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„Am ersten Sonntag im Oktober“

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„Am ersten Sonntag im Oktober wird gewählt.“ Ein-, zwei-, zehnmal hat es Österreichs Bundeskanzler verkündet. Jetzt ist 's der Mai.

Die Massenmedien gehen darüber mit einem spöttischen Halbsatz hinweg: Bruno Kreisky ist halt wieder einmal „einfallsreich“ gewesen. Längst hat man ohnehin aufgehört, sich seine Aussagen zu bestimmten Themen als Anhaltspunkte für Analysen und Prognosen zu notieren: Am nächsten Tag wird ja doch wieder das Gegenteil gesagt.

Eine Zitatensammlung zum Thema Große Koalition, wie sie der „Kurier“ jüngst veröffentlichte, hätte in einem anderen demokratischen Land ausgereicht, eine Parlamentsdebatte zum Thema Glaubwürdigkeit des Regierungschefs auszulösen. In Österreich lächelt man sich über sie mehr wie über einen Faschingsscherz hinweg. So ist er halt, der Große Zampano!

Ein Redakteur einer bedeutenden bürgerlichen Zeitung hat vor wenigen Monaten allen Ernstes erklärt, die Leser würden sich schön anschauen, wenn sie einmal ein Kreis-ky-Interview wörtlich vorgesetzt bekämen - längst hätten Journalisten erfaßt, daß man „den Kreisky übersetzen muß“. Man korrigiert schon, kaum daß er ausgesprochen hat.

Und so weiter.

Und so weiter?

Es ist wohl nicht zu früh, dazu einmal ein Fragezeichen zu setzen. Darf, soll, muß man sich an einen solchen Stil gewöhnen?

Natürlich: Ein Politiker muß flexibel sein. Natürlich: Ein Politiker kann nicht immer die Katze gleich aus dem Sack lassen. Natürlich: Bruno Kreisky ist nicht der einzige Politiker, der schwer am eigenen Wort zu fassen ist, und seine Partei wahrhaftig nicht die einzige, der sich in puncto Wahrheitsliebe einiges vorwerfen läßt. Und Zeitungen erliegen der Versuchung des unverbindlichen Wortgetändels oft nicht weniger als Politiker.

Das alles muß gesagt werden. Und auch, daß Bundeskanzler Kreisky in seiner politischen Karriere eine Großzahl von Leistungen erbracht hat, die keine gegnerische Propaganda jemals wird auslöschen können. Er ist auch heute noch nicht jener schwefelumwehte, bockfüßige Gottseibeiuns, als der er schon seit langem frustrierten Oppositionellen in ihren Alpträumen erscheint.

Aber er ist jener Politiker, der wie kein zweiter in diesem Land es sich zur Gewohnheit gemacht hat, seine Worte quasi aus Prinzip jeglichen Verpflichtungscharakters zu entkleiden: „Ich brummle halt so vor mich hin, damit die Zeitungen was zum Schreiben haben - wenn's mir nicht mehr in den Kram paßt, kann ich ja jederzeit wieder was anderes sagen...“

Bruno Kreisky hat nachhaltiger als tausend kleine Biertischstrategen in Auerbachschen Kellern das Vorurteil gefördert, daß ein politisch' Lied ein garstig' Lied sein muß. Der Kanzler der Republik Österreich hat systematisch die Nation dazu erzogen, ein Politikerwort nicht mehr ernstzunehmen.

Nur eine sehr kurzsichtige Opposition könnte sich von einer solchen Bilanz zu Triumphgefühlen inspirieren lassen.

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