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„... in mancher Beziehung mehrdeutig und unentschieden

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In dieser Woche soll nun das seit Monaten in Diskussion befindliche neue Programm der Sozialistischen Partei, das jenes aus dem Jahr 1958 ablösen wird, im Rahmen eines ordentlichen Bundesparteitages unter Dach und Fach gebrachtwerden. Partei-Programmatiker Univ.-Prof. Egon Matzner, das Dr.-Karl-Renner-Insitut, sechs Kommissionen des Parteivorstandes und der im Herbst in Graz abgehaltene Bundesparteirat haben für das neue Programm den entscheidenden Diskussionsentwurf aufbereitet. Die in den letzten Monaten im Partei-Fußvolk abgewickelte breite Diskussion erbrachte über 1100 Anträge zum Programmentwurf, die noch zum Teil in der endgültigen^ auf dem Parteitag vorliegenden Fassung berücksichtigt werden sollen. Auch das Kapital „Sozialismus und Religion“ dürfte noch im letzten Moment Änderungen erfahren. Über das bevorstehende Ereignis sprach die FURCHE mit Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider, Vorstand des Insitutsfür Politikwissenschaft an der Universität Wien, der Vor wenigen Wochen im Auftrag der Bischofskonferenz ein wissenschaftliches Gutachten zum SPÖ-Programmentwurf erarbeitet hat. Dieses Gutachten wird den Bischöfen als Orientierungshilfe im Dialog mit den politischen Kräften des Landes dienen.

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In dieser Woche soll nun das seit Monaten in Diskussion befindliche neue Programm der Sozialistischen Partei, das jenes aus dem Jahr 1958 ablösen wird, im Rahmen eines ordentlichen Bundesparteitages unter Dach und Fach gebrachtwerden. Partei-Programmatiker Univ.-Prof. Egon Matzner, das Dr.-Karl-Renner-Insitut, sechs Kommissionen des Parteivorstandes und der im Herbst in Graz abgehaltene Bundesparteirat haben für das neue Programm den entscheidenden Diskussionsentwurf aufbereitet. Die in den letzten Monaten im Partei-Fußvolk abgewickelte breite Diskussion erbrachte über 1100 Anträge zum Programmentwurf, die noch zum Teil in der endgültigen^ auf dem Parteitag vorliegenden Fassung berücksichtigt werden sollen. Auch das Kapital „Sozialismus und Religion“ dürfte noch im letzten Moment Änderungen erfahren. Über das bevorstehende Ereignis sprach die FURCHE mit Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider, Vorstand des Insitutsfür Politikwissenschaft an der Universität Wien, der Vor wenigen Wochen im Auftrag der Bischofskonferenz ein wissenschaftliches Gutachten zum SPÖ-Programmentwurf erarbeitet hat. Dieses Gutachten wird den Bischöfen als Orientierungshilfe im Dialog mit den politischen Kräften des Landes dienen.

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FURCHE: Inwieweit wird es im neuen SPÖ-Programm wesentliche Akzentverschiebungen gegenüber dem bisherigen Programm geben?

SCHNEIDER: Man kann dazu im Augenblick noch nichts Endgültiges sagen: das neue Parteiprogramm wird erst vom Parteitag beschlossen werden, und Änderungen des vorliegenden Entwurfs sind nicht ausgeschlossen - mindestens liegen viele Änderungsanträge vor. Aber einige generelle Aussagen sind doch wohl möglich:!

Das neue Programm entspricht der Linie einer Partei, die Marxisten und Nichtmarxisten ansprechen will. Insofern ist es mehrdeutig: Auf der einen Seite finden sich Passagen, die eine „klassisch“-marxistische Denkweise zum Ausdruck bringen - beispielsweise über die „klassenlose Gesellschaft“, über die Aufhebung der Entfremdung und der Herrschaft von Menschen über Menschen oder über die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit; auf der anderen Seite wird mit „Grundwerten“ argumentiert, die als solche nicht an die marxistische Lehre gekoppelt sind. Während zum Beispiel die deutsche Sozialdemokratie die „Grundwerte-Argumentation“ gerade entwickelt hat, um die eigenen Zielvorstellungen vom Marxismus abzukoppeln, hat die SPÖ ihre diesbezügliche Position im Unklaren gelassen.

Wesentlich und charakteristisch ist weiters die weitgehende Gleichset-zuhg des Sozialismus mit einer ' durchgehenden Demokratisierung der Gesellschaft in allen Dimensionen.

FURCHE: Sie haben ein Gutachten über den Programmentwurf für die österreichische Bischofskonferenz verfaßt - welche Folgerungen ergeben sich Ihrer Ansicht nach aus dem Programm für die Praxis der Kirche?

SCHNEIDER: Ein solches Gutachten kann immer nur eine Orientierungshilfe für die eigene Urteilsbildung - in diesem Fall für die Urteilsbildung der Bischöfe - darstellen; man kann dabei auf besonders interessante Aussagen hinweisen (solche, die vom kirchlichen Standpunkt begrüßenswert sein mögen, und andere, die als bedenklich oder als inakzeptabel gelten können), und man kann versuchen, auf Veränderungen oder auf mehrdeutige Wendungen aufmerksam zu machen. Es wäre verfehlt, wollte ein wissenschaftliches Gutachten den Empfängern eine bestimmte Politik suggerieren oder gar vorschreiben.

Außerdem sollte sich die Kirche in ihrer Haltung gegenüber politischen Parteien nicht nur von den jeweiligen Programmformulierungen ieiten lassen. Gerade weil das neue SPÖ-Programm in mancher Beziehung mehrdeutig und unentschieden klingt, wird es um so mehr darauf ankommen, wie die praktische Politik aussieht. Die „Österreich-Synode“ hat vor einigen Jahren festgestellt, daß die Nähe oder Ferne, die zwischen der Kirche und einer Partei besteht, von den Parteien selbst bestimmt wird. Dessen ungeachtet wäre es vom kirchlichen Standpunkt sicher gut, wenn die Christen, die in einer politischen Partei engagiert sind, ihre Auffassungen dort mit bestmöglicher Erfolgsaussicht vertre-

ten können. Wie sich die Chancen dazu entwickeln, wird man sehen - und man sollte diejenigen, die für christliche Positionen eintreten, unterstützen, gleich wo sie stehen.

FURCHE: Gerade in diesem Zusammenhang sind die Aussagen des Programmentwurfs über die Religion und über das Verhältnis zwischen

Christentum und Sozialismus besonders interessant - was halten Sie von diesen Aussagen?

SCHNEIDER: Im Programmentwurf finden sich biesbezügliche Widersprüche. Einerseits heißt es: Sozialismus und Christentum sind miteinander vereinbar, jeder religiöse Mensch könne gleichzeitig Sozialist sein. Anderseits plädiert man für ein „Bündnis von Christen und demokratischen Sozialisten“ - das heißt aber doch, daß es sich im Grunde um zwei Lager handelt; die Vorstellung, daß ein Christ, der Sozialdemokrat sein will, erst mit sich selbst ein Bündnis schließen und sozusagen einen Widerspruch zwischen zwei Seelen in seiner Brust überbrücken müßte, ist, gelinde gesagt, etwas merkwürdig. Allerdings liegen dem Parteitag zu diesen Passagen wesentliche Abänderungsanträge vor - es wird sich zeigen, wie das Programm am Ende aussehen wird.

FURCHE: Maßgebende Sprecher der SPÖ betonen, daß der Sozialismus nicht mehr, wie früher, eine „Weltanschauung“ mit dem Anspruch der Welterklärung und der totalen Sinngebung sei. Bedeutet das nicht eine neue Basis für das Verhältnis von Christentum und Sozialismus?

SCHNEIDER: Gewiß ist der Sozia-

lismus, von der Kirche her gesehen, gerade in dem Maß problematisch, wie er sich als Religionsersatz versteht; das Eintreten für Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität - ohne die Festlegung z. B. auf eine materialistische Ideologie - ist nichts, wogegen Christen etwas haben sollten, im Gegenteil. Aber es gibt im Programmentwurf immer noch Aussagen, die die SPÖ als Weltanschauungspartei darstellen - und diesteirische Landespartei hat etwa ausdrücklich beantragt, man solle in das Programm den Satz aufnehmen: „Wir Sozialisten respektieren ihr<d. h. der Katholiken) religiöses-Bekenntnis, erwarten von ihn-nen aber auch Tolerenz gegenüber der sozialistischen Weltanschauung.“

FURCHE: Was für einen Eindruck gewinnt man überhaupt, wenn man die Änderungsanträge liest?

SCHNEIDER: Zunächst einmal den, daß da tatsächlich in vielen Gesprächskreisen intensiv diskutiert worden ist - über 1100 Anträge, das zeigt schon ein ziemliches Maß an Anteilnahme.

Dann aber fällt auf, daß die Spannweite zwischen den Positionen ziemlich weit ist - der Programmentwurf entpuppt sich als ein Kompromiß zwischen verschiedenen Standpunkten.

Beispielsweise gibt es eine Menge von Anträgen, etwa seitens der Jungen Generation oder der Sozialistischen Jugend, die ziemlich weit nach links ausgerichtet sind oder klassisch-marxistische Thesen betonen. Es sind freilich nicht nur Jungsozialisten, die dafür eintreten. Anderseits liegen etliche Anträge der „Fraktion sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB“ vor, die eine eher pragmatische Linie vertreten und gegen ideologische Überspitzungen Stellung nehmen.

FURCHE: Läßt sich aus dem Programmentwurf ableiten, wohin sich der österreichische Sozialismus in Zukunft entwickeln wird?

SCHNEIDER: Kaum, und zwar aus mehreren Gründen: Erstens ist der Programmentwurf an etlichen Stellen mehrdeutig; das ist auch weder verwunderlich noch tadelnswert - Politik ist etwas anderes als die Vollziehung von Parteiprogrammen, und das konkrete Handeln hängt immer auch von den Umständen und Herausforderungen ab, denen ein Politiker sich gegenübersieht. Zweitens kommt es darauf an, wie die Führung der Partei in fünf oder zehn Jahren aussieht - welche Denkweise, welcher Stil des Handelns sich durchsetzen wird. Und drittens spielt es natürlich auch eine Rolle, wie sich das ökonomische, politische und geistige Gesamtklima in Österreich und in Europa entwickeln wird.

FURCHE: Wenn das so ist - welchen Sinn hat oder hatte dann überhaupt die Programmdiskussion?

SCHNEIDER: Dazu könnte man vieles sagen. Für die SPÖ war es sicher wichtig, zwanzig Jahre nach dem letzten Programmbeschluß die eigenen Denkweisen zu überprüfen, aber auch einen gemeinsamen Nenner für die verschiedenen Gruppierungen und Richtungen zu formulieren und hierbei zu versuchen, gleichzeitig für die Jungsozialisten wie für die liberalen und die katholischen Wechselwähler attraktiv zu bleiben oder zu werden. Gerade weil das nur um den Preis der Mehrdeutigkeit möglich ist, wird die Diskussion über die künftige Politik in der SPÖ weiter gehen.

Das Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider führte Alfred Grinschgl.

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