6640620-1957_43_03.jpg
Digital In Arbeit

Katholik und Sozialist

Werbung
Werbung
Werbung

Die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und demokratischen Sozialisten gehört zu den wichtigsten „innenpolitischen” Aufgaben der freien Welt. Vieles ist da noch ungeklärt, vieles verunklärt. Man täusche sich nicht: die Eindruckskraft der freien Welt nach außen hin hängt ab von der Kraft, mit der sie in ihrem Inneren um Wahrheit und Klarheit ringt. Die „Furche” hat in diesem Sinne einen interessanten Vertreter des jüngeren österreichischen Sozialismus eingeladen, als Cast das Wort zu ergreifen. Dr. Günther Nenning, Redakteur des sozialistischen Partei- Organs der Steiermark, „Die Neue Zeit”, gehört zu jener Generation, die, heranwachsend in den Schatten einer argen Vergangenheit, die Ueber- zeugung gewonnen hat: so darf es nicht wieder kommen; so leicht, so billig, wie man sich aber heute in den Kreisen satter und sicherer Posi- tionsbesitzer den Ausgleich der gegensätzlichen Interessen vorstellt, geht es auch nicht. Diese Generation weiß: der Mensch lebt nicht vom Brot allein; wenn es nicht zu echten, lebendigen, geistigen Auseinandersetzungen kommt — jenseits der Bürgerkriegsatmosphäre —, warten Sumpf und Gericht auf uns. — Die „Furche” freut sich, den Aufsatz Dr. Nennings ihren Lesern zur Diskussion zu stellen. Die Redaktion

Lieber Freund!

Ich kenne Dich nicht persönlich, ansonst aber sehr gut. Wir sind etwa gleichen Alters; alt genug, um den bisher letzten Weltkrieg mitgemacht zu haben; jung genug, um den Aelteren mit der solidarischen Nonkonformität der nachrückenden Generation gegenüberzutreten. Deswegen kennen und verstehen wir einander.

Wir stehen in verschiedenen Lagern. Daß es sc kam, hat verschiedene Ursachen, teils verblüffend äußerliche, sogenannte „materialistische”, teils verblüffend innerliche, sogenannte „idealistische”. Die Genese unserer Parteinahme ist komplex und ambivalent. Wir wissen das voneinander und brauchen daher nicht darüber zu reden. Wir stehen nun, wo wir stehen, und verstehen einander.

Wir stehen in verschiedenen Lagern — das ist die Praxis. Die Theorie ist anders: ein gläubiger Katholik kann natürlich überzeugter Sozialist sein, ein gläubiger Sozialist natürlich überzeugter Katholik. In der Praxis ist eine solche Personalunion reichlich selten.

Statistisch läßt sich das Gegenteil haarscharf beweisen. Fast alle Oesterreicher sind Katholiken, fast die Hälfte der Oesterreicher wählt sozialistisch: also ist fast jeder zweite Oesterreicher zugleich Sozialist und Katholik.

Die Statistik muß Stimmzettel und Taufschein als ausreichende Ausweispapiere gelten lassen. Wir beide, lieber Freund, tun das nicht. Die große Mehrzahl nimmt entweder nicht ernst, was im Taufschein steht, oder nicht ernst, was auf dem Stimmzettel steht, oder sie nimmt weder das eine noch das andere ernst.

Die sowohl das eine wie das andere ernstnehmen — den katholischen Taufschein und den sozialistischen Stimmzettel —, das sind die wahren wandelnden Wundertiere, in ihrem jeweiligen Lager höchst süspekt wegen des Weiten Bogens, den sie um den großen Topf machen, der in jedem Lager noch immer am Feuer steht und in dem in jedem Lager noch immer prächtige politische Süppchen gekocht werden. Rezept: In den einen Topf werfe man unterschiedslos: Kommunismus. Marxismus, Sozialismus überhaupt — in den anderen Topf werfe man unterschiedslos: die katholische Kirche in der Ersten Republik, die katholische Kirche heute, die christliche Religion überhaupt.

Es sind zwei große, bequeme und geräumige Töpfe. Das Herausfischen und Auseinandersortieren dessen, was man da alles hineingeworfen hat, ist erst im Anfangsstadium. Einige wenige fischen und sortieren; die meisten aber schauen zu, abwartend, skeptisch, auch feindselig. Es ist ein qualvoll langsamer Prozeß, der sich da vollzieht.

Das mag freilich nur uns so Vorkommen, die wir der Gegenwart verhaftet sind. Im Rückblick, nach gelungener Klärung und Verständigung, wird vielleicht das Tempo ganz ordentlich scheinen, wird man vielleicht sagen: 1934 standen sie noch auf verschiedenen Seiten der Barrikade; wie weit sind sie doch, nach wenigen Jahrzehnten, einander nähergekommen.

Im Rückblick wird dann auch die Zahl derer, die beides ernstnehmen — sowohl den katholischen Taufschein wie den sozialistischen Stimmzettel — nicht gar so gering erscheinen, wie uns beiden heute, lieber Freund. Dann erst wird sich vielleicht gezeigt haben, nach dem Sieg der Klarheit und Verständigkeit, wie groß die Zahl unserer Freunde heute schon ist; dann erst, weil cs heute noch heimliche Freunde sind.

Wieviel heimliche Freunde haben wir schon? Wieviel, die ganz unserer Meinung sind, aber damit noch hinter dem Berg halten, weil sie die Sicherheit vorziehen; die Sicherheit des eigenen Lagers, an das man gebunden ist durch ideelle Vorliebe, menschlich-freundschaftliche Beziehungen, materielle Bande. Und man weiß, daß individuelle Sprünge über den kollektiven Schatten in diesem wie in jenem Lager ungern gesehen werden.

Vielleicht auch — seien wir Optimisten, lieber Freund! — glaubt man auch nur noch, daß solche Sprünge nicht gern gesehen werden.

Ich sprach von „unserer Meinung”, habe sie aber bisher nur unzureichend und mißverständlich formuliert. Das mag eben daher kommen, daß wir uns ohnehin so gut verstehen, lieber Freund, aber erfordert doch allmählich Abhilfe. Ich sagte zuvor soviel wie: man möge sowohl den sozialistischen Stimmzettel ernstnehmen wie auch den katholischen Taufschein. Ich meinte damit nicht nur: den eigenen Stimmzettel, den eigenen Taufschein. Ich meinte damit vielmehr auch: den Stimmzettel, den Taufschein des Mitbürgers und Nächsten.

Denn es reicht fürs erste schon recht weit, wenn die beiden Lager einander lautere, ernsthafte und verständige Motive zubilligen: zubilligen, daß einer, der gläubiger Katholik ist, nicht unbedingt ein an der Nase herumgeführter, opiumbenebelter Dummkopf sei; zubilligen, daß einer, der überzeugter Sozialist ist, nicht unbedingt ein von blut- und machtdürstenden Demagogen verhetzter, bedauernswert gott- und vaterlandsloser, moral- und gesetzloser Geselle sei.

So glaubt man’s in der Praxis doch noch! Politische und weltanschauliche Meinungen und Differenzen sitzen recht tief unten im Seelenleben, weit unterhalb von Logik und Verstand, und ganz nahe dem Unterbewußten, Irrationalen, Komplexbehafteten — dort ist so.

In der Theorie ist es anders: da wird heute immer wieder gesagt, von beiden Seiten: es gibt keinen Gegensatz zwischen sozialistischer Partei und katholischer Kirche. Die eine befaßt sich mit diesseitigen Dingen, mit Politik, die andere befaßt sich mit jenseitigen Dingen, mit Religion. Die beiden operieren auf ganz verschiedenen Ebenen; sie können einander gar nicht in die Quere kommen, außer durch mißverständliche oder böswillige Grenzüberschreitungen, wie sie heute immer seltener und seltener werden.

Diese Feststellung ist theoretisch richtig. Und es ist nützlich, daß sie von beiden Seiten immer wieder erneut wird. Aber reicht sie aus? Wir sind uns vermutlich darin einig, lieber Freund, daß sie nicht ausreicht. Hier wird in der Theorie festgestellt — und zwar mit Recht daß die zwei Lager, in denen wir stehen, mangels an Gegensätzen zwischen uns, eigentlich gar nicht existieren; jeder geistig regsame Mensch in unserem Lande weiß, daß sie dennoch da sind, jeder simple „politische Kopf” rechnet mit ihnen auf seine Weise, aber jedenfalls als politische Realität.

Politische und weltanschauliche Meinungen und Differenzen wurzeln eben nicht im theoretischen Bereich der Logik und des Verstandes; sie wurzeln nahe beim Unbewußten, bei einem Kollektiv-Unbewußten, das vor allem auch durch historische, politische und soziologische Archetypen geprägt ist. Und in unserem Lande gibt es nun einmal die Archetypen „politisierende Kirche” und „gottloser, marxistischer Sozialismus”.

Das ist aber noch nicht alles. Das ist nur ein Einwand, der sich von selbst erledigen mag, je mehr die Alten wegsterben und die Jungen nachwachsen. Viel schwerwiegender ist ein anderer Schönheitsfehler eines „neuen Kurses”, der die katholische Kirche darauf festzulegen versucht, rein „jenseitig” zu wirken, und die sozialistische Partei, rein „diesseitig” zu wirken. Hier ist er:

Die katholische Kirche hat bisher niemals in ihrer Geschichte darauf verzichtet, Einfluß und Anteil zu nehmen auch an den „diesseitigen” Angelegenheiten; wer Religion ernst nimmt, kann auch gar nicht anders, als ein Stück davon schon im „Diesseits” zur Geltung bringen zu wollen.

Die sozialistische Partei hat niemals bisher in hrer Geschichte darauf verzichtet, sich auch einen „weltanschaulichen” Ueberbau zu geben, ihre auf das materielle „Diesseits” g.iichtetn Forderungen auch geistig, sittlich, philosophisch zu begründen; wer eine so gründliche Umgestaltung der Gesellschaft anstrebt wie diese Partei, kann gar nicht auskommen ohne eine solche Gründung im Geistigen, „Jenseitigen”.

Natürlich ist das „Diesseitige”, in dem die katholische Kirche wirken will, etwas anderes als schlechthin Parteipolitik. Natürlich ist das „Jenseitige”, das der Sozialismus in Anspruch nimmt, etwas anderes als schlechthin Religion. Aber eben so natürlich ergeben sich, angesichts der fundamentalen Einheit von allgemeiner Politik und Parteipolitik einerseits, Philosophie und Religion anderseits, angesichts der Unmöglichkeit, diese natürlichen mixta composita anders zu trennen, als rein theoretisch und daher erfolglos — ergeben sich auf dem Felde der „Diesseits” wie auf dem des „Jenseits” wechsėlnde und verschwimmende Zonen des Kontaktes, der Reibung, ja des Konfliktes zwischen katholischer Kirche und sozialistischer Partei.

Sind wir uns nicht einig darin, lieber Freund, daß diese Zonen des Kontaktes im „Diesseitigen” wie im „Jenseitigen” ebensowohl wie Anlässe zum Konflikt auch Anlässe bieten zur Begegnung, ja zur Einigung?

Dem Verfechter der Theorie von den zwei Ebenen, auf denen katholische Kirche und sozialistische Partei einander nie begegnen und daher auch nie aneinandergeraten können, bleiben nur zwei Möglichkeiten. Meint er es ernsthaft und ehrlich: als Katholik, daß alle Politik für ihn Privatsache, als Sozialist, daß alle Religion für ihn Privatsache — dann muß er eine monströse Selbstkastration vollziehen. Er muß als Katholik dann auf die Praxis verzichten, denn die bedeutet immer auch Auseinandersetzung mit der Politik; er muß als Sozialist dann auf die Theorie verzichten, denn die bedeutet immer auch Auseinandersetzung mit der Religion. Weder Politik für den Katholiken, noch Religion für den Sozialisten können in diesem Sinne Privatsache sein.

Die andere Möglichkeit ist natürlich: man meint es nicht ehrlich, man meint es nur taktisch, man hält die Theorie von den zwei Ebenen eben für opportun, man will die Stabilität der Politik nicht stören; keine heißen Eisen, keine Griffe ins Wespennest.

Wir sind uns vermutlich einig, lieber Freund, daß dies schändlich wäre. Denn Wahrheit — und die Theorie von den zwei Ebenen ist ein Stück Wahrheit — würde hier mißbraucht, um erfolgreicher unwahr sein zu können. Die besten Lügen sind jene, die zu einem Gutteil wahr sind. Wahrheit aber ist ganze Wahrheit und nichts als Wahrheit.

Ich glaube, ich bin nun, mühsam genug und sicherlich nicht immer folgerichtig, beim Kernpunkt meines Briefes an Dich, lieber Freund.Wir haben beide die Lager gewählt; wir fühlen uns auch soweit ganz wohl darin. Es werden keine unbilligen Ansprüche an uns gestellt, keine blinden Treuekundgebungen zur Parteilinie werden verlangt, keine Salti mortale der Wahrhaftigkeit. Aber eine leichte, eben noch tragbare Frontbegradigung: sollte es das sein, was unser Unbehagen ausmacht, unser Ungenügen am eigenen Lager, unser Gefühl, umgeben zu sein von Glätte und Schleim, vom Banausentum des Erfolges, der sein eigenes Geheimnis herausgefunden hat und es, weil es sein einziges ist, nicht preisgeben will; das Geheimnis nämlich, daß er keinen Geist hat, daß Geist nicht zählt und Geist nur stört?

Wir tun möglicherweise manchen Aelteren in jeweils unserem Lager ziemlich unrecht. Sie sind möglicherweise einfach müde. Als sie jünger waren, sind sie um die geistige Begegnung gekommen, weil die Gegensätze zwischen den beiden Lagern den Hitzegrad des Bürgerkrieges erreichten. Nun sind sie ins andere Extrem verfallen; jetzt kommen sie um die Begegnung, weil sie alle Gegensätze wegeskamotieren. Gleichen sie nicht jenen Clowns, die in der Arena mit freundlich ausgestreckten Händen aufeinander zueilen, nur um einander zu verfehlen, um mit einer Handbreit Zwischenraum (der Zwischenraum zwischen den „beiden Ebenen”!) aneinander vorbeizugehen?

Oder wissen sie einfach mehr vom Leben als wir, wissen etwas, das wir erst lernen müssen? Daß es nämlich in der erfolgreichen Politik genau auf solches Lächelnd-Aneinandervorbei- gehen ankommt?

Wie dem auch sei, jedenfalls müssen wir es erst lernen. Es ist das Vorrecht der jungen Menschen, sehr ungerecht zu sein gegen das Alter. Das Vorrecht von uns Jüngeren möge immer noch sein, ein wenig ungerecht zu sein.

Wir fühlen uns, jeder in seinem Lager, ein wenig einsam und ohne Ansprache. Vielleicht sollten wir bisweilen ein wenig zusammenrücken. Nicht um uns zu umarmen und auszurufen: Im Grunde sind wir ohnehin alle Christen! — oder: Im Grunde sind wir ohnehin alle Sozialisten! Das werden wir nie so gut treffen wie manche der Aelteren. Im Gegenteil: wir wollen ein wenig Wärme, Feuer, Hitze in trostloser geistiger. Eiswüste.

Oder sollte uns nicht gelingen, was so manchen Generationen vor uns gelang: ein geistiges Leben zu haben?Wir haben beide die Lager gewählt; wir fühlen uns auch soweit ganz wohl darin. Es werden keine unbilligen Ansprüche an uns gestellt, keine blinden Treuekundgebungen zur Parteilinie werden verlangt, keine Salti mortale der Wahrhaftigkeit. Aber eine leichte, eben noch tragbare Frontbegradigung: sollte es das sein, was unser Unbehagen ausmacht, unser Ungenügen am eigenen Lager, unser Gefühl, umgeben zu sein von Glätte und Schleim, vom Banausentum des Erfolges, der sein eigenes Geheimnis herausgefunden hat und es, weil es sein einziges ist, nicht preisgeben will; das Geheimnis nämlich, daß er keinen Geist hat, daß Geist nicht zählt und Geist nur stört?

Wir tun möglicherweise manchen Aelteren in jeweils unserem Lager ziemlich unrecht. Sie sind möglicherweise einfach müde. Als sie jünger waren, sind sie um die geistige Begegnung gekommen, weil die Gegensätze zwischen den beiden Lagern den Hitzegrad des Bürgerkrieges erreichten. Nun sind sie ins andere Extrem verfallen; jetzt kommen sie um die Begegnung, weil sie alle Gegensätze wegeskamotieren. Gleichen sie nicht jenen Clowns, die in der Arena mit freundlich ausgestreckten Händen aufeinander zueilen, nur um einander zu verfehlen, um mit einer Handbreit Zwischenraum (der Zwischenraum zwischen den „beiden Ebenen”!) aneinander vorbeizugehen?

Oder wissen sie einfach mehr vom Leben als wir, wissen etwas, das wir erst lernen müssen? Daß es nämlich in der erfolgreichen Politik genau auf solches Lächelnd-Aneinandervorbei- gehen ankommt?

Wie dem auch sei, jedenfalls müssen wir es erst lernen. Es ist das Vorrecht der jungen Menschen, sehr ungerecht zu sein gegen das Alter. Das Vorrecht von uns Jüngeren möge immer noch sein, ein wenig ungerecht zu sein.

Wir fühlen uns, jeder in seinem Lager, ein wenig einsam und ohne Ansprache. Vielleicht sollten wir bisweilen ein wenig zusammenrücken. Nicht um uns zu umarmen und auszurufen: Im Grunde sind wir ohnehin alle Christen! — oder; Im Grunde sind wir ohnehin alle Sozialisten! Das werden wir nie so gut treffen wie manche der Aelteren. Im Gegenteil: wir wollen ein wenig Wärme, Feuer, Hitze in trostloser geistiger. Eiswüste.

Oder sollte uns nicht gelingen, was so manchen Generationen vor uns gelang: ein geistiges Leben zu haben?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung