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Die Protestanten unter den Katholiken

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Schlagworte haben nie einen eindeutigen Inhalt. Sie bekommen ihn erst durch die Absicht und Tendenz derer, die sie anwenden oder sich darunter verstanden wissen wollen. Linkskatholizismus ist so ein Schlagwort ohne einheitliches Begriffsverständnis. So bleibt nur der empirische Weg, zu erheben, welche Kreise heute als dazugehörig verstanden sein sollen, zumal es niemanden gibt, der sich eindeutig und programmatisch als Linkskatholik bekennt.

Dieses Schlagwort taucht auf, wenn es gilt, die verschiedensten Gruppierungen im Katholizismus zu treffen, etwa die folgenden:

Die mit der Kirche Unzufriedenen und ihrer hierarchischen Führung. Es geht ihnen alles zu Jangsam, zu wenig radikal. Am liebsten möchten sie alles abschaffen, ohne aber ein homogenes konkretes Neues vorschlagen zu können. Alles, was forsch, modern und fortschrittlich klingt, gefällt ihnen. Uber die seelsorgliche Situation denken sie pessimistisch Extrema se tangunt! Manchmal finden sie sich in enger Nachbarschaft mit den Erzreaktionären, die nur aus anderen Motiven gegen das gemäßigte Aggiornamento sind.

Die Revolutionäre gehen noch einen Schritt weiter. Sie wollen Tabus anfassen und meinen damit Dinge, die auf dogmatischem Gebiet zum Beispiel praktisch durch Jahrhunderte als gesicherte Wahrheiten verkündet wurden. Die Theologen, die nach der Summe des heiligen Thomas lernen müssen, bemitleiden sie. Sie selbst ergehen sich aber in dunklen, kühn scheinenden Phrasen. Die römischen Verordnungen zum Beispiel gegen Teilhard de Chardin belächeln und ignorieren sie und machen aus Kurienkardinälen reaktionäre Popanze. Bei ihnen ist es Mode, auf die empirischen Wissenschaften zu schwören: „Ihr Theologen könnt mit eurem Naturrecht ruhig daheim bleiben, ihr hinkt doch immer nur nach, ohne etwas Konkretes sagen zu können. Die Menschenwürde ist bei uns Soziologen (usw.) besser aufgehoben.“ Die beste Pastoral werde heute religionssoziologisch errechnet, das Wesen der Kirche mit dem Skalpell des Tiefenpsychologen erhoben...

Die politisch linksorientierten katholischen Kreise rechnet man oft dazu. Es sind dies solche, die den Marxismus taufen wollen und darin das Heil sehen für Menschheit und Kirche. Andere meinen mehr den freiheitlich-westlichen Sozialismus, in dem allein wahres Christentum als der Religion der Nächstenliebe verwirklichbar wäre. Sie fühlen sich als Vorhut der Kirche im Sozialismus wie ebenso als die Bahnbrecher für die wahre Zukunft des Sozialismus. Auf diese Gruppe scheint der Ausdruck des Linkskatholischen noch am besten, wenigstens von der politischen Sprachgeläufigkeit her, zu passen.

Weiters gehören die Pazifisten aus Gewissensüberzeugung als Gruppe hier anschließend genannt. Hierher können auch noch diejenigen sub-summiert werden, die einem politischen Neutralismus Österreichs huldigen und vor allem gegen einen „Anschluß“ an die EWG sind.

Diesen genannten Gruppen scheinen — so disparat sie teilweise sind doch einige Haltungen gemeinsam zu sein:

1. Die Protesthaltung gegen die bestehenden kirchlichen und gesellschaftlichen Zustände.

2. Der fast kindisch anmutende wissenschaftliche Fortschrittsglaub e, ob jetzt marxistisch motiviert oder im krankhaften Bemühen gelegen, nur ja humanistisch-wissenschaftlich zu gelten (als unbewußte Jünger des szientischen Humanismus!).

3. Die politische und gesellschaftliche Extravaganz und Exponiertheit (verbunden mit einem entsprechende Dünkel und Hochmut)

4. Der utopische Zug der von ihnen verkündeten „Wahrheiten“ und Zukunftsziele. Dies führt zu einem gewissen Sektierertum.

So erscheint der Linkskatholizismus vielleicht oft mehr als Phase in einer Persönlichkeitsentwicklung oder auch als eine gewisse, zeitweise variierende Schlagseite zu den genannten Haltungen und Ideen hin.

Bezeichnend ist auch, daß das Wort meist nur gebraucht wird, um jemanden abzustempeln, als Marxist zum Beispiel zu verteufeln.

In unserer österreichischen Situation sollten wir uns vielmehr noch zur ehrlichen Auseinandersetzung zwingen, nicht zu billigen Schlagworten. Wir sollten trachten, nicht in sektiererische Protesthaltungen auszuarten, utopischen Zukunftsvorstellungen nachzuhängen. Es gilt, die uns gemeinsamen Werte zu erarbeiten — dabei brauchen wir uns gar nicht unseres christlichen Erbes zu schämen! Die so nötige Verantwortungsethik beginnt beim Gebrauch von Schlagworten, um den anderen zu kritisieren

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