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„Reaktionäre aller Lager, vereinigt euch“?

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Dozent Dr. Anton Burghardt hat in zwei Artikeln in der „Furche“ das Thema „Der Katholik in der SPÖ“ behandelt und sich vornehmlich mit der „Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken“ und deren Obmann, Dr. Albert Massiczek beschäftigt. „Die Furche“ hat im Anschluß daran in der von ihr gewahrten noblen Großzügigkeit auch Dr. Massiczek die Möglichkeit gegeben, sich zu den Ansichten Dr. Burghardts zu äußern. Und ich bin nun aufgefordert, abschließend einiges dazu zu sagen.

Ein Gespräch zwischen Katholiken also. Dies scheint mir die erste wichtige Feststellung zu sein. Es ging Burghardt und Massiczek nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Katholizismus, zwischen SPÖ und Kirche, sondern um ein Gespräch zwischen zwei katholischen Laien verschiedener politischer Auffassung. Gespräche zwischen Katholiken sind nicht leichter zu führen als Gespräche überhaupt. Manchmal hat man eher den Eindruck, sie wären schwieriger, zumal dann, wenn Katholiken gerade aus ihrem Glauben heraus andere politische Folgerungen ziehen zu müssen glauben. Das trifft vielleicht weniger auf Burghardt und mehr auf Massiczek zu, der ja auch menschlich einen anderen Typ repräsentiert als Burghardt. Dieser, ein sachlicher klarer Analytiker, ein wissenschaftlich geschulter Soziologe, jener ein Brennender, der sagt, er wolle die Sprache eines Chrysostomus, eines Savonarola hören. Aber es war ein ehrliches und offenes Gespräch, in dem nicht der eine dem anderen Fallstricke legen wollte — auch das kommt vor im Gespräch unter Katholiken —, mit zumindest dem Streben nach Verständnis und jenem Maß von brüderlicher Liebe, das der Wiener Erz-bischof erst vor kurzem den Katholiken auch in internen Diskussionen eindringlichst nahelegte. Hier in diesem Gespräch hat der eine den anderen nicht verketzert und ihm nicht den Platz in der Kirche abgestritten, und das mag schon viel sein gegenüber einer Zeit, in der Katholiken anderen Katholiken die Kirchentür vor der Nase zuschlugen^ weil sie über manche Dinge der Welt anderer Meinung waren.

Burghardt hat in seinem Artikel mehrmals die Sorge anklingen lassen, es könnte sich hier das Schicksal der religiösen Sozialisten der ersten Republik wiederholen, die, wie er sagt, in einem heroischen Zweifrontenkrieg gegen einen radikalen Atheismus in der Sozialdemokratischen Partei und gegen einen mehr als befangenen parteipolitischen Katholizismus standen. Nun wird niemand sagen können, daß es diese Verhältnisse heute noch in ebensolchem Ausmaß gibt. Drei Jahrzehnte sind weder an der Kirche noch an den Parteien spurlos vorübergegangen. Weder ist der militante Atheismus in der SPÖ zur Zeit tonangebend noch kann man jetzt die Kirche parteipolitischer Befangenheit zeihen. Ansätze oder besser gesagt Relikte beider Haltungen sind gewiß nach wie vor vorhanden, aber man kann sie heute nicht als bestimmend bezeichnen. Und es ist daher auch kein Zufall, daß es heute auch keine religiösen Sozialisten gibt. Mit Vehemenz hat sich Massiczek gegen eine unrichtige Bezeichnung seiner Bewegung durch Burghardt zur Wehr gesetzt. Er und seine Gesinnungsfreunde wollen keine katholischen Sozialisten sein, sondern sozialistische Katholiken, und das ist mehr als nur ein Wortspiel. Der Ton liegt auf dem Sub-stantivum, sie wollen nicht Sozialisten sein, die auch katholisch sind, sondern im wesentlichen und in erster Linie Katholiken, deren politische Überzeugung eine sozialistische ist. Also ein politischer Katholizismus, nur mit einem anderen Vorzeichen, einem bisher sehr ungewohnten Vorzeichen? Politik aus dem Glauben, sagt Massiczek, ist für den katholischen Laien Gewissensverpflichtung. Wäre Massiczek ein Demagoge, er könnte sich auf das Wort der Päpste, auf das Wort gerade der österreichischen Bischöfe berufen, die die Katholiken immer wieder auffordern, als Katholiken zu öffentlichen Fragen Stellung zu nehmen, daß heißt also, Politik zu machen. Aber doch nicht eine solche? Es wäre eine böswillige Unterstellung (könnte Massiczek antworten), wollte man die österreichischen Bischöfe verdächtigen, sie möchten die Katholiken nur für eine bestimmte Partei mobilisieren. Und der „Osservatore Romano“ mit seinem Artikel gegen die Sozialisten? Hier könnte Massiczek auf Burghardt verweisen, der diesen Artikel, der auch in katholischen Kreisen Befremden erregte, als unglücklich und reichlich oberflächlich bezeichnete. Die Kirche habe sich, sagt Burghardt, in Sachen Sozialismus in den letzten Jahren so gut wie nicht geäußert.

Wie gesagt, so könnte sich Massiczek verantworten, wäre er ein Demagoge oder ein Agitprop-Mann, den es ausschließlich um einen parteipolitischen Effekt zu tun wäre. Aber das ist Massiczek nicht. Er ist ein Mann, der mit und in der Kirche lebt, sein reines Wollen und sein guter Wille ist nicht zu bezweifeln. Aber das macht die Sache nicht einfacher, sondern eher schwieriger, denn nicht wenig Unglück in der Welt ist auf reines Wollen und auf guten Willen zurückzuführen. Massiczek ist ein Brennender — und ein Gebrannter. Die Flecken am zeitlichen Leib der Kirche brennen ihn zu tief, er möchte, wie er sagte, die Sprache des Savonarola haben. Nicht minder aber scheint ihn zu schmerzen, daß der Sozialismus sich von Marx abwendet. Er will, könnte man vergröbernd sagen, katholischer als die Kirche und marxistischer als die SPÖ sein. Er kämpft gegen den politischen Katholizismus herkömmlicher Form und will einen neuen politischen Katholizismus aufrichten. Er will als Katholik in einer besonderen Organisation innerhalb seiner Partei stehen und übersieht, daß er dadurch Entwicklungen heraufbeschwört, die wir alle, gewiß gleich ihm, als überwunden betrachtet haben. Die SPÖ hat nach 1945 das Wiederaufleben einer organisierten Freidenkerbewegung innerhalb der Partei verhindert. Wenn nun die Katholiken in der Partei sich eigens organisieren, warum sollten dies nicht auch die Atheisten in der Partei machen? Aus dem weltanschaulichen Pluralismus der Parteien würde dann eine weltanschauliche Sektionierung. Aber das mögen die Sorgen der SPÖ sein und nicht die unseren. So wie Massiczek innerhalb seiner Partei für den weltanschaulichen Pluralismus eintritt, so innerhalb der Kirche für den politischen Pluralismus. Will er aber die Kirche politisch sektionieren, eine Art politischen Proporz in der Kirche einführen? Als Katholik steht er in der Kirche, als Sozialist möge er in seiner Partei stehen. Organisatorische Klammern scheinen nicht nur überflüssig, sie könnten Gegenkräfte auf den Plan rufen und uns nicht vorwärts-, sondern zurückführen.

Solche Gegenkräfte gibt es auf beiden Seiten. Während die Zusammenarbeit im Positiven oft so unendlich schwer ist, im Negativen funktioniert sie. Es gibt so etwas wie eine geheime Parole „Reaktionäre aller Lager, vereinigt euch!“ Und in Massiczek haben die Reaktionäre ein willkommenes Werkzeug gefunden. Mögen sie ihn für einen Eiferer, einen Schwärmer, einen Sektierer halten, sie sehen in ihm den Hebel, den Gang der Entwicklung aufzuhalten oder doch zumindest bremsen zu können. Er ist für die Reaktionäre innerhalb der SPÖ, vor allem in der sozialistischen Presse, der Kronzeuge, der Material gegen die Kirche liefert — Burghardt hat darauf hingewiesen —, der selbst sagt, daß er von einem politischen Entgegenkommen an die Kirche nichts halte. Und auf der anderen Seite wird die Hierarchie gedrängt, gerade unter Hinweis auf den „Ultramarxisten Massiczek“, der für die klassenlose Gesellschaft schwärmt““ und der sich „anmaßt“ ein Katholik zu sein, doch endlich energisch einen „Trennungsstrich“ zu ziehen.

Wie weit Massiczeks persönliche Ansichten für seine Arbeitsgemeinschaft typisch sind, wissen wir nicht, er selbst hat erklärt, daß seine Freunde in manchen Fragen anders denken. Für das Verhältnis aber zwischen Arbeiterschaft und Religion, auch zwischen Kirche und SPÖ scheint weder die „Arbeitsgemeinschaft“ noch Massiczek persönlich ein ausschlaggebender Faktor zu sein. „Die Furche“ hat dem Artikel von Dr. Burghardt den Titel gegeben „Der Katholik in der SPÖ“. Das ist eine Frage und gewiß auch ein Problem. Dr. Burghardt ist bei dieser Frage von der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Katholiken und Dr. Massiczek ausgegangen. Der Katholik in der SPÖ ist aber, das wollen wir doch nicht vergessen, auch eine Realität. Wenn wir von der Tatsache ausgehen, daß 90 Prozent der Österreicher Katholiken sind, und die Kirche stützt sich oft auf dieses Argument, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß weit mehr als ein gutes Drittel dieser Katholiken Sozialisten sind oder doch zumindest sozialistisch wählen. Das mögen vielfach Taufscheinkatholiken sein, wie es diese auch bei anderen Parteien gibt, aber gewiß nicht alle. Es ist darunter auch eine nicht unerhebliche Anzahl praktizierender Katholiken, Katholiken, die bewußt im Leben und im Raum der Kirche stehen, auch in ihrem organisatorischen Raum. Sie haben für sich diese Frage gelöst, ohne je mit Massiczek und seiner Arbeitsgemeinschaft etwas zu tun zu haben. Und was jene Entwicklung betrifft, die nach 1945 in Österreich einsetzte, die von beiden Seiten her den Graben zwischen der Arbeiterschaft, die sich doch in ihrer wesentlichen Mehrheit politisch in der SPÖ rejjräsentiert sieht, und jjder Kirche verringern will, eine Entwicklung, deren Möglichkeiten, aber auch deren Grenzen wir heute vielleicht besser als vor wenigen Jahren überblicken können, so hat sie mit Massiczek und seiner Arbeitsgemeinschaft nichts zu tun. Hier sind andere, wesentlichere, politisch stärkere, wenn auch stillere Kräfte am Werk, die von beiden Seiten her aus katholischer und politischer Verantwortung heraus handeln. Das, glaube ich, muß gesagt werden, um nicht den Eindruck zu erwecken, als ob die Frage ..Der Katholik in der SPÖ“, die gewiß — nicht in der Realität, aber in der geistigen Entscheidung — eine Frage um ein Problem ist und bleibt, ausschließlich oder vorwiegend mit den ehrlichgemeinten, aber nicht zielführenden Bestrebungen Dr. Massiczeks und seiner Arbeitsgemeinschaft steht und fällt.

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