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Christentum und Sozialismus Falsch gesetzte Alternativen

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Die FURCHE hat in der ersten Nummer dieses Jahres versucht, einen Beitrag: zur Begriffsklärung in der schwelenden Grundsatzdiskussion zu geben. Folgerichtig gehen nun die nächsten Aufzeichnungen bereits auf die Frage „Christentum und/oder Sozialismus1 weiter, auf die oft genug diese Diskussioi konzentriert wird. In weiterer Folge soll si in die Problematik,,Kirche und SPÖ in Oster reich“ münden.

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Die FURCHE hat in der ersten Nummer dieses Jahres versucht, einen Beitrag: zur Begriffsklärung in der schwelenden Grundsatzdiskussion zu geben. Folgerichtig gehen nun die nächsten Aufzeichnungen bereits auf die Frage „Christentum und/oder Sozialismus1 weiter, auf die oft genug diese Diskussioi konzentriert wird. In weiterer Folge soll si in die Problematik,,Kirche und SPÖ in Oster reich“ münden.

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Politk kann machiavellistisch- eingeengt als bloße Strategie der Machteroberung und der Machtverteidigung gesehen werden. Politik hat aber auch ihre ordnungspolitischen Dimensionen: als Bemühen, das Zusammenleben der Menschen im öffentlichen Bereich erträglich zu machen und eine Ordnung zu schaffen oder fu erhalten, in welcher Freiheit und Sicherheit ihren Platz haben.

Sicherlich, auch die gekonnte Taktik des politischen Schachspiels hat seine Faszination für den (scheinbar) unbeteiligten Zuschauer wie ein Boxkampf oder ein Skirennen. Heute aber ist Politik über das Sportliche hinaus wieder interessant geworden, seit es wieder um grundsätzliche Ordnungsvorstellungen geht.

Seit das Wort vom „Politischen Katholizismus“ die „Ideologie-Diskussion“ (besser „Grundsatzdiskussion“) ausgelöst hat, die es bezweckte, ist die Diskussion in Bewegung gekommen und besonders seit den großen europä-

ischen Wahlgängen des vergangenen Herbstes vergeht kaum ein Tag, an welchem nicht in der österreichischen Tagespresse auf die unterschiedlichen Beziehungen eingegangen wird, die zwischen Christentum und Sozialismus denkbar sind.

Sozialismus und Christentum - was ist da womit konfrontiert und welche Kooperation oder welche Konfrontation zwischen welchen Partnern oder Gegnern wird da eigentlich gesucht? Werden da nicht zwei ganz verschie- denene Dinge miteinander in Beziehung gebracht?

Unter kulturgeschichtlichen Horizonten steht die Gegenüber- oder Nebeneinanderstellung von Sozialismus und Christentum unter einer falschen Perspektive, Der Sožialfertvus geht,-; bestenfalls - zurück-an die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und ist in seiner ausgeprägtesten Variante als Marxismus nicht mehr als gute hundert Jahre alt. - Eine relativ kurze Periode in der langen Entwicklung der sozialen Ordnungsvorstellungen! Der Sozialismus wird als historische Erscheinung wieder anderen gesellschaftlichen Systemsvorstellungen Platz machen.

Was ihm gegenüberstand, war nicht „das Christentum“, es war zunächst der aufgeklärte liberale Staat und später die christliche, im wesentlichen katholische Sozialbewegung in einer ganz spezifischen historischen und in dieser Weise sicherlich nicht wiederholbaren Erscheinung.

„Das Christentum“ hingegen liegt auf einer ganz anderen Ebene und steht unter ganz anderen Zeithorizon-

ten: seine 2000jährige Tradition und geistige Entwicklung hat den Gang der Menschheitsgeschichte seither mitbestimmt, die ihrerseits wieder manche Narbe hinterlassen hat.

Wenn wir uns an Dimensionen berauschen wollen, so bleibt kein Wunsch offen. Das Christentum ist konkurrenzlos: keine geistig-sittliche Bewegung hatte je in der langen Geschichte der Entfaltung der menschlichen Kultur eine so weite und langanhaltende und sozial so in die Tiefe gehende und geographisch weithin verbreitete Ausdehnung erfahren wie das Christentum. Mit Karl Rahner (Grundkurs des Christentums, 1976) beginnen wir heute die ganze Menschheitsgeschichte als Heils- und Offenbarungsgeschichte zu begreifen und zu verstehen, daß der Mensch seinen Kulturauftrag nur in Gesellschaft erfüllen kann. Auch „Kirche“ ist „Gesellschaft“. Das Verhältnis des Christentums zur diesseitigen, materiellen Welt wird durch den Kulturauftrag der Genesis sehr konkret umschrieben: die Erde zu erfüllen und sie sich untertan zu machen. Das Christentum ist die dynamische Bewegung zur Erneuerung der Erde, und diese Erneuerung beginnt mit der Bewältigung der Probleme unseres Zusammenlebens auf dem „Raumschiff Erde“.

Nach der schizophrenen Trennung der beiden Ebenen der menschlichen Existenz, dem Diesseits und dem Jenseits, läßt heute eine offenbar perfek- tionistische technische Zivilisation die unverzichtbare Notwendigkeit von ethnischen Motivationen klar werden, die über das unmittelbar Erd- und Zeitgebundene hinausweisen.

Was nun die Konfrontation oder Kooperation gegenüber oder mit „dem Sozialismus“ betrifft, so liegt das Gemeinsame darin, daß die politische Gestaltung des Zusammenlebens als Teü des Kulturauftrages gesehen wird. Das Unterscheidende liegt darin, daß die Veränderung der Welt nicht notwendigerweise aus dem christlichen Wissen um Leben und Tod gesehen werden muß.

Es geht in der Grundsatzdiskussion darum, zu erkennen, aus welchem Verständnis des Menschen und seiner Natur die gesellschaftlichen Probleme gesehen werden und ob die Lösungen,

die angeboten werden, in die Zukunft weisen, oder ob sie mehr neue Probleme schaffen als alte lösen.

Soll der Begriff „Sozialismus“ nicht mit jeder sozialen Gesinnung identifiziert werden, was historisch völlig absurd wäre, dann steht der christliche Sozialrealismus dem sozialistischen Utopismus gegenüber. Die zum Bösen geneigte Natur des Menschen, seine Erlösungschancen und seine Freiheit, sich zu entscheiden, sind der Angelpunkt der Unterscheidung.

Wenn der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Österreichs der katholischen Intelligenz attestiert, daß sie „als einziger Gesprächspartner (bleibt), der Anspruch auf eine Auseinandersetzung über moderne Gedanken erheben“ könne, so muß er freilich auch in Kauf nehmen, daß sich die katholische Intelligenz dieses Landes zu einem nicht geringen Teil in der großen derzeitigen Oppositionspartei um die Lösung der politischen Probleme bemüht

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