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Katholik sein in der SPÖ

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Sie haben mich einmal gefragt, wie es einem Katholiken in der SPÖ ergeht. Sie verdienen eine offene Antwort, das heißt eine Antwort ohne Rücksicht darauf, ob es manchen Katholiken so paßt, aber auch ohne Rücksicht, ob es manchen meiner Parteifreunde paßt. Ich will

Schwierigkeiten nicht andeuten, sondern aussprechen. Taktische Formulierungen sind zuwenig, wo es darum geht, Wahrhaftigkeit zu üben. Gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt scheint mir damit meiner Kirche wie meiner Partei wahrscheinlich am besten gedient.

Eine persönliche Antwort

Ich will keine vom Parteiapparat gelieferte und genehmigte Schallplatte abspielen, sondern als Person antworten. Mir ist bewußt, daß darin außer Bescheidung auf einen gänzlich parteünoffiziellen Standpunkt auch Arroganz steckt.

Ich arrogiere mir die Freiheit, auf die Frage, ob man als Katholik in der SPÖ zweitrangig ist, ob alle Sozialisten gleich sind, aber die Marxisten gleicher — zu antworten, ohne mich mit dem Hinweis auf die durch Statuten und Programm klar determinierte Lage zu begnügen. Mich interessiert nicht bloß das bedruckte Papier, sondern vor allem die geistige Wirklichkeit in meiner Partei.

Dies deshalb, weil es mir um die wechselseitige geistige Durchdringung von Christentum und Sozialismus geht, nicht um die saubere Trennung in Theorie wie Praxis: hie Religion, die nichts mit Gesellschaft zu tun hat; hie Gesellschaft, die nichts mit Religion zu tun hat. In Wahrheit ist Religion mehr als Privatsache, Sozialismus mehr als Parteisache.

Ich kann und will den Sozialismus nicht vor der Kirchentüre hinterlegen, bevor ich zur Messe gehe; ich kann und will das Christentum nicht in der Garderobe abgeben, bevor ich mein Parteilokal betrete.

Ich gebe zu, daß solche Fersönüch-keitsspaltungen in einen sozialistischen Dr. Jekyll und einen christlichen Mr. Hyde beziehungsweise umgekehrt unter den gegenwärtigen Verhältnissen für alle Beteiligten recht praktisch sein kann. Aber es ist uns gesagt, daß wir wirken mögen, und nicht, daß wir's dabei leicht haben sollen.

Daher hänge ich mir, wenn ich unter Katholiken bin, nicht etwa aus Sicherheitsgründen eine Tafel um den Hals: „Auch Rote sind Menschen! Übet daher Nächsten- bzw. Feindesliebe!“

Noch auch will ich mir unter Sozialisten den folgenden, viel umständlicheren Schutz- und Geleitbrief umhängen:

„Achtung, Genossen! Haltet Parteidisziplin! Beachtet 1 der Statuten: ,Mitglied der SPÖ kann jeder werden, der sich zu ihren Grundsätzen bekennt.' Beachtet im Zusammenhalt damit den Abschnitt ,Die Grundsätze der Sozialisten' im Programm 1958, insbesondere:

Satz 9: Gleichviel, ob Sozialisten ihre Überzeugung aus den Ergebnissen marxistischer oder anders begründeter sozialer Analysen oder aus religiösen oder humanitären Grundsätzen ableiten...“

Satz 10: ,Die Sozialisten achten das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben, wie zu einer nichtreligiösen Weltanschauung als innerste per-önliche En.tscheidu.no...'

Satz 11: .... Sozialisnws und Christentum als Religion der Nächstenliebe sind miteinander durchaus vereinbar ...“

Satz 12: Jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig Sozialist sein.' “

Nein, ich beharre nicht auf meinem Schein. Ich will nicht ungeschoren bleiben, weder als Sozialist unter Katholiken noch als Katholik unter Sozialisten.

Ich freue mich, wenn Katholiken mich fragen: Wie kannst du nur als Christ Anhänger des Marxismus, Anhänger des historischen Materialismus sein? — Ich freue mich, wenn Sozialisten mich fragen: Wie kannst du nur als Marxist an diesen ganzen Hokuspokus der Pfaffen glauben?

Wer gefährdet wen?

Jedes derartige Gespräch bringt außer der möglichen Gefährdung der eigenen Position auch Hoffnung auf Gefährdung der Position des Gesprächspartners.

Und zumindest vom Christen ist ausdrücklich gefordert, daß er sich nicht fürchte, sondern hoffe — gefordert, daß er so stolz sei wie Paulus (natürlich mit dem gehörigen Respektabstand), auf die ganze, im zweiten Korintherbrief neunfach aufgezählte Gefährdung im Wirken als Christ.

Die paulinischen Gefahren Nr. 3 und Nr. 9

Nun, insbesondere an den paulinischen Gefahren Nr. 3 und Nr. 9 („Gefahren von meinem eigenen Volk“, „Gefahren unter falschen Brüdern“), wird man als Katholik in der SPÖ bis auf weiteres keinen Mangel leiden.

Gegenüber der Freude an der Fruchtbarkeit solcher Gefahren vergesse ich rasch den physiologisch nicht gänzlich unterdrückbaren Ärger über parteiamtsärztliche Be-'scheinigungen, betreffend meinen verwirrten Geisteszustand, wie sie die mir befreundete „Arbeiterzeitung“ zum Abdruck bringt.

Ich glaube daß es heute, da der zeitgenössische Sozialismus gewaltige äußere Erfolge erringt und noch größere erringen wird, zugleich aber seine einstige theoretische Triebkraft, die Pseudoreligion des atheistischen Materialismus, immer schwächer wird — ich glaube, daß es gerade In dieser Weltstunde gilt, als Christ im Soziallsmus zur Stelle zu sein. Heute ist das wohlabgeschirmte religiöse Rentnerdasein unter seinesgleichen für den Christen verbotener denn je.

Begegnung der Vorhuten

Ich gebe zu, daß von dieser Weltstunde, da die Sozialisten endlich christianisiert und die Christen endlich sozialistisch werden können, in Österreich bisweilen und mancherorts, in Kirche wie Sozialistischer Partei, verzweifelt wenig zu spüren ist. Aber man hat zu wirken, nicht wo es am schönsten wäre, sondern wo man hingestellt ist. Mir genügen fürs erste die zahlenmäßig geringen Vorhuten, die auch in unserem Vaterland von beiden Seiten unterwegs sind — aufeinander zu.

Ich gebe des weiteren zu, daß diese Vorhuten, klein an Zahl wie sie sind, von sozialistischer Seite noch kleiner sind als von christlicher.

Die neue Parole

Als Katholik in der SPÖ, als SPÖ-Mitglied in der Kirche ist man ein — wenngleich bescheiden dimensioniertes — Behältnis, welches die zwei großen Geistesströme der Gegenwart in sich aufnimmt. Hievon erfüllt, kann man auf eine Weise wirken, welche dem Christen wie dem Sozialisten heute nicht mehr recht geläufig ist. Man bleibt nicht unter sich und kurbelt am vertrauten eigenen Apparat, der durch den Hinzutritt ungelernter Außenstehender nur in Unordnung geriete — sondern man ist, im kleinen Maßstab und fast stets ohne kurzfristig zu erhoffenden Erfolg, außer in der eigenen auch in

Da aber beiderseits Jugend dabei ist, fast ausschließlich Jugend, genügt mir auch dies fürs erste.

Vermutlich wären die Dinge, um die es konkretermaßen geht, gar nicht anders zu leisten als zunächst in der Begegnung geeignet kleiner Vorkommandos. Um die versteinerten Verhältnisse auf beiden Seiten zum Tanzen zu bringen, dazu bedarf es grüdlicher, jahrelanger Prabearbeit im kleinen Kreis. Die Umrisse alles dessen, was das Christentum ohne Verlust an seiner Substanz, nein: unter Wiedergewinnung von Substanz vom Sozialismus lernen und übernehmen kann; die Umrisse alles dessen, was der Sozialismus ohne Verlust an seiner Substanz, nein: unter Wiedergewinnung solcher Substanz vom Christentum lernen und übernehmten kann — alle diese Umrisse dämmern uns erst, wenngleich schon recht deutlich.

Der Welt der anderen tätig, und dies sind bloß vorläufig änderte: sie können gewonnen werden.

Dies ist dann so hoher Gewinn, daß man gefälligst nicht auch noch fordern möge, solcher Gewinn möge in Masse und in kurzer Frist vorgewiesen werden, überdies auch noch ohne jede Unibequemlichkeit erwerbbar sein.

In anderer, dunklerer Stunde gab der große christliche Sozialist Österreichs, Emst Karl Winter, die Parole: „Rechts stehen und links denken.“ Heute sind die Zeiten besser; heute heißt die Parole: „Links stehen und christlich denken.“

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