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Zur Auseinandersetzung Christentum und Sozialismus

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Mit größtem Interse verfolgte ich die Diskussion zwischen Prof. Pfliegler und dem Wiener Hauptorgan der Sozialistischen Partei über das Verhältnis von Christentum und Sozialismus. Liegen die Verhältnisse in den Niederlanden in mancher Hinsicht auch anders als in Österreich, das Problem, das hier gestellt wurde, ist von allgemein-europäischer Bedeutung, und was in einem Lande vorgeht, kann die Entwicklung in anderen Ländern beeinflussen.

Das sozialistische Blatt formulierte seinen Standpunkt wie folgt; „Sozialismus und Kirche brauchen keine Gegner zu sein — aber die Entscheidung liegt bei der Kirche.“ Prof. Pfliegler schloß: „Sozialismus und Kirche brauchen keine Gegner zu sein, aber die Entscheidung darüber liegt bei den Sozialisten.“ Es fragt sich, ob dieser anscheinend tiefgehende Gegensatz dennoch irgendwie überbrückt werden könne.

In der ersten Position bin ich mit Professor Pfliegler einig. Es gab eine Zeit, wo die Kirche dem Sozialismus unbedingt ablehnend gegenüberstand. Diese Ablehnung fand ihren Grund nicht etwa in der Tatsache, daß die Kirche kein Verständnis für die bitteren Nöte des Proletariats aufgebracht hätte. Sie berührte ebensowenig das tiefste Wesen des Sozialismus als eines moralischen Protests gegen jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung. Die Ablehnung stützte sich vielmehr auf den Umstand, daß der Sozialismus in seiner konkreten historischen Erscheinungsform sich mit gewissen weltanschaulichen Grundsätzen über Wesen und Bestimmung der Menschen identifizierte, die für das Christentum unannehmbar waren. Die Kirche hätte einfach versagt, wenn sie nicht Verwahrung eingelegt hätte. Wir erwarten von Seiten des Sozialismus darüber kein öffentliches Schuldbekenntnis. Gab es ja auch in seinem Werdegang vieles, was verständlich und vielleicht verzeihlich ist, und nur eine gründliche historische Analyse könnte in dieser Angelegenheit ein Urteil aussprechen, das als völlig gerechtfertigt anzusehen wäre. Wohl aber kann man vom heutigen Sozialismus fordern, daß er sich mit dieser Vergangenheit nicht für solidarisch erklärt. Ein Minimum wäre doxh wohl, daß man Vergangenheit Vergangenheit sein ließe und gemeinsam einen Versuch wagte, im Buch der Geschichte des Sozialismus eine neue Seite aufzuschlagen.

Eine tiefe Besinnung auf das Wesen des Sozialismus und seine Aufgabe in dieser Zeit wird dem Sozialismus gestatten, viel aus der Vergangenheit als historischen Ballast wegzuwerfen, und es ihm somit in Zukunft ermöglichen, eine andere Haltung gegenüber den fundamentalen Problemen, den Menschen, die Weltanschauung und Religion betreffend, einzunehmen. Geschähe dies, dann dürfte man von der Kirche tatsächlich erwarten, daß sie ihren früheren Standpunkt aufgäbe, weil der Grund dazu hinfällig geworden wäre. Die Kirche hat Zeit. Ihr Standpunkt war und ist keine politische Stellungnahme, sondern eine religiöse. Wie „Quadragesimo Anno“ ‘ich an der Entwicklung erfreute, die sich seit „Re- rum Novarum“ im Sozialismus vollzogen hatte, so wird die Kirche auch eine weitere Fortentwicklung in diesem Sinne anerkennen und begrüßen. Das befreiende Wort aber wird in der Tat vom Sozialismus komm en müssen.

So weit wäre ich aber mit Prof. Pfiegler durchaus einig. Als Katholik und Sozialist aus den Niederlanden aber, wo das Entgegenkommen von Christentum und Sozialismus weiter gediehen ist als in manch anderem Lande, dürfte es mir gestattet sein, noch auf anderes hinzuweisen.

Die Kritik, die der historische Sozialismus, wenngleich schon nicht am Christentum, so doch gewiß an den Christen geübt hat, war nicht völlig grundlos. In den Tagen, da der Sozialismus sich im Aufstieg befand, gab es viele Christen, die ihre sozialen Pflichten bitter schlecht verstanden. Jacques Maritain schrieb einmal das kühne Paradoxon, daß nicht wenige gottesleugnende Marxisten das christliche Prinzip der Nächstenliebe besser in Anwendung gebracht hätten, als viele Christen. So haben Christen eine schwere Schuld auf sich geladen. Und vielleicht wären Christentum und Sozialismus nie so weit aneinandergewachsen, wären die Christen im 19. Jahrhundert bessere Christen gewesen.

Die Kirche kann wirklich nichts anderes tun, als abwarten, wie der Sozialismus sich weiterentwickelt. Wenn jedoch die Begegnung zwischen Christentum und Sozialismus eine der brennenden Fragen des heutigen Europa ist, dann drängt sich die Frage auf, ob der einzelne Christ, indem er in den Reihen eines sich geisterneuernden Sozialismus mitkämpft, diese große Begegnung nicht erheblich fördern könnte. In den Niederlanden jedenfalls liegen die Verhältnisse so, daß man diese Frage bejahen kann. Es wäre von größter Bedeutung, wenn auch in anderen Ländern Raum für diese Pionierarbeit gefunden werden könnte.

Es muß doch irgendwie möglich sein, den fatalen Zirkel dieses Mißtrauens zu durchbrechen. In diesem Geiste möchte ich schließen mit den Worten, die Oswald von Nell-Brepning im vergangenen Jahr in den „Frankfurter Heften“ über das Verhältnis Zwischen Kirche und Arbeiterschaft schrieb:

„Wenn wir gegeneinander ehrlich sind, gestehen wir uns das gegenseitige, sogar tiefgewurzelte Mißtrauen ein. Wenn wir jedoch ehrlich gegen uns selbst sein wollen, gestehen wir uns ein, daß jeder Von uns dem anderen Teil Anlaß zu solchem Mißtrauen gegeben hat. Und dann fragen wir jeder uns selbst: Was haben wir zu tun, um das Mißtrauen des anderen auszuräumen? Und zum Schluß die Frage: Will ich mit dem Vertrauen den Anfang machen oder wijl ich warten, bis der andere mir einen Vorschuß an Vertrauen leistet? Ich mochte glauben, daß derjenige die beste Kapitalanlage macht, der den ersten Vorschuß an Vertrauen in die Gemeinschaft ‘einbringt.“

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