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Der Pluralismus — amputiert?

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Die Prälerenz Kreiskys für eine Meine Koalition zwischen Sozialisten und Freiheitlichen (auch bei relativer ÖVP-Majorität?) ist evident. Sie setzt einen (mit der FPÖ bereits paktierten?) Konsens zu sozialistischen Zielvorstellungen voraus, wobei der gegenwärtige Regierungschef impliziert, die sozialistischen Zielsetzungen hätten an sich schon eine solche Bandbreite, daß liberale Aspirationen — soweit sie „progressiv“ sind — durchaus darin Platz fänden.

Dies wirft prinzipielle Fragen auf, in erster Linie diejenige, ob die pluralistische Demokratie als die authentische und auch für Österreich konstitutive Form der Demokratie mit einem „integralen“ Sozialismus kompatibel ist, ob sich also die pluralistische Demokratie zum pluralistischen Sozialismus ohne demokratischen Substanzverlust „weiterentwickeln“ lasse.

Das breite Publikum wurde erstmals mit dem Begriff „pluralistischer Sozialismus“ in einem sehr suspekten Zusammenhang konfrontiert, nämlich, als die portugiesischen Kommunisten diesen Ausdruck in ihrem Entwurf zu einer neuen Verfassung sowie auch zu anderen Enunziatio-nen aufbrachten. Allerdings haben nicht sie diesen Begriff erfunden, er tauchte bereits früher in der politischen Literatur auf.

In Deutschland waren es vor allem Udo Bernbach und Franz Nuscheier, welche in ihren Schriften versuchten, den Pluralismus in das sozialistische System zu inkorporieren. In Österreich ist es in erster Linie Fritz Klenner, ehemaliger Bank-Generaldirektor und Gewerkschaftsspitzenfunktionär, der sich bekanntlich auch als nationalökonomischer und gesellschaftspolitischer Autor große Reputation dank seiner undogmatischen Anschauungen erworben hat.

An seiner demokratischen Gesinnung kann kein Zweifel bestehen. Gerade deshalb wird gerade an seinen Versuchen, Sozialismus und Pluralismus zu harmonisieren, die immense Schwierigkeit dieses Unternehmens offenkundig. Die diesbezüglichen Ausführungen Kienners, etwa in seiner Schrift „Sozialismus in der Sackgasse“, haben große Ähnlichkeit mit diversen Äußerungen Dr. Kreiskys und machen daher auch dessen Gedankengänge und sehr ambivalente Vorstellungen von einem liberalen Sozialismus oder Sozialliberalismus „transparenter“. Dieser soll nämlich einerseits die Kooperation mit den Liberalen gestatten, gleichzeitig aber auch Systemänderungen im sozialistischen Sinn ermöglichen, also zwei divergente Aufgaben auf einmal erfüllen.

Dieser ganzen Problematik ist sich Klenner durchaus bewußt:

„Der Begriff des sozialistischen Pluralismus“ — worunter ungefähr das gleiche wie unter dem liberalen Sozialismus des Regierungschefs zu verstehen ist — „mag zunächst überraschen, zumindest aber ungewohnt sein ... Denn üblicherweise ordnet Pluralismus' sich nahezu widerspruchsfrei liberalen Organisationskonzepten zu, innerhalb derer die ,Pluralismus-Theorie' eine spezielle Variante bürgerlichen Gesellschaftsund Staatsverständnisses bezeichnet.“

Aber seiner Ansicht nach muß die Einführung des Pluralismus in die •sozialistische Doktrin keineswegs Einordnung in das kapitalistische System bedeuten, sondern nur die Anerkennung der Tatsache, daß „Leistungsvielfalt wie Leistungsanerkennung Interessenvielfalt zur Konsequenz“ haben.

Klenner leitet also aus der Notwendigkeit der Leistung und ihrer Anerkennung die Unvermeidbarkeit des Pluralismus ab, weiß aber, daß er damit mit der konstitutiven sozialistischen Idee der Gleichheit in Konflikt gerät:

„Der Sozialismus kann zwar jedem die Chance des Aufstiegs bieten, aber höhere Positionen werden zumindest einige Generationen hindurch mit dem Anreiz von Privilegien ausgestattet sein müssen.“

Hier nähern wir uns nun dem zentralen Punkt der sozialistischen Pluralismus-Idee: Sie bedeutet weder einen Pluralismus der Wirtschaftsund Gesellschaftsformen sowie der politischen Überzeugung wegen, noch eine Synthese aus Plan- und Marktwirtschaft, sie zielt auch nicht auf eine Konvergenz von Liberalismus und Sozialismus ab, möchte nicht einen stabilen und konstanten Kompromiß zwischen beiden erreichen, sondern sie möchte wohl im Namen der Gleichheit den einseitig sozialistischen Staat herbeiführen, gleichzeitig aber in Namen der Leistung das beibehalten, was der Sozialist am „Kapitalismus“ angeblich so sehr perhorresziert, nämlich die 3inkom-mensunterschiede und die Privilegien für wenige.

Dieser Widerspruch war auch bei der bisherigen Politik der Regierung Kreisky durchaus erkennbar: Während dem „gewöhnlichen“ Staatsbürger eine lange Reihe nivellierender Maßnahmen verordnet wurde, erhielten die Politiker — trotz nunmehriger partieller Besteuerung — die größte bisherige Erhöhung ihrer Bezüge, welche sie wie nie zuvor über den normalen Staatsbürger hinausheben.

Der Pluralismus, nicht als ökonomischer und ideenmäßiger verstanden, sondern auf einen bloß leistungshierarchischen reduziert, ist also überdies ein temporärer Pluralismus: Er gilt nur für den sozialistischen Staat, der „noch“ ohne sozialistische Menschen auskommen muß. Demnach wäre sogar der amputierte Pluralismus nur ein transitorisches Phänomen — vorausgesetzt, daß das eintritt, was die Ideologen prophezeien, nämlich, daß sich im sozialistischen Staat — allen gegenteiligen bisherigen Erfahrungen zum Trotz — doch noch der sozialistische Mensch entwickelt.

Eine zufriedenstellende und tragfähige Synthese aus der prinzipiell pluralistischen Demokratie und dem prinzipiell monolithischen Sozialismus ist also auch dem gut demokratischen Sozialisten Klenner nicht gelungen. Eine längerfristige Prädominanz des Sozialismus — und mag dieser noch so „demokratisch“ und „sozial“ sein — muß daher zwangsläufig zu einer starken Modifikation des Demokratieverständnisses führen. Die Ansicht, daß es für die Demokratie günstiger ist, wenn der Sozialismus eine nicht mit absoluter Mehrheit ausgestattete Teilkomponente im Kräfteparalellogramm darstellt, ist daher aus durchaus sachlichen Gründen — auch bei prinzipiell positiver Einstellung zum Sozialismus — nicht von der Hand zu weisen.

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