6695688-1963_06_05.jpg
Digital In Arbeit

Katholische Sozialisten: Wohin?

Werbung
Werbung
Werbung

Im der von August Zechmeister herausgegebenen Schriftenreihe „End-zeitlicher Glaube“ ist jüngst, als Num-nter 6, eine Positionsabklärung katholischer Sozialisten erschienen. Wenn auch im Bekenntnis sowohl zur Kirche wie auf der anderen Seite zum Sozialismus durchaus gefestigt, sehen die 'Autoren die Proportionen von Kirche und Sozialismus wie auch die Rechtfertigung ihres Wagnisses in einer erstaunlichen Verschiedenheit.

Die Redaktion

Den Autoren geht es keineswegs um die Frage, ob ein Katholik sich zum Sozialismus bekennen dürfe oder nicht. Diese Frage ist für sie als Folge der Entwicklung des modernen Sozialismus im positiven Sinn beantwortet. Man ist nicht Sozialist obwohl man Katholik ist, sondern weil man für seinen Glauben in der Welt Zeugnis abzulegen gewillt ist, auch in der Welt des Sozialismus. Das Dabei-Sein im Sozialismus wird als ein missionarisches Engagement verstanden, als eine spontane Selbstverpflichtung, um In einer weltlichen Welt diese zu einer menschlichen Welt umgestalten zu helfen. Der Sozialismus gehört zu dem Instrumentarium bei diesem Vorhaben. Das Christ-Sein, als „sozialistisch“ deklariert, integriert sich dann als eine „Laienkirche der Liebe“, als eine Weltform des „helfenden christlichen Liebeswirkens“, vergegenständlicht als sozialistische, das heißt genossenschaftliche (brüderliche) Ordnung des materiellen Bereichs.

Es ist freilich nicht ein Sozialismus an sich, dem sich gläubige Katholiken anbieten können, sondern nur ein pragmatischer Sozialismus, der sich nicht anmaßt, Glaube und, als Institution, Gegenkirche zu sein: Es ist der von den Gewerkschaften praktizierte Sozialismus, eine profane Verfahrensweise zur Neu- und Bestgestaltung der Arbeitswelt.

Dabei wird nicht übersehen, daß der Einsatz des Christen im Sozialismus „wirkungslos“ sein kann, ein absurd scheinender Alleingang. Wie etwa die Mohammedaner-Mission.

Zeitlose Aktualität

Die erste Arbeit, die Zechmeister In seiner erwähnten Schrift publiziert, stellt die Wiedergabe einer Rede dar, die Professor Ernst Michel von der Universität Frankfurt vor nicht weniger als dreißig Jahren in Wien bei der zweiten Tagung des Bundes Religiöser Sozialisten Österreichs gehalten hatte. Es ist interessant, daß die Ausführungen von Michel in keiner Weise an Aktualität eingebüßt haben und daher heute noch eine geradezu programmatische Gültigkeit besitzen. Michel fordert von den sich als religiös bezeichnenden Sozialisten eine heroische Lebenshaltung, gerade angesichts der Gefährdung des Sozialismus, der nicht mehr jener des Ursprungs ist. Der Sozialismus ist weiterhin auf eine historisch einmalige Situation fixiert und kann die Gegenwart, die einer anderen Interpretation bedürfte, nicht mehr bewältigen. Daher die Forderung nach geistiger Erneuerung des Sozialismus auch, wenn nicht vor allem, durch die Christen. Dadurch wird gleichzeitig die Kirche von jeder Form des direkten Weltenwirkens abgelöst, das nun auf die christlichen Laien übergeht. Dieser soll die Verwandlung des Sozialismus von einer nur-irdischen Gerechtigkeitsbewegung zu einer „Weltform des heilenden christlichen Liebeswirkens“ mit vollziehen helfen.

Versuch bei Marx

Völlig anders die Argumentation von Gerd Hirschauer, Schriftleiter einer von deutschen Linkskatholiken herausgegebenen Zeitschrift. Hirschauer beschäftigt sich in seinen Darstellungen mit jenen Ansätzen im Denken von Karl Marx, die eine Konvergenz mit christlichen Denken aufweisen. Marx vermag sich denkend und handelnd in den Nächsten zu versetzen. Das ist nach Hirschauer ein Ansatz, der auch vom Christen beachtet werden muß. Der andere ist jener der gemeinsamen Rationalität im Weltbezug. Der Marxismus will die Welt „wissenschaftlich“, in perfekter Anpassung an die Naturgesetze, umgestalten, wenn er auch schließlich dogmatisch erstarrt und Naturgesetze mit leninistischen Normen verwechselt und das, was wahr ist, durch Gremien mit Mehrheit bestimmen läßt.

Gott hat die Welt nicht „christlich-, sondern, nach Hirschauer, vernünftig erschaffen. Wenn die Kirche sich gegen die moderne Wissenschaft gewandt hat, so nicht wegen deren Rationalbezug, sondern weil die Wissenschaftler in ihrer Mehrheit davon ausgingen, daß in der Welt, die sie zum Gegenstand ihrer Forschung machten, Gott nicht existent sei. Beide, Kirche und Sozialismus, können sich nun in einer wahrheitskonformen, rationellen Interpretation der Wirklichkeit treffen, da, wo der Sozialismus nicht Glaube sein will und die Kirche sich jeder Bindung an bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie jene der Bourgeoise, enthält.

Neue Wege der „sozialistischen Katholiken“

Das entscheidende Anliegen der Schrift ist der Beitrag von August Zechmeister. Ihm geht es weder um die Heilung eines kleinbürgerlich gewordenen, nur auf Konsummaximie-rung bedachten Sozialismus, noch um die Suche nach Ansätzen im Denken des Sozialismus, aus denen heraus Kooperationen mit den gläubigen Christen möglich sind.

Für Zechmeister ist der Sozialismus kein Ganzes als uniforme Weltanschauung, aber auch keine perfekt pragmatische Bewegung, kein „Wirtschaftsbund“ der Arbeitnehmer, sondern einerseits eine besondere Form genossenschaftlicher Selbsthilfe im sozialökonomischen Bereich und anderseits eine Kooperation von Menschen mit sehr unterschiedlichen Weltanschauungen, die sich lediglich durch die gesellschaftspolitischen Ziele auf eine gemeinsame Aktion verpflichtet fühlen. Wenn nun der Sozialismus als Partei sich in einem weltanschaulichen Pluralismus darstellt und den Katholiken in seinem organisatorischen Bereich gleichsam Reservatgebiete zuweist, bedarf es einer Absicherung dieses nur faktischen, aber nicht parteilegitimen Zustandes. Bisher bestand eine Arbeitsgemeinschaft der sozialistischen Katholiken, eine lose Disküssionsgemeinschaft, die weder eine förmliche Konstitution hat noch eine im Sinn der vereinsgesetzlichen Bestimmungen gewählte Führung. Zechmeister schlägt nun einen Umbau dieser Arbeitsgemeinschaft in einen Verein vor. Auch die anderen Weltanschauungsgruppen im Sozialismus, die Atheisten, die Anhänger eines humanistischen Sozialismus und alle anderen, die von sich glauben, so etwas wie eine Weltanschauung zu haben, werden nun das gleiche Recht in Anspruch nehmen. Zechmeister befürwortet eine solche innerparteiliche Fraktionierung wie sie auch bei den niederländischen Sozialisten besteht. Nur bei einer korrekten organisatorischen Disziplinierung der vielen in der SPÖ befindlichen Katholiken scheint es, so meint Zechmeister, möglich zu sein, die Kräfte des Glaubens, die in den sozialistischen Katholiken aufgespeichert sind, dem Sozialismus dienstbar zu machen.

Gleichzeitig fordert Zechmeister:

• Die Kirche soll die katholischen Sozialisten in ihrem missionarischen Einsatz bestärken (zumindest offiziell gewähren lassen).

• Wenn auch nicht dem Namen nach, so besteht doch real so etwas wie ein Rechtskatholizismus, anerkannt, hoffähig und die Kirche vielfach repräsentierend. Sollte der Billigung eines Rechtskatholizismus nicht auch, zur Herstellung des Gleichgewichtes, eine Billigung des Linkskatholizismus entsprechen?

• Dem weltanschaulichen Pluralismus in der SPÖ, der dort zumindest toleriert wird, sollte ein politischer Pluralismus in der Kirche konform gehen.

Zechmeister forderte bereits einmal, in einem in der „Furche“ interpretierten Brief an die Führung der SPÖ (der bisher unbeantwortet geblieben ist), eine Legitimierung der Position der Katholiken in der SPÖ. Wenn er nun seine Forderung wiederholt, so offenkundig deswegen, weil nun durch den Rücktritt des bisherigen Obmannes der Arbeitsgemeinschaft der sozialistischen Katholiken eine Neuordnung der Gruppe selbst notwendig geworden ist. Schließlich könnten auch peinliche und durch nichts begründete Entgleisungen sozialistischer Journalisten in den letzten Monaten eine Trübung des bisherigen, auf gegenseitiger Achtung beruhenden Verhältnisses von Kirche und Sozialismus in Österreich entstehen lassen. Entweder sind die Katholiken in der SPÖ geduldet, auf Abruf, oder sie haben eine anerkannte Position neben den faktisch führenden Gruppen aus dem atheistischen Lager. Der Umstand, daß kein einziges sozialistisches Regierungsmitglied der katholischen . Kirche angehört, läßt jedenfalls kaum eine Proportion bei der Machtverteilung innerhalb der SPÖ annehmen, deren Führer zwar allzu oft auf den mehrheitlich katholischen Charakter der österreichischen Bevölkerung hinweisen (ganz abgesehen davon, daß auch die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der SPÖ zumindest dem Namen nach katholisch ist), aber nicht gewillt sind, diesem Tatbestand bei Auswahl der Führung Rechnung zu tragen. Wenn die SPO auf die Zugehörigkeit gläubiger Katholiken Wert legt — und sie tut es —, muß sie billigerweise zumindest jenes Entgegenkommen zeigen, das Zechmeister für seine Gruppe fordert, um so mehr als sie provokativ den Atheisten mehr Raum und Einfluß einräumt, als ihnen nach demokratischen Grundsätzen zukommen müßte.

Das Gespräch geht weiter

Wie immer nun das Verhältnis der sozialistischen Katholiken zu ihrer Partei geordnet wird, ob im Sinn einer unverbindlichen nichtssagenden „Toleranz“ (bei faktischer Begünstigung des atheistischen Flügels) oder durch korrekte Berücksichtigung katholischer Gruppen, der nunmehr geradezu natürlichen Neigung der Christen zur Ökumene entspricht auch auf dem Sektor der Gesellschaftspolitik die Neigung zum globalen Gespräch, angesichts neuer Proportionen, die sich in der Welt als Folge sachgesetzlich bestimmter Entwicklungen anzeigen. Selbst der „prinzipielle Dialog“ mit dem Marxismus muß angesichts säkularer Wandlungen erwogen werden, soll nicht unsere Erde an vermeintlicher „Grundsatztreue“ zugrundegehen. Amerikaner und Russen sind in einem kontinuierlichen Zwiegespräch, in einer transparent gewordenen Welt, welche regionale Distanzen durch neuartige Informationskanäle auf unmittelbare visuelle Kontakte reduziert. Unter Bedachtnahme auf eine solche Situation darf sich die Kirche nicht der beachtlichen Chancen einer S o-zialistenseelsorge begeben und darf anderseits der Sozialismus nicht seine Ideen lediglich von Einkommens-, wenn nicht von Prestige-interessen bestimmen lassen und zur geistigen Mondlandschaft werden. Die größte Gefahr für den Sozialismus würde heute die Erfüllung seiner materiellen Forderungen werden ode.r die Gewinnung der Macht, die zu nützen ihm die geistigen Kräfte fehlen würden. Zwischen dem polnischen katholischen Progressismus der „Pax“ und Frankowski-Gruppe (über dessen Bedenklichkeit keine Zweifel bestehen) und einem großbürgerlichen (und ebenso bedenklichen) Rechtskatholizismus gibt es im Bereich der katholischen Laienwelt vielfältige Formen katholischer Präsenz in der Welt.

Der kühne und einsame Versuch katholischer Sozialisten, in Ambivalenz katholisch und einem weltanschaulich zwiedenkenden Sozialismus verpflichtet zu sein, verdient nicht nur Beachtung, sondern die Reverenz auch jener, die dem Sozialismus widersprechen, ist es doch ein Versuch, die Kirche in neuen ihr bisher verschlossenen gesellschaftlichen Räumen zu etablieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung