6682859-1962_01_03.jpg
Digital In Arbeit

Linkskatholizismus in Österreich?

Werbung
Werbung
Werbung

Gibt es einen Linkskatholizismus in Österreich? Diese Frage wird dem Österreicher manchmal gestellt, wenn sich Ausländer über die politische Haltung der österreichischen Katholiken erkundigen. Oft mag es dabei vorkommen, daß der Ausländer schon ein fertiges Urteil zut Hand hat und sich nur bestätigen lassen will, daß diese oder jene Persönlichkeit in Österreich diese oder jene Gruppe oder Zeitschrift doch eigentlich Exponenten des Linkskatholizismus seien. Und wenn dann der Österreicher, den man mitunter selbst, natürlich ungefragt, den Linkskatholiken zuzählt, etwas verlegen feststellt, daß man mit dem Begriff Linkskatholizimus in Österreich wenig anzufangen weiß, daß man kaum jemand kennen würde, auf den diese Bezeichnung passe, dann wird eine solche Aussage meist als eine österreichische Ausrede, ein Verstecken und Verwischen, als typisch österreichische Abneigung sich festzulegen wohl vielleicht zur Kenntnis genommen, aber nicht geglaubt. Es muß in Österreich einen LinkskathpH-zismus geben. Warum? Weil es anderswo auch einen gibt und weil man gehört habe, daß der oder der ein Linkskatholik sei.

Was sollen wir tun? Sagen, daß uns diese Frage in Österreich gar nicht so sehr interessiert? Man wird sich damit nicht zufriedengeben. Also schauen wir, ob wir die Neugierde unserer Freunde befriedigen und etwas über einen Linkskatholizismus in Österreich aussagen können. Versuchen wir dem Phänomen Linkskatholizismus von zwei Seiten an den Leib zu rücken. Erstens vom Wort und zweitens von seinen Erscheinungsformen in anderen Ländern, und sehen wir zu, wie sich beides auf der österreichischen Projektion auswirkt.

Parteibuch und Katechismus

Erst einmal das Wort Linkskatholizismus. Wir wollen uns hier nicht aufhalten mit einer schwierigen Definition des Begriffs der Linken, wir wollen ihn einmal als einen politischen Begriff nehmen, als eine politische Richtung, Katholizismus aber, kein sehr schönes Wort übrigens, als die Manifestation des katholischen Glaubens. Können die beiden Begriffe, der einer politischen Richtung und der eines allgemeinen umfassenden (katholischen) Glaubens, in einem Wort zusammengefaßt werden, ist Linkskatholizismus nicht schon eine Contradictio in adjecto, liegt hier nicht schon ein erster Widerspruch vor, kann man den Glauben politisch ausrichten, kann er links oder rechts sein? Aber wir wollen es uns nicht zu leicht machen. Der Katholik lebt nicht nur in der Kirche, in seinem Glauben, er lebt auch in der Welt, im Staat, und hier kann, ja muß er sich politisch entscheiden. Er soll und darf bei seiner politischen Entscheidung den Staatsbürger nicht vom Katholiken trennen, er soll auch in der Welt sich als Christ bekennen und als Christ handeln. Welche Folgerungen er aber im einzelnen daraus zieht, das bleibt seiner Entscheidung überlassen. Aber so wie er bei seiner politischen Entscheidung sich im einzelnen Fall nicht auf die Kirche berufen kann, so kann er seine politische Haltung auch nicht in die Kirche hineintragen. In der Kirche gibt es kein Links und kein Rechts, wohl aber wahr und falsch, in der Kirche gibt es keine Fraktionen, im Raum der Kirche haben politische Begriffe ihren Sinn verloren.

Aber der einzelne Katholik, so wird man einwenden, hat die Pflicht, sich politisch zu entscheiden, und gerade in Österreich kann man doch von einer einheitlichen, geschlossenen politischen Haltung der Katholiken schon seit langem nicht mehr sprechen. Es wählen ebensoviele SPÖ wie ÖVP. Sind die Katholiken, die in der ÖVP beheimatet sind. Rechtskatholiken, und die, die sozialistisch wählen, Linkskatholiken? Die einen wüßten wahrscheinlich sowenig wie die anderen mit diesen Begriffen etwas anzufangen. Nun gibt es in Österreich eine Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Katholiken. Sind das Linkskatholiken? In ihrer Partei stehen sie doch eher rechts als links. Als jüngst in Wien mit einem wirklichen Linkskatholiken diskutiert wurde, da waren es gerade die Sozialisten, die sich schärfstens gegen diesen Linkskatholizismus wandten. Nein, hier in Österreich mögen im katholischen Garten viele hundert Blumen blühen, „die Pflanze Linkskatholizismus ist nicht darunter“. Das kann man nicht damit abtun, daß man sagt, die Österreicher vermeiden es eben, eine Sache klar durchzudenken, bis zur letzten Konsequenz vorzustoßen, bei uns habe eben nichts ein ,,G'sicht“, nicht einmal der Linkskatholizismus. Er hätte schon eines, wenn es ihn gäbe.

Was es allerdings gibt, ist die abschätzige Bemerkung, ja man kann fast sagen das Schimpfwort „Linkskatholik“. Wenn in Österreich ein Katholik einen anderen Katholiken einen Linkskatholiken nennt, so meint er damit, daß dieser Ansichten hat, die er persönlich ablehnt, zumal wenn diese Ansichten vom gewohnten Denkschema etwas abweichen. Diese Ansichten mögen links oder recht sein, katholisch oder nicht katholisch, das ist dabei meistens völlig gleichgültig. Und da es in Österreich natürlich eine Menge Leute gibt, deren Ansichten anderen Leuten nicht gefallen, gibt es natürlich eine Menge „Linkskatholiken“.

„Aufruhrer“ mit und ohne Soutane

So halten manche Leute die „Furche“ z. B. für linkskatholisch, weil sie für eine offene Katholizität eintritt. So gesehen ist natürlich vieles „linkskatholisch“ in Österreich: Das Mariazeller Manifest des österreichischen Katholikentages 1952, weil es den Begriff einer „Freien Kirche in einer freien Gesellschaft“ prägte und sich scharf gegen Staatskirche und Parteikirche stellt. Der Probst von Wiener Neustadt wäre als Linkskatholik verdächtig, weil er in einer Volksmission die Sozialisten seiner Stadt aufforderte, als Sozialisten ihren Platz in der Kirche einzunehmen und sich auch als Sozialisten zur Kirche zu bekennen. So haben es manche Erzbischof Jachym als linkskatholische Abweichung angekreidet, weil er sich einmal gegen den Wohnungswucher mancher Hausherren wandte. Ja, es geht noch weiter. So wurde es dem Kardinal von Wien von manchen ver-

übelt, daß er den verstorbenen sozialistischen Bundespräsidenten kirchlich einsegnete. Der verstorbene Nuntius Dellepiane, der hat doch auch mit den sozialistischen Regierungsmitgliedern über das Konkordat verhandelt, und, was noch schlimmer ist, er hat dabei Erfolg gehabt. Wenn das nicht ein Linkskatholik war! Und der österreichische Episkopat? Hat er seit 1945 einmal einen richtigen Wahlhirten-brief herausgegeben, mit eindeutigen Wahlempfehlungen und strikten Wahl-verboten wie anderswo? Nein. Aber einen Sozialhirtenbrief haben die österreichischen Bischöfe erlassen. Schon das Wort „sozial“ hat doch für manche einen linken Beigeschmack. Aber es kommt noch ärger. Auch der Heilige Vater ist nicht davor gefeit, nach „links“ gerückt zu werden. Hat er nicht zwei prominente sozialistische Katholiken aus Österreich empfangen, sehr herzlich empfangen, und ihnen noch Erinnerungsmedaillen mitgegeben?

Hat es das früher einmal gegeben? Und die Sozialenzyklika, die redet doch von Mitbeteiligung, Mitverantwortung der Arbeiter, von der wichtigen Rolle der Gewerkschaften! Alles links, alles links.

Aber, so wird man einwenden, und mit Recht einwenden, das sind doch nicht ernst zu nehmende Argumente. Zugegeben. Aber mit diesen Argumenten wird in Österreich operiert, um die Attrappe eines Linkskatholizismus aufzurichten, gegen den man dann zu Feld ziehen kann.

Nein, so kommen wir nicht weiter. Schauen wir uns einmal den Linkskatholizismus in anderen Ländern an. Vor wenigen Wochen, wir sagten schon, war ein deutscher Linkskathoiik in Wien. Einer aus dem Kreis der „Werkhefte“, die früher einmal „Werkhefte katholischer Laien“ hießen. In einer Diskussion mit diesem Linkskatholiken haben die Österreicher, konservative Nonkonformisten, sozialistische Katholiken und jene, die so lange von denen, die nicht ihre Ansicht teilen, als Linkskatholiken deklariert worden sind, daß sie manchmal selbst glaubten, sie wären welche, in plötzlicher Ernüchterung erkannt: Nein, damit haben sie nichts zu tun. Wenn das Linkskatholizismus ist, dann gibt es dergleichen in Österreich nicht. Es war eine erschreckende, aber heilsame Erkenntnis. Es hatte manchmal den Anschein, als ob es Formen des Linkskatholizismus gäbe, für den, bildlich gesprochen, selbst Chruschtschow noch rechts steht. Er - hat sich aus Ressentiments, die im einzelnen vielleicht nicht immer unverständlich sind, in Positionen drängen lassen, die mit links wenig, und mit Katholizismus schon gar nichts zu tun haben.

Der deutsche Linkskatholizismus, gewiß keine große Bewegung und auch in sich selbst weitgehend, differenziert, scheint, soweit wir „dies von hier aus überhaupt feststellen können, zwei Wurzeln zu haben. Er ist ein Teil je-: nes Phänomens, das man als die „heimatlose Linke“, die „freischwebende Linke“, bezeichnet. Ein vielfach tragisches Problem, da es sich um Menschen handelt, die 1945 radikal neu beginnen wollten und sich nun, da die alten Mächte sich weitgehend wieder etablierten und restaurierten, in eine Isolierung gedrängt sehen, aus der sie nicht zum Zentrum hin, sondern in extreme Positionen auszubrechen versuchen. Diese heimatlose Linke gibt es in Österreich nicht. Hier sind die Wurzeln viel stärker, die Verflechtungen viel dichter. Hier ist das Vermögen oder das Verlangen, denkerisch in letzte Positionen vorzustoßen, viel geringer und damit auch die Gefahr eines Umschlages ins Absurde. Stärker als das Denken hat sich in Österreich noch immer das Leben erwiesen. Wir wollen uns daTauf nichts einbilden. Diese Haltung ist auch schuld an vielen Dingen, die uns gar nicht gefallen. Aber sie ist nun einmal da. wollen und ihn daher nicht ablehnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung