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Die vordringlichsten Aufgaben

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Zu 1. Die Kürze der Formulierung wurde durch den gedrängten Raum der Tageszeitungen, für die das „Programm“ in erster Linie bestimmt war, diktiert. Es handelte sich dabei um keinen Entwurf für ein Parteiprogramm, sondern um ein Aktionsprogramm der neuen Führung für die Bewältigung der ersten und vordringlichsten Aufgaben, mit dessen Hilfe erstarrte, die Einheit gefähr-dene Schlagworte überwunden und eine neue Vertrauensatmosphäre geschaffen werden soll. Vor einer neuen Formulierung des Parteiprogramms reiht zeitlich die Beseitigung unfruchtbarer Streitgespräche und des Aneinandervorbei-redens.

Ein Beispiel möge dies belegen: Ehemalige Nationalsozialisten, die zur Partei gefunden haben, kritisieren die Nicht-beseitigung der Ausnahmegesetzgebung; sie denken aber nicht an jene zahlreichen Einzelfälle, in denon von der Partei praktisch geholfen wurde. KZ.ler hingegen sehen ausgerechnet diese Fälle, nicht aber das NS-Gesetz, das mit seinem Kollektivschuldgedanken dem christlichen Naturrecht widerspricht. Beide Standpunkte sind verständlich, aber sie gefährden die Stärke und Schlagkraft der Partei und müssen daher auf einer höheren Ebene überwunden werden. Deshalb kennen

wir „keine KZ.ler und keine ehemaligen Nazi als Dauereinrichtung für alle Zukunft“, deshalb sind das für uns „Erlebniszustände oder Erziehungseindrücke der Vergangenheit“, deshalb sollen den ehemaligen KZ.lern ihre gerechten Forderungen erfüllt und Hand in Hand auch ein Weg gefunden werden, der das leidige NS-Problem endgültig bereinigt. Denn nicht die sterilen Probleme der Vergangenheit, sondern die fruchtbare Gestaltung der Zukunft entscheidet über das Schicksal der Partei und Österreichs.

Die erwartete Neuformulierung des Programms einer Partei, die sich als eine demokratische bekennt, kann nicht von Seiten einzelner Personen erfolgen, sondern ist die Aufgabe der geplanten und vorbereiteten Bezirks- und Landesparteitage, in denen die Auffassungen und Meinungen, die Wünsche und Hoffnungen jedes einzelnen Parteimitgliedes in die Waagschale geworfen werden, und bedürfen der Bestätigung durch den Bundesparteitag, der die Reformarbeit krönen und beenden soll. Die Aufgabe des G e-neralsekretariats ist es dagegen, dafür Sorge zu tragen, daß diese Konferenzen sich nicht in Streitgesprächen erschöpfen, sondern aus einem neuen Geiste williger Zusammenarbeit, der Be-

geisterunrj und Arbeitsfreude Früchte tragen. Daher trifft der Verfasser durchaus das Richtige, wenn er schreibt, daß mein Artikel „eine Marschordnung, eine Regieanweisung und ein Arbeitsplan des Generalsekretariats, aber kein Parteiprogramm“ sei. Das und nichts anderes wollte ich, das war der Sinn der programmatischen Erklärungen der neuen Führung über ihre nächsten Auf-gabenl

Aus der im Artikel umrissenen Geisteshaltung werden die künftigen Programmsätze abzuleiten sein. Wenn ich beispielsweise auf die Aufgabe der Politiker hinwies, den lebenden Trägern der österreichischen Kultur ihre Existenzgrundlage zu gewährleisten, wenn ich hervorhob, daß eine Partei, die sich zu den Werten des Geistes, der Persönlichkeit, der Freiheit und der großen abendländischen Kulturtradition bekennt und ihren Daseinskampf und -inhalt in diesen Werten sieht, sich der geistig schaffenden Menschen auch in wirtschaftlicher Hinsicht besonders annehmen müsse, dann sollte dies heißen, daß für die Existenzsicherung der Gelehrten, Künstler und Schriftsteller sowie für die Unterstützung der wissenschaftlichen Labora-

toricn und Institute geso/gt werden müsse. Es sollte heißen, daß die Parteiführung erkennt, daß für viele intellektuelle Menschen der Begriff der geistigen Freiheit problematisch wird, wenn sich diese Menschen im abendländischen Kulturräume nicht entfalten können. Die Wissenschaft darf weder in der Freiheit verhungern, noch in der Volksdemokratie unter. Verzicht auf Freiheit leben: sie muß frei sein und leben können. Wenn ich forderte, daß wir keine Gespräche rund um „Stammwähler“ und „Rand-

schichten“, sondern eine Wirtschaftspolitik brauchen, die vor dem christlichen Gewissen bestehen kann, dann schloß dies implicite alle konkreten Verpflichtungen und Aufgaben der Partei ein, die dem Verfasser zu fehlen schienen, nämlich Wohnungsbau, Familienpolitik, ermutigende Perspektiven für die nachrückenden Generationen: die Sicherung also der lebensnotwendigen Bedürfnisse aller. Mein Artikel bildete also einen bloßen Auftakt, dem andere Erörterungen folgen müssen und werden.

Zu 2. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß selbstverständlich auch für mich der Begriff „Reform“ im strengen ideologischen Sinn kein bloßer taktisch-organisatorischer ist. In den aktuellen tagespolitischen Auseinandersetzungen verstehen freilich die Vertrauensmänner unter „Reform“ taktisch-organisatorische Maßnahmen. Diskussionen über Begriffe, die in Wissenschaft und Tagespolitik verschiedene Inhalte und Bedeutung besitzen, führen leicht zu Mißverständnissen. Man denke etwa an das Wort „Solidarismus“, das sich die ÖVP im Jahre 1945 als Sammelbegriff für ihr Programm erwählte. Sie verstand darunter den Ausgleich der Gegensätze, die Solidarität aller Glieder der Partei, eine solidarische Gesinnung, welche wirtschaftliche Gegensätze mit dem Blick auf das Gemeinwohl überbrücken soll; der wissenschaftliche Begriff Solidarismus dagegen bezeichnet in der christlichen Soziallehre auch jene Schule, die den Kapitalismus als solchen ethisch einwandfrei findet und sich im Gegensatz zu der ebenfalls christlichen Schule der „Reformisten“ befand. Man hätte also damals den Vorwurf erheben können, daß die ÖVP jede Reform der Gesellschaftsstruktur im christlichen Geiste ablehne. Aber niemandem ist dies eingefallen. Daher glaube ich, daß auch diese Diskussion um das Wort „Reform“ fallengelassen werden kann.

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