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Wallfahrt oder Wahlfahrt?

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Karl Marx zitierend leitete SPÖ- Zentralsekretär Karl Blecha in Graz die parteiinterne Diskussion über den nunmehr vorliegenden Entwurf für ein neues Parteiprogramm der Sozialisten, „das fünfte in der fast hundertjährigen Geschichte der Partei”, ein: „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, es ist umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.”

Soferne Karl BleCha dieses wunderschöne Zitat nicht ohnehin wegen Altersschwäche aus dem Verkehr ziehen möchte, sollte er es einmal auf das Verhältnis zwischen Sozialisten und Religion oder Katholiken anwenden. Er sollte einmal Bilanz ziehen aus dem bewußtseinsbestimmenden Sein der SPÖ im politischen Alltag. Dieses Sein in der politischen Alltags-Praxis ist eine mit relativ klaren Konturen versehene Angelegenheit: Da ist einmal die Fristenlösung an erster Stelle zu nennen, gefolgt von permanenter - natürlich nicht parteioffizieller - Verunglimpfung des Religionsunterrichtes, unter dem Tisch weitergereichte Kir- chenaustritts-Erklärungen sowie familienpolitische Fehlleistungen, die einer kritischen Prüfung aus der Sicht der katholischen Soziallehre längst nicht mehr entsprechen.

Und für das Bewußtsein - im Programm - werden neuerlich Positionen verbucht, die schon vor fast 20 Jahren im selben Wortlaut verbucht wurden (als ob sich seither das Verhältnis Kir- che/Staat oder Kirche/Parteien überhaupt nicht weiterentwickelt hätte. ..), Positionen, die ein einladendes Bewußtsein vorspiegeln, ein Bewußtsein ohne Sein. Wörtlich heißt es da: „Die Sozialisten achten das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben wie zu einer nichtreligiösen Weltanschauung als innerste persönliche Entscheidung jedes einzelnen. Sie stehen daher zu dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Bekenntnisse in der staatlichen Ordnung.”

No - na! Mißachten werden sie das Bekenntnis der Staatsbürger zu einem religiösen Glauben!

Jene Passagen, die das SPÖ-Pro- gramm in seiner neuen Fassung unter dem Titel „Sozialismus und Religion” aufweisen wird, sind entweder das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, oder aber sie sind eine ungeheure Provokation: Denn ein Weniger an Zugeständnissen oder Verständnis für jene Staatsbürger, die ein religiöses Bekenntnis gewählt haben und danach leben, würde schlicht und einfach nichts anderes bedeuten, als daß die Sozialisten dann die Basis der demokratischen Verfassung Österreichs verlassen würden.

Einer näheren Definition bedürftig wäre auch jener Satz, in dem es heißt, zwischen Sozialismus und Religionsgemeinschaften könne es dann keine Konflikte geben, wenn die Religionsgemeinschaften es vermeiden, „für die Durchsetzung konfessioneller Forderungen. . .staatliche Machtmittel anzuwenden.” Was soll denn das eigentlich heißen? Daß die Kirche ihre Beiträge nicht mit Hilfe der staatlichen Gewalt eintreiben soll? Wenn ja, dann sollte man das deutlich sagen. Wenn aber dieser Punkt nicht gemeint ist, dann bleibt nur mehr der Schluß, daß dieser Satz nicht erst von 1958 stammt, sondern daß er bereits gedankenverloren aus den Kampfschriften der Ersten Republik abgeschrieben wurde.

Sei es, wie immer: Wenn schon die Kirche darauf verzichten soll, konfessionelle Wünsche mit staatlichen Machtmitteln durchzuboxen, wäre es dann nicht recht und billig, wenn auch die SPÖ darauf verzichten würde, gesellschaftspolitisch brisante Forderungen mit einer hauchdünnen Mehrheit durchzuboxen?

Eine etwas verspätete Klärung des Konfliktes zwischen Kirche und SPÖ im Zuge des Fristenlösungs-Beschlus- ses hat nun Heinz Fischer in seinem neuen Buch „Positionen und Perspektiven” anzubieten versucht: Er meint, „daß die beiden Lager immer wieder aneinander vorbeigeredet haben und bis heute aneinander vorbeireden”. Der SPÖ-Klubobmann will damit sagen, man habe zwar Brückenschläge versucht, „aber die Versuche des Brückenschlages in Wirklichkeit an ganz verschiedenen Flüssen vorgenommen”. So einfach ist das also: Man erscheint gar nicht an der vereinbarten Baustelle, sondern schleppt das schwere Brückengerät dorthin, wo es gar keine gesellschaftspolitischen Bruchzonen gibt! Daß unter diesen Unständen die eine Brücke nicht fertig wird und die andere ein überflüssiges Bauwerk abgibt, sollte einen nicht wundem!

In dem gleichen, sehr bemerkenswerten Aufsatz von Heinz Fischer, der als einer der führenden intellektuellen Köpfe der SPÖ anerkannt werden darf, bekommt Kardinal König auch noch schlechte Zensuren, weil er die Programme der beiden Großparteien miteinander verglichen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die ÖVP, „die sich zum christlichen Menschenbild, zu einer christlichen Ordnung bekennt, grundsätzlich und prinzipiell der Kirche näher” steht als die SPÖ. Fischer zitiert zwar wörtlich, schreibt aber gleich zwei Zeilen später, der Kardinal habe damit die Kirche als „ÖVP-nahe” präsentiert, was nicht einmal durch das gedeckt ist, was er selbst zitiert: Kardinal König hat nicht den Standort der Kirche im Verhältnis zu den Parteien beschrieben, er hat umgekehrt den Standort der Parteien im Verhältnis zur Kirche aus seiner Sicht zu beschreiben versucht. Das ist ein großer Unterschied, den ein Fischer durchaus begreifen müßte! .

Jene Katholiken, um die sich die SPÖ nun mehr bemühen möchte, sind vermutlich für das breite katholische Lager alles andere als repräsentativ: Die Palette der „erwünschten” Katholiken reicht vermutlich nicht weiter als bis zur Formel: Was ein guter Katholik ist, bestimm’ ich selbst… Wer bestimmt das? Kreisky, wer sonst?

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