werden könnte.

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