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Der alte Mann und die Macht

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Mit dem 31. Dezember 19.75 scheidet der „bevollmächtigte Minister“ Bruno Kreisky aus dem aktiven Personalstand des Bundesmini-steriums für Auswärtige Angelegenheiten aus. Der im Jänner 1911 Geborene wird entweder im Rang eines Ministerialrates oder eines Sektionschefs in Pension gehen.

In diesem Wahlkampf wirbt der Beamtenpensionär Kreisky um das Vertrauen der Wähler für eine Fortsetzung einer absoluten SP-Regie-rung oder doch einer SP-FP-Koali-tion unter Bundeskanzler Kreisky bis zum Jahr 1979. Erst dann will er abtreten; nicht, ohne zuvor seiner Partei zu empfehlen, einen ihm genehmen Mann, nämlich Finanzminister Androsch, zu seinem Nachfolger an der Spitze der Sozialistischen Partei zu wählen. Mit diesem Mann will der abtretende Bundeskanzler Kreisky auch noch den Wahlkampf 1979 bestreiten. Er will demnach im Alter von fast 70 Jahren die Stafette an seinem Nachfolger im vollen Lauf übergeben.

Bruno Kreisky hat also seine persönlichen Absichten für die Zeit nach dem 5. Oktober klar und eindeutig auf den Tisch gelegt. Entweder, er erhält die ganze Macht, oder doch — in einer Koalition mit der FPÖ — rund 90 Prozent davon.

Vor acht Jahren noch zählte er zu den entschiedensten Verfechtern der heute von ihm so verekelten großen Koalition. Noch während der Regierungsverhandlungen im Oktober 1966 betrachtete er „die Zusammenarbeit der beiden großen Parteien auch heute noch als adäquate Form der Demokratie in Österreich“. Zwei Jahre Später meinte er in einem Vortrag in Bern, daß „das Einparteiensystem falsch ist“ und in einem Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 15. März 1968 war er der Meinung, „daß die Maßnahmen, die Österreich zur Sanierung und Modernisierung seiner Wirtschaft braucht, von keiner der beiden großen Parteien allein entschieden und verantwortet werden kann“.

Was hat den Sinneswandel Kreiskys, der ja auch vor acht Jahren schon ein politischer Routinier war, bewirkt? Demokratische, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Grundsatzfragen waren es nicht. Denn es hat sich in den letzten acht Jahren gar nichts geändert, was das Grundsätzliche an seinen Äußerungen aus den Jahren 1966 bis 1968 entwertet oder gar verkehrt hätte. Im Gegenteil: Was damals richtig war (Regierungskontrolle, ökonomische Entwicklung usw.) ist heute auf noch viel dramatischere Weise erst recht richtig.

Der Sinneswandel Bruno Kreiskys erklärt sich offenbar aus seiner „Alles-oder-nichts-Beziehung“ zur Macht. Zur Macht, an der er, wie andere in anderen Parteien auch, mit jeder Faser seines Herzens hängt, weil ihm ohne sie jede politische Betätigung bedeutungslos erschiene. In ihren eben herausgekommenen Memoiren „Mein Leben“ zitiert Golda Meir Bruno Kreisky, der ihr gegenüber meinte, daß ein Regierungsmitglied sofort den Abschied nehmen müsse, wenn es seiner Interpretation der politischen Situation und seinen Entscheidungen nicht zustimme. Ist das so?

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