Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein großer Einzelgänger
Wer wie ich mehr als sechs Jahre in der engsten Umgebung des Bundeskanzlers tätig war, kommt natürlich gerne dem Ersuchen der „FURCHE“ nach, einen Beitrag zum 70. Geburtstag Bruno Kreiskys zu schreiben. Und doch habe ich anfangs etwas gezögert: weit Prominentere werden um den 22. Jänner mehr oder weniger Ehrliches, Gescheites und politisch Wertendes zur Persönlichkeit des Jubilars schreiben. Ich für meinen Teil entschloß mich schließlich dazu, statt einer üblichen Gratulation einen sehr persönlichen Beitrag zu verfassen.
Ich hatte 1973 gerade sechs Jahre als innenpolitischer ORF-Redakteur hinter mir, da kam dieses Angebot Für mich 26jährigen mehr als überraschend: ich war damals noch nicht Mitglied der Regierungspartei, die übrigens zu dieser Zeit gerade einige Schlappen bei Regionalwahlen einstek- ken mußte. Das politische Umfeld verhieß somit nicht unbedingt eine sichere Laufbahn als „Vertragsbediensteter mit Sondérvertrag“ im Bundeskanzleramt.
Und doch sagte ich ja. Seit Amtsantritt der Regierung Kreisky hatte ich als Journalist, keineswegs unkritisch übrigens, im ORF über die Arbeit dieses sozialdemokratischen Kabinetts berichtet. Ich war kein „gestandener“ Sozialist, spürte aber als überzeugter Katholik doch, daß ich mich alles in allem mit den Grundlinien der Regierungspolitik Kreiskys weitgehend identifizieren konnte.
Als außenstehenden kritischen Beobachter reizte es mich ungemein, für ein paar Jahre die Fronten zu wechseln und in der Umgebung des Bundeskanzlers hinter die Kulissen der Innenpolitik zu schauen.
Nicht immer und in allen Fragen war ich einer Meinung mit dem Kanzler, aber eines hatte ich stets zu respektieren: Bruno Kreisky handelt ungeachtet dessen, was man Taktik nennt, aufgrund einer tiefen politischen Überzeugung und glaubt an das, was er tut.
Das mag ein Geheimnis seines Erfolges sein: Die Menschen vertrauen ihm, weil sie spüren, daß er die Politik nicht als Beruf, sondern als Berufung versteht. j
Eine zweite Erklärung seines Erfolges wurde mir in den letzten Monaten während der Arbeit an der Fernsehdokumentation „Bruno Kreisky fast privat“ aufs neue deutlich: In seiner Person treffen sich soziale Schichten, Traditionen und Denkschulen dieses Landes.
Einerseits verkörpert Kreisky als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler den Aufbruch des modernen Österreich; andererseits ist er aufgrund seiner Herkunft und nicht zuletzt auch seines Alters Teil des alten Österreich, seines geistigen Lebens und seiner Kultur.
Willy Brandt, der Freund Kreiskys aus der Zeit der skandinavischen Emigration, hat mir gegenüber einmal gemeint: „Er hat doch wohl eine ungewöhnliche Fähigkeit entwickelt, der Mann seiner Partei zu bleiben und trotzdem der Mann Für das ganze Volk zu sein, so daß sich alle Gutwilligen in ihm wiederfinden.“
Als der Bundeskanzler vor der Fernsehkamera von seinem ersten politischen Erlebnis, dem Begräbnis des Kai
sers Franz Joseph 1916, erzählte, da wurde mir wieder einmal klar, wieviel dieser Mann bereits bewußt erlebt hat. Aus diesem Fundus an Wissen und Erfahrung kann er heute schöpfen. Das hat er den meisten anderen in der österreichischen Politik Wirkenden voraus.
Und dennoch: der Erfolg war für Bruno Kreisky keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr mußte er ihn sich aus vielen Gründen sogar härter als andere erkämpfen. Aber politische oder auch andere Rückschläge hat er immer mit starkem Willen gemeistert. Und nachher war er stärker als zuvor.
Bruno Kreisky ist vielleicht auch deshalb eine derart in sich gefestigte Persönlichkeit, weil er so manchen Rückschlag verkraftet hat. Die Konsequenz seines Handelns scheint mir eine dritte wichtige Erklärung Für seinen Aufstieg zu sein.
Die integre Persönlichkeit Kreiskys stand und steht in der österreichischen Innenpolitik außer Streit, Was gewiß nicht von allen handelnden Personen auf der politischen Bühne behauptet werden kann. Der Bundeskanzler selbst sagt in der erwähnten Fernsehdokumentation seines persönlichen Werdegangs:
„Ich glaube, daß, so sehr man verstehen muß, daß auch Politiker Menschen sind, mit Schwächen, vielleicht auch mit Lastern behaftet sind, man an sie
die höchsten Ansprüche stellen muß. Sie werden eben in der Öffentlichkeit beurteilt und müssen das Maß halten, das vorgeschrieben ist. Das gilt vor allem für die persönliche Integrität.“
Kreisky wartet nicht, bis andere diese Ansprüche stellen, er stellt selbst die höchsten Ansprüche an sich - ein viertes Erfolgsmerkmal.
Bruno Kreisky ist einer der wenigen Staatsmänner, deren Wirken zu Lebzeiten Gegenstand vieler Anekdoten und Legenden ist. Er ist heute im Bewußtsein der Österreicher „der Kreisky“. Diese Anrede sagt mehr als anderes über die Stellung eines Politikers im Volk.
Seit 1953 kennen ihn die Menschen. Damals wurde er Staatssekretär Für auswärtige Angelegenheiten, später Außenminister und 1967 Oppositionsführer der SPÖ. Seit 1970 ist Kreisky Bundeskanzler; der am längsten dienende Regierungschef der Zweiten Republik. An seinem 70. Geburtstag wird ihm eine SPÖ gratulieren, deren Inte- grationsfigur er heute genauso ist wie am Wahltag 1970. Wenn dieser große Einzelgänger der österreichischen Politik einmal nicht mehr am Ballhausplatz die Regierungsgeschäfte führen wird, dann wird vieles anders werden, auch Tür die und in der SPÖ. Viele Menschen in- und außerhalb der Regierungspartei fürchten sich vor diesem Moment.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!