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Reform in der Partei

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Was Reform und ihr Ziel ist, erklärt das Programm folgendermaßen:

„Reform ist überhaupt kein prinzipieller, sondern lediglich “ein taktisch-organischer Begriff... Die echten und beachtenswerten Reformwünsche zielen lediglich auf eine stärkere Einheit der Partei, eine stärkere Standfestigkeit in der Auseinandersetzung mit den Sozialisten, auf eine bessere Aufklärung der Wähler und entschiedenere Abwehr der Verproletarisierung des geistigen, gewerblichen und manuellen Mittelstandes. Deshalb verlangte man die Trennung der Regierungs- und Parteifunktionen. '

Es sei nicht zuletzt hinter dem Schlußsatz dieses Bildes ein Fragezeichen gesetzt. — Das Schriftstück kommt dann nochmals auf die „Stammwähler“ und „Randschichten“ zurück und erklärt:

„Weder kann von den sogenannten Randschichten das Konzept einer Partei geändert werden, die sich zum christlich-abendländischen Kulturbegriff bekennt, noch können die sogenannten .Stammwähler' eine Politik betreiben, die wertvolle Schichten abstößt. Die Partei i 61 weder konfessionell gebunden

im Sinne einer monpolisierten katholischen Partei, noch weltanschaulich ausgehöhlt und neutralisiert.“

Im folgenden wird

von einer „Mittellinie*'

gesprochen, die die Mitarbeit solcher Personen aus dem ehemals liberalen und nationalen Lager ermöglicht, die von keinem kulturkämpferischen Affekt erfüllt sind und im Christentum eine wesentliche Säule im Neubau des abendländischen Kulturraumes erkennen. Es werden daher nicht unwesentliche Teile aus dem Reservoir der Breitner-Wähler gewonnen werden können, weil in manchem dieser Kreise die seelischen Erschütterungen der letzten Jahre ideologisch auflockernd gewirkt haben. Bei der politischen Betrachtung dieses Problems müssen wir zwei Dinge wohl beachten: Wir dürfen weder durch ein kunterbuntes Aufsaugen ideologisch und politisch unbeweglich werdeni noch dürfen wir uns vor Zuwach absperren,

da unserer Partei die Mehrheit im Parlament erhalte bleiben muß.

Das .Programm“ verbreitert sieb dann über die parteipolitische Behandlung der nationalsozialistischen Probleme; die Nationalsozialisten seien .weder ideologisch noch organisatorisch eine Einheit“; befürwortet wird, daß .die bescheidenen Wünsche der KZ.ler und Naziopfer, die noch nicht berücksichtigt wurden, endlich erfüllt werden“ und ein .dicker Schlußstrich unter das NS-Problem“ gezogen werde. Dann folgt der Satz, der Verfasser glaube,

.daß die christliche Grundhaltung dei Partei sich nicht in Gesprächen rund um .Stammwähler' und .Randschich-ten, sondern in einer christlichen Wirtschaftspolitik bekunden muß, die heute vor allem den gefährdeten Mittelstand in seinem Existenzkampf zu unterstützen hat. Wir Politiker müssen vielmehr dafür sorgen, daß diese lebenden Träger dei österreichischen Kultur nicht ihre Existenzgrundlage verlieien.“

* * *

Auch bei dem aufrichtigen Bestreben, den neuen Männern an der Spitze der Volkspartei in der Erfüllung ihrer bedeutenden Aufgaben nicht Erschwerungen zu bereiten, darf sich eine ernsthafte Publizistik nicht einer offenen, von keinen persönlichen Motiven bestimmten Aussprache entziehen, wenn im Namen eines Programms das Urteil abverlangt wird. Hier muß zunächst einer Verwechslung vorgebeugt werden. Was sich in diesem interessanten politischen Aktenstück als Programm präsentiert, ist ein Entwurf taktischer Pläne, eine Marschordnung, eine Regieanweisung, ein Arbeitsplan des Parteisekretariats, aber mit einem Programm, das über die Absichten, den Willen, die Uberzeugungen einer Partei — in diesem Falle zunächst ihrer Führung — verpflichtend auszusagen hat, also mit einem wirklichen Programm, hat die vorgelegte Stilisierung nichts zu tun. Die Auseinandersetzungen des Schriftstücks, das in zahlreichen negativen Definitionen, in Umschreibungen und Metaphern eine Stilform gebraucht, welche die Klarheit des Gesagten zuweilen in Frage stellt, weichen denn auch leider in den wichtigsten Belangen einer positiven politischen Rich-tungs- und Plankundgebung aus. Was man zu tun gedenkt in der Familien- und Bevölkemngspolitik, für unsere von den Übeln ihrer Umgebung schwer angeschlagene Jugend, für die bessere Organisation und ausschauende Planung für den Wohnungsbau und überhaupt die künftige Wohnungspolitik, welche Absichten man in bezug auf die Schulreform, die Vereinfachung und Ver-billigung und die größere Sparsamkeit der Staatsverwaltung hegt — um nur die größten allgemein nicht nur vom Parteistandpunkt aus gültigen Aufgaben zu nennen —, darüber spricht das .Pro-

gramm“ leider kein Wort. Konnte man da erwarten, daß dieses Programm sich über die endliche Ordnung der Ehegesetzgebung, über das Elternrecht in der Schule, über die vertragsmäßige Ordnung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, äußern werde? Man hätte dies von einem „Programm“ auch dann annehmen dürfen, wenn eine verschwommene Terminologie von „christlichabendländischer Kultur“ und von dem „abendländischen Menschenbild, das Österreicher im Herzen tragen“, die christliche Haltung der Partei zu umschreiben bestimmt erscheint. Warum in dem Programm Verwahrung eingelegt wird gegen das von keinem Vernünftigen verlangte „konfessionelle Gebundensein der Partei“ oder gar von einer „monopolisierten katholischen Partei“, ist nicht feststellbar.

In den letzten Wochen sind in der großen Anhängerschaft der Völkspartei viele Reformwünsche lebhaft diskutiert worden. Erfüllbare und auch idealistische, die sich wahrscheinlich der parlamentarischen Verwirklichung entziehen. Aber selbst die bescheidensten Vorstellungen einer Reform werden unterboten durch die karge Versicherung des Programms, Reform sei ein „taktisch-organischer Begriff“. Wenn man in

„Partei“ nichts anderes sieht, als eine Zusammenballung von Kräften, die so oder so „taktisch-organisch“ zusammengefügt und aus anderen Elementen ergänzt werden muß, dann mag diese Definition, was Reform ist, genügen. Wenn man aber in Partei in Wirklichkeit das organische Gebilde für ganz bestimmte ethische, soziale und politische Zielstellungen erblicken muß, also einen Pflichtenträger gegenüber Wählerschaft und Staat, dann kann man die in dem Programm erfolgte Erklärung, „Reform einer Partei sei lediglich ein taktisch-organischer Begriff“ und alles, was eine Partei zu tun habe, sei wesentlich Taktik — dann kann man in jener Definition nur den Irrtum einer mechanisierten Auffassung von Partei, Politik, von Arbeit am Gemeinwohl und Volkstum erblicken, einen Irrtum, vor dessen Festhalten eindringlich zu warnen ist.

Die von der Volkspartei zu lösenden Probleme sind außerhalb der rein parteipolitischen Interessen von solcher Tragweite, die richtige Funktion dieser Partei im Staat ist so hoch zu bewerten, daß daraus die Verpflichtung erwächst, sine ira et studio offen zu reden, wo Irrtümer sich festzusetzen drohen. f.

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