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„Kämpfe von gestern“

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„Die Frage der Abschaffung oder doch Zurückdrängung des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen ist in der letzten Zeit durch Willenskundgebungen und Unmutsäußerungen sozialistischer Jugendorganisationen aktualisiert worden. Es ist begreiflich, daß sich vor allem die katholische Kirche durch solche Initiativen gefährdet, ja im Bestand bedroht fühlen muß und mit entsprechender Abwehr reagiert.

Die erwähnten Vorstöße einzelner sozialistischer Organisationen und Schülerzeitschriften, die sich in recht geschmacklosen Karikaturen über Priester und religiöse Dinge ergehen, nähren den Verdacht, daß es Kräfte gibt, denen die weitere Verschlechterung des Klimas zwischen katholischer Kirche und Sozialistischer Partei geradezu willkommen zu sein scheint. Wenn dem aber so ist, erhebt sich die Frage der Zweckmäßigkeit einer solchen Taktik und die weitere nach ihrer Übereinstimmung mit den programmatischen Erklärungen der Partei. Wird durch ein solches Vorgehen nicht auch Parteiobmann Kreisky desavouiert?

Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, daß heute mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig wäre, geführte antiklerikale Kampagnen in Wahrheit nicht zeitgemäß sind, sondern die Kämpfe von gestern und vorgestern zur Unzeit reproduzieren, obwohl schon längst andere Probleme auf der Tagesordnung stehen, die die alten Kampffronten überholt, ja reaktionär erscheinen lassen. Waren Sozialismus und Katholizismus in der Vergangenheit konkurrierende Ideale, die

um Hirn und Herz der Menschen rangen, so ist die Sachlage bei nüchterner und ehrlicher Betrachtung heute so, daß Kirche wie Sozialismus von gemeinsamen Gefahren des ethischen Materialismus, der passiven Gleichgültigkeit und des reinen Konsumdenkens bedroht erscheinen und beide Gefahr laufen, mit ihren Idealen und Wertvorstellungen unter die Räder eines perfekten Pragmatismus und Egoismus, der die Menschen nicht zu ihrem wahren Glück führt, sondern es ihnen verbaut, zu geraten. Ist der moralische Zustand unserer Gesellschaft und unserer eigenen Bewegung wirklich so beschaffen, daß wir guten Gewissens auf die ethischen Impulse, die nicht zu letzt von der Religion kommen, verzichten und uns in dieser Beziehung autonom dünken können? Muß der Sozialismus nicht froh sein, wenn die religiöse Unterweisung von heute frei von den Belastungen einer Vergangenheit, in der sie mit politischer Indoktrination und Einseitigkeit vermischt war, wirken und dazu beitragen kann, das Interesse der Menschen auf immaterielle und überzeitliche Werte zu lenken? Wenn der Sozialismus nicht selbst Religionsersatz sein und damit eine Funktion erfüllen will, die seine Kräfte und seine Kompetenz übersteigt, muß er die Religion als eine ergänzende Komponente und Möglichkeit respektieren, ja als verbündete Macht begrüßen. Der Sozialismus hat sich in der Vergangenheit selbst genug damit geschadet, daß er sich überforderte und die Menschen dann letzten Endes enttäuschen mußte. Wenn er aus diesen Fehlern gelernt hat, muß er

den Bereich des Religiösen ebenso räumen und Berufeneren überlassen, wie die Kirche den Raum des Politischen der freien Verantwortung ihrer Gläubigen überlassen hat. Der Appell von Kardinal König, daß sich Katholiken in allen Parteien profilieren sollen, ist ein Bekenntnis zu einem innerkirchlichen Pluralismus, dem auch auf sozialistischer Seite eine Bereitschaft zur Achtung der Grenzen des eigenen Wirkens entsprechen muß, wenn der Prozeß der Verständigung, von beiden Seiten gefördert, in Gang kommen soll. Katholizismus und Sozialismus sind nun einmal die wichtigsten geistigen Kräfte, die die Geschichte unseres Landes und seiner Menschen geformt haben und sie auch heute noch prägen, soferne Ideen überhaupt doch prägend wirken. Wäre es nicht hoch an der Zeit, die historische Tragik des Gegeneinander dieser Mächte, die im Zeichen gemeinsamer Bedrohung zusammenrücken müssen, wenn sie ihre jeweiligen Ziele erreichen wollen, zu überwinden und gegen eine Beziehung zu vertauschen, die nicht spannungslos bleiben kann, aber gerade in der Spannung eine fruchtbare Kooperation ermöglicht?

Wenn sich der Sozialismus aber nicht als Religionsersatz versteht und keinen Versuch mit untauglichen Mitteln unternimmt, gleichzeitig aber eine Zurückdrängung der Religion anstreben würde, müßte er zwangsläufig ein Va-, kuum erzeugen, in das unkontrollierbare geistige und gesellschaftliche Kräfte einströmen würden. Hüten wir uns also davor, störend in Bereiche einzudringen, deren Schonung und Respektierung nicht nur eine Pflicht der Toleranz, sondern auch ein Gebot der Klugheit ist! Nicht nur die katholische Kirche, sondern auch der Sozialismus als sittlich-ideelle Bewegung könnten andernfalls Schaden nehmen.“

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