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Kirche und Sozialismus

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Mit dem Publikum diskutierten am 8. Dezember Minister a. D. Dr. Alfred M i g s c h, Univ.-Pxofessor Dr. Johannes Kleinhappl, Univ.-Dozent Dr. Ernst Glaser und Redakteur Dr. Otto Schulmeister.

Der um diese wertvolle Aussprache sehr bemühte Diskussionsleiter, Diplombibliothekar Franz Ser. Vetter, präzisierte in seinen einführenden Worten die Begriffe „Kirche“ und „Sozialismus“ und bezeichnete als Sinn und Ziel dieser Diskussion, einen Beitrag zur Verständigung zu liefern, verbindend und nicht trennend zu wirken!

Minister a. D. Dr. M i g s c h, der nun als erster das Wort nahm, ging von dem Satze aus, daß Kirche und Sozialismus in unserem Lebehsbereich die bedeutendsten geistigen Kräfte der Gegenwart darstellen. Ihre Ziele stehen — führte der Sprecher weiterhin aus — in keinem logischen Gegensatz und weisen nur geringfügige Überschneidungen auf. Der moderne Sozialismus ist wohl ein Kind des 19. Jahrhunderts, er hat aber mit dem philosophischen Materialismus weder nach seinen geistigen Quellen noch nach 6einer inneren Logik nach etwas zu tun. Er ist eine soziale und eine wirtschaftliche Lehre, die das materielle Zusammenleben der Menschen betrifft. Die Kirche hat seinerzeit im Sozialismus eine bloße Abart des philosophischen Materialismus erblickt und hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen ihn entschieden Stellung genommen und die bestehende Gesellschaftsordnung des Konkurrenzkapitalismus gegen die sozialistische Arbeiterbewegung verteidigt. Das hatte zur Folge, daß den Sozialisten die Kirche als ein Verteidigungsbollwerk jener sozialen Ungerechtigkeiten erschien, die der Kapitalismus geschaffen hatte. Die antikirchliche Haltung der Sozialdemokratie war nichts anderes als die Reaktion, die Antwort auf diese Funktion des politischen Katholizismus! Dieser Gegensatz hat weder der Kirche noch dem Sozialismus Vorteile gebracht. Er gereichte ausschließlich dem Widerpart der abendländischen Kultur zum Vorteil. „Achtzig Prozent der sozialdemokratischen Parteimitglieder“ — glaubte der Redner feststellen zu dürfen — sind treue Kinder der katholischen Kirche, auf sozialem, wirtschaftlichem und politischem Gebiete aber ebenso treu dem Sozialismus ergeben; auch sie haben innerhalb der katholischen Kirche das Recht auf Gehör. Wir Sozialisten wünschen keinen Gegensatz zur Kirche. Wir sind der Überzeugung, daß beide auf ihrem Gebiete jene schöpferischen Taten, die die Zeit von ihnen erfordert, erfüllen können, wenn sie sich nicht gegenseitig daran behindern. Die Zeit von heute ist so hart, daß nur in einem einvernehmlichen Zusammenwirken der Kampf des Abendlandes um Sein oder Nichtsein gewonnen werden kann!

Wäre der Sozialismus wesenhaft die Verneinung von Christenglauben, Gott und Kirche, führte als Sprecher von katholischer Seite Professor Dr. K1 e i n h a p p 1 aus, so hätte ein Gespräch über Kirche und Sozialismus wenig Sinn. Dem ist aber nicht so. Das Hauptanliegen des Sozialismus ist die Überwindung der Bewirtschaftung des Menschen durch den Menschen. Damit ist aber gegeben der

Wille zur Beseitigung des kapitalistischen Eigentums an Arbeitsmitteln und dessen Vergesellschaftung; sowie der Klassenkampf, der die klassenlose Gesellschaft herbeiführen soll. Die Bewirtschaftung des Menschen durch den Menschen widerspricht der wesensgleichen Würde aller. Das Eigentum an Arbeitsmitteln darf nicht mißbraucht werden, um andere auszunützen. Der Klassenkampf, ohne Haß geführt und von Liebe zur Gerechtigkeit getragen, ist sittlich einwandfrei. Hinsichtlich dieser Belange kann ein Gegensatz zwischen Kirche und Sozialismus nicht bestehen. Woher nun doch die vorhandenen Spannungen? Der Redner sieht zwei maßgebliche Gründe darin gegeben, daß sich die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus zum Materialismus bekannten und daß andererseits vielen Wesen und Wollen des Sozialismus schwer verständlich blieb, sie können sich eine andere Ordnung nicht denken und fürchten den Verlust liebgewordener Rechte und Einrichtungen. Werden sich Kirche und Sozialismus finden? Wir können es nur aus ganzer Seele wünschen. Nur wenn Kirche und Sozialismus sich auf dem Boden der Wahrheit begegnen, wird es möglich sein, eine Welt aufzurichten, in der der einzelne sich zum Vollmenschen entfalten und gläubiger Christ sein kann.

In sieben Punkten suchte Dr. Schulmeister die gegenseitige Position von „Kirche und Sozialismus“ zu formulieren. Er kam dabei zu folgender Aufstellung:

1. Der Konflikt zwischen Kirche und Sozialismus gehört dem 19. Jahrhundert an und ist durch die politische Realität der Gegenwart augenscheinlich überholt.

2. Der Konflikt, der heute die Welt beherrscht, ist nicht mehr der zwischen Kapital und Arbeit, sondern der zwischen totalitärer Sklaverei und persönlicher Freiheit. In dem ursprünglichen Konflikt zwischen Kirche und Sozialismus ist die weltanschauliche Wucht längst geschwunden, und was davon übrig blieb, sind Ressentiments, die aus taktischen Gründen zum Teil sorgfältig gepflegt werden.

3. Die Politik hinkt hinter der tatsächlichen Entwicklung her, eine Erscheinung, die auch fast auf allen anderen Gebieten des Lebens zu beobachten ist. Die persönliche Freiheit verdankt ihre historische Entstehung dem Dualismus von Kirche und Staat im Abendland.

4. Das gegenwärtige Ringen der Kirche um ihre Freiheit und um die Freiheit der Gläubigen ist von allgemeinem Interesse!

5. Es gibt heute katholische Labourpolitiker und es gibt heute sozialistische Katholiken. Das zeigt, wie weit die Entwicklung auf beiden Seiten die alten doktrinären Positionen überholt hat.

6. Die Annäherung zwischen Kirche und Sozialismus soll auf praktischem Feld gesucht werden. Bewährungsprobe dazu ist die Anerkennung des Konkordats und damit die Rechtskontinuität. Der Staat, der das Gewissen achtet, der es sich zum Verbündeten macht, ist auch im Zeitalter der Atombombe und der Konzentrationslager auf die Dauer immer noch der Uberlegene. In dieser Perspektive muß man den Wunsch der österreichischen Katholiken nach Anerkennung des Konkordats sehen.

7. Wenn die Sozialisten diesen Wunsch achten, wenn sie bereit sind, Recht Recht sein zu lassen, wenn sie statt nach gestern nach morgen blicken, werden sie selbst den Weg freigeben für eine neue Zeit, werden sie das Fundament der Demokratie stark machen und fähig, alle Erprobungen zu bestehen.

Dozent Dr. Glaser glaubte auch seinerseits betonen zu können, daß der moderne Sozialismus keineswegs atheistisch eingestellt sei, als weltanschaulich und philosophisch für alle Richtungen akzeptabel. Er stellt die Würde des Menschen in den Vordergrund und spricht sich gegen dessen Vergewaltigung gegenüber jeder Art von Totalitarismus aus. Dagegen wirkt aber heute auch die katholische Kirche. Allerdings gibt es eine historisch-soziologisch erklärbaje Schwierigkeit, die das Verhältnis zwischen Kirche und Sozialismus erschwert. Die Kirche hat sich in ihrer bisherigen Geschichte mit keiner bestimmten historischen Sozialordnung identifiziert. Sie hat aber mit jeder ihren Frieden geschlossen und sich daher überaus vorsichtig und kritisch allen den Bewegungen gegenüber eingestellt, die diese jeweils bestehende Sozialordnung angriffen. Damit wirkte sie aber in hohem Maße als konservative Kraft und hat sich daher im politischen Geschehen auch immer mit den konservativen politischen Parteien verbündet. Diese politischen Bindungen können aber selbstverständlich für den katholischen Sozialisten nicht verpflichtend sein. Dieser hat sich wohl in Glaubenssachen den Ansichten der Kirche unterzuordnen, er besitzt aber auf politischem Gebiet seine absolute Entscheidungsfreiheit.

Die geführte Aussprache bezweckte kein unmittelbares konkretes Ergebnis. Sie war vielmehr darauf gerichtet, die wirklichen Unterschiede ebenso wie das Gemeinsame klar herauszuarbeiten und durch die Aufhellung polemisch verdunkelter Zwischenräume das gegenseitige Verhältnis zu berichtigen und so dem gegenseitigen Verstehen und Miteinander zu nützen. Diesem Zweck ist in der sachlich und fair geführten Auseinandersetzung gedient worden.

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