6909048-1981_02_05.jpg
Digital In Arbeit

Ein großer Einzelgänger

Werbung
Werbung
Werbung

Wer wie ich mehr als sechs Jahre in der engsten Umgebung des Bundes­kanzlers tätig war, kommt natürlich gerne dem Ersuchen der „FURCHE“ nach, einen Beitrag zum 70. Geburtstag Bruno Kreiskys zu schreiben. Und doch habe ich anfangs etwas gezögert: weit Prominentere werden um den 22. Jän­ner mehr oder weniger Ehrliches, Ge­scheites und politisch Wertendes zur Persönlichkeit des Jubilars schreiben. Ich für meinen Teil entschloß mich schließlich dazu, statt einer üblichen Gratulation einen sehr persönlichen Beitrag zu verfassen.

Ich hatte 1973 gerade sechs Jahre als innenpolitischer ORF-Redakteur hin­ter mir, da kam dieses Angebot Für mich 26jährigen mehr als überra­schend: ich war damals noch nicht Mit­glied der Regierungspartei, die übri­gens zu dieser Zeit gerade einige Schlappen bei Regionalwahlen einstek- ken mußte. Das politische Umfeld ver­hieß somit nicht unbedingt eine sichere Laufbahn als „Vertragsbediensteter mit Sondérvertrag“ im Bundeskanzler­amt.

Und doch sagte ich ja. Seit Amtsan­tritt der Regierung Kreisky hatte ich als Journalist, keineswegs unkritisch übri­gens, im ORF über die Arbeit dieses so­zialdemokratischen Kabinetts berich­tet. Ich war kein „gestandener“ Sozia­list, spürte aber als überzeugter Katho­lik doch, daß ich mich alles in allem mit den Grundlinien der Regierungspolitik Kreiskys weitgehend identifizieren konnte.

Als außenstehenden kritischen Beob­achter reizte es mich ungemein, für ein paar Jahre die Fronten zu wechseln und in der Umgebung des Bundeskanzlers hinter die Kulissen der Innenpolitik zu schauen.

Nicht immer und in allen Fragen war ich einer Meinung mit dem Kanzler, aber eines hatte ich stets zu respektie­ren: Bruno Kreisky handelt ungeachtet dessen, was man Taktik nennt, auf­grund einer tiefen politischen Überzeu­gung und glaubt an das, was er tut.

Das mag ein Geheimnis seines Erfol­ges sein: Die Menschen vertrauen ihm, weil sie spüren, daß er die Politik nicht als Beruf, sondern als Berufung ver­steht. j

Eine zweite Erklärung seines Erfol­ges wurde mir in den letzten Monaten während der Arbeit an der Fernsehdo­kumentation „Bruno Kreisky fast pri­vat“ aufs neue deutlich: In seiner Person treffen sich soziale Schichten, Tra­ditionen und Denkschulen dieses Lan­des.

Einerseits verkörpert Kreisky als er­ster sozialdemokratischer Bundeskanz­ler den Aufbruch des modernen Öster­reich; andererseits ist er aufgrund sei­ner Herkunft und nicht zuletzt auch sei­nes Alters Teil des alten Österreich, sei­nes geistigen Lebens und seiner Kultur.

Willy Brandt, der Freund Kreiskys aus der Zeit der skandinavischen Emi­gration, hat mir gegenüber einmal ge­meint: „Er hat doch wohl eine unge­wöhnliche Fähigkeit entwickelt, der Mann seiner Partei zu bleiben und trotzdem der Mann Für das ganze Volk zu sein, so daß sich alle Gutwilligen in ihm wiederfinden.“

Als der Bundeskanzler vor der Fern­sehkamera von seinem ersten politi­schen Erlebnis, dem Begräbnis des Kai­

sers Franz Joseph 1916, erzählte, da wurde mir wieder einmal klar, wieviel dieser Mann bereits bewußt erlebt hat. Aus diesem Fundus an Wissen und Er­fahrung kann er heute schöpfen. Das hat er den meisten anderen in der öster­reichischen Politik Wirkenden voraus.

Und dennoch: der Erfolg war für Bruno Kreisky keine Selbstverständ­lichkeit. Vielmehr mußte er ihn sich aus vielen Gründen sogar härter als andere erkämpfen. Aber politische oder auch andere Rückschläge hat er immer mit starkem Willen gemeistert. Und nach­her war er stärker als zuvor.

Bruno Kreisky ist vielleicht auch des­halb eine derart in sich gefestigte Per­sönlichkeit, weil er so manchen Rück­schlag verkraftet hat. Die Konsequenz seines Handelns scheint mir eine dritte wichtige Erklärung Für seinen Aufstieg zu sein.

Die integre Persönlichkeit Kreiskys stand und steht in der österreichischen Innenpolitik außer Streit, Was gewiß nicht von allen handelnden Personen auf der politischen Bühne behauptet werden kann. Der Bundeskanzler selbst sagt in der erwähnten Fernsehdoku­mentation seines persönlichen Werde­gangs:

„Ich glaube, daß, so sehr man verste­hen muß, daß auch Politiker Menschen sind, mit Schwächen, vielleicht auch mit Lastern behaftet sind, man an sie

die höchsten Ansprüche stellen muß. Sie werden eben in der Öffentlichkeit beurteilt und müssen das Maß halten, das vorgeschrieben ist. Das gilt vor al­lem für die persönliche Integrität.“

Kreisky wartet nicht, bis andere diese Ansprüche stellen, er stellt selbst die höchsten Ansprüche an sich - ein viertes Erfolgsmerkmal.

Bruno Kreisky ist einer der wenigen Staatsmänner, deren Wirken zu Leb­zeiten Gegenstand vieler Anekdoten und Legenden ist. Er ist heute im Be­wußtsein der Österreicher „der Krei­sky“. Diese Anrede sagt mehr als ande­res über die Stellung eines Politikers im Volk.

Seit 1953 kennen ihn die Menschen. Damals wurde er Staatssekretär Für auswärtige Angelegenheiten, später Außenminister und 1967 Oppositions­führer der SPÖ. Seit 1970 ist Kreisky Bundeskanzler; der am längsten die­nende Regierungschef der Zweiten Re­publik. An seinem 70. Geburtstag wird ihm eine SPÖ gratulieren, deren Inte- grationsfigur er heute genauso ist wie am Wahltag 1970. Wenn dieser große Einzelgänger der österreichischen Poli­tik einmal nicht mehr am Ballhausplatz die Regierungsgeschäfte führen wird, dann wird vieles anders werden, auch Tür die und in der SPÖ. Viele Menschen in- und außerhalb der Regierungspartei fürchten sich vor diesem Moment.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung