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Religion und Sozialismus

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Die Volkshochschule Wien-West veranstaltet im Sommersemester Diskussionen führender Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens mit dem Publikum über bedeutende Probleme der Gegenwart. Am 11. März fand der erste Diskussionsabend über das Thema „Religion und Sozialismus“ statt. Es diskutierten Univ.-Prof. . Dr. Michael P f 11 e g 1 e r, Rektor Dr. Josef Luitpold Stern, Chefredakteur Dr. Nikolaus H o-v o r k a und Bundesrat Prof. Dr. Karl Lugmayer. Die Aussprache wurde durch ein Referat des Anregers dieser Diskussionsreihe, Vorstandsmitglied Dipl.-Bibliothekar Franz Ser. Vetter, eingeleitet. Die eindrucksvollen Ausführungen Vetters über die menschliche Sprache, das Gespräch und die Diskussion überhaupt sowie über die „neue Lehre vom Gespräch“ — in diesem Zusammenhang berief er sich besonders auf das Werk von Dr. Friedrich Heer „Gespräch der Feinde“ — stellten eine solide Grundlage der folgenden Diskussion dar.

Prof. Pfliegler begann mit einem kurzen historischen Rückblick und stellte fest, daß die alte Frontstellung zwischen Religion und Sozialismus, die in der atheistisch-materialistischen Grundhaltung der Gründer des Sozialismus wurzelt, sich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs aufzulockern beginne. Auf jeden Fall sei der Höhepunkt der Spannung überschritten — die sich etwa seinerzeit am schärfsten in dem Schlagwort „Religion ist Opium für das Volk“ geäußert habe. Die Versuche, von innen her im Sozialismus (religiöse Sozialisten), diese Feindstellung zu brechen, fanden, was die Katholiken anging, durch die Enzyklika „Quadra-gesimo anno“ ein jähes Ende. In der Enzyklika wurde erklärt, daß ein guter Katholik nicht gleichzeitig Sozialist sein könne. Auf eine Anfrage katholischer Labour-Party-Abgeordneter in Rom konnte aber bald darauf der katholische Labour-Party-Abgeordnete Oldfield erklären: „Wenn der Hl. Vater sagt, es könnte ein guter Katholik nicht Sozialist sein, dann wollte er damit nicht sagen, daß ein guter Katholik nicht englischer Sozialist sein kann.“ Die Labour Party steht bekanntlich nicht auf marxistischer Grundlage. Von diesem Zeitpunkt beginnt die Peripetie — die Auflockerung. Sie ist gekennzeichnet durch Aufsätze in den sozialistischen Zeitungen, die eine radikale Lösung der Partei von der alten atheistischen Haltung fordern, und durch die immer wieder auftauchende Frage, ob die Partei überhaupt noch marxistisch sein könne, besonders aber dadurch, daß die Partei den aggressiven Atheismus aufgegeben hat. Von Seiten der Kirche wurde dieser Entwicklung in der Weise Rechnung getragen, daß sie sich von der Parteipolitik distanzierte, eigene christliche Gewerkschaften ablehnte und keiner Partei das Recht einräumte, sich als „die“ katholische zu bezeichnen. Die Feindstellung zwischen Kirche und Sozialismus hat erfreulicherweise aufgehört, die Lage aber ist noch lange nicht endgültig geklärt.

Rektor Dr. Stern behauptete, daß der Sozialismus niemals von der Religion getrennt war. Wenn man von einem Gegensatz zwischen Kirche und Sozialismus spreche, dann müsse man auch fragen, was die Kirche für den Sozialismus getan habe, was sie für die Christianisierung der menschlichen Gesellschaft getan habe. Der Kapitalismus kommt nicht von Gott, der Sozialismus aber ist ein Versuch, die Menschheit zu verchristlichen. Mögen doch die Christen ihre christliche Aufgabe erkennen, dann werden sie in den Sozialisten ihre Brüder finden. Stern schloß mit dem Bekenntnis: .Ich bin religiös und Sozialist!“

Der dritte Diskussionsredner, Chefredakteur Dr. Hovorka, bemühte sich, den Diskussionsgegenstand in seiner schärfsten Formulierung zu erfassen, indem er ihn auf das Problem .Katholizismus und Kommunismus“ begrenzte. Nach eingehender Darstellung der Kommentie-jung des Vatikan-Julidekrets gegen den Kommunismus durch die französischen Kardinäle und Erzbischöfe und des Hirtenworts des österreichischen Episkopats zum gleichen Thema schloß er seine Ausführungen, die stellenweise von lebhaften Zwischenrufen unterbrochen wurden, mit einem Appell an die Christen, ihre eigenste Kraft, nämlich die christliche Liebe, zur überbrückung der Weltgegensätze einzusetzen.

Schließlich führte Bundesrat Prof. Doktor Lugmayer aus, daß in der mehr als hundertjährigen Geschichte des Sozialismus zwei verschiedene Einschläge unterschieden werden müssen. Der Sozialismus hat begonnen mit einer Kritik der Rechtsordnung, besonders der wirtschaftlichen Rechtsordnung. Leider war diese Kritik im allgemeinen wenig aufbauend. Klare Vorschläge zur Änderung der Gebrechen hat er wenig gebracht. Dies hing damit zusammen, daß er sehr bald in das Schlepptau der Philosophie des Materialismus geriet. Materialismus ist jene philosophische Richtung, die nur die materielle Welt als wirklich anerkennt, jene Welt, die man sinnlich wahrnehmen und messen kann. Dadurch ging der Begriff der menschlichen Person als eigener Wirklichkeit verloren, und der Mensch droht zu einem bloßen Lebewesen zu werden. Leider blieb diese Entwicklung nicht nur auf den Sozialismus beschränkt, aber im Sozialismus ist der Materialismus sozusagen anerkannte Lehre und Richtschnur für die gesellschaftliche Gestaltung geworden. Es ist fraglich, ob der Sozialismus als Ganzes oder in größeren Teilen aus dieser Anschauung wieder herausfindet.

An die Referate der vier Redner schloß sich eine sehr bewegte, teilweise leidenschaftliche und interessierte Aussprache des Publikums an. Von vielen Zuhörern wurde der Wunsch geäußert, diese Diskussion zu wiederholen.

Am Samstag, den 25. März 1950, findet um 19 Uhr in der Volkshochschule Wien-West, VI., Amerlingstraße 6, eine Diskussion über .Mensch und Geschichte“ statt. Es diskutieren mit dem Publikum: Dr. Friedrich Heer, Nationalrat Ernst Fischer, Dr. Adam Wandruszka und Prof. Dr. Ernst Mayer.

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