6822867-1973_47_05.jpg
Digital In Arbeit

Brave, böse Journaille

19451960198020002020

Das traditionell schlechte Verhältnis der österreichischen Sozialisten zu unabhängigen Medien ist derzeit wieder einmal auf einem Tiefpunkt angelangt. Im Frühjahr dieses Jahres versuchte eine Broschüre des Zentralsekretariats der SPÖ, Vertrauensleute aufzuklären bzw. auf die wenigen echt „objektiven“ Zeitungen (wie z. B. „Arbeiter-Zeitung“, „Neue Zeit“, „Tagblatt“) zu verpflichten — während nun ein in hoher Auflage produziertes Flugblatt die Hetzkampagne gegen den wirklich unabhängigen österreichischen Journalismus fortsetzt.

19451960198020002020

Das traditionell schlechte Verhältnis der österreichischen Sozialisten zu unabhängigen Medien ist derzeit wieder einmal auf einem Tiefpunkt angelangt. Im Frühjahr dieses Jahres versuchte eine Broschüre des Zentralsekretariats der SPÖ, Vertrauensleute aufzuklären bzw. auf die wenigen echt „objektiven“ Zeitungen (wie z. B. „Arbeiter-Zeitung“, „Neue Zeit“, „Tagblatt“) zu verpflichten — während nun ein in hoher Auflage produziertes Flugblatt die Hetzkampagne gegen den wirklich unabhängigen österreichischen Journalismus fortsetzt.

Werbung
Werbung
Werbung

In der Broschüre heißt es im Vorwort u. a.: „Nicht nur die Eigentümer der Zeitungen, sondern auch die Schreibweise dieser ihrer Blätter beweisen nahezu täglich die Richtigkeit der Feststellung von Bundeskanzler Dr. Kreisky, diese Zeitungen und vor allem ihre Herausgeber wünschen nichts sehnlicher als das baldige Ende der SPÖ-Re-gierung.“

Das Flugblatt wiederum wendet sich mit den markigen Sätzen: „Ach-

tung! — .Unabhängige' Zeitungen wollen Regierung Kreisky stürzen!“ an die gelehrigen Genossen.

Solche Ausfälle waren im Österreich der Zweiten Republik freilich bisher keine Seltenheit. Insbesondere zur Zeit des Rundfunkvolksbegehrens, welches Von den unabhängigen Zeitungen Österreichs forciert wurde, erreichten Angriffe sozialistischer Spitzenfunktionäre ein hypertrophes Ausmaß. Der Abgeordnete Winter meinte am 15. Juli 1965 im Nationalrat, zur ÖVP gewendet: „Wir Sozialisten haben nicht die Absicht, uns zu Stiefelputzern einer gewissen präpotenten Journaille degradieren zu lassen!“

Nach der Ernüchterung durch die Wahlniederlage 1966 und innerlich erneuert durch den Wechsel an der Parteispitze, war es vor allem Bruno Kreisky, der ein besseres Verhältnis zu den Medien herstellen konnte. Er, dem es ohne die direkte oder indirekte „Unterstützung“ der unabhängigen Zeitungen — und auch des ORF — niemals gelungen wäre, Kanzler zu werden, wußte genau um die Bedeutung eines unabhängigen Journalismus Bescheid.

Dies änderte sich allerdings schlagartig mit der Änderung der politischen Verhältnisse nach 1970. Was den Sozialisten vorher billig war, war ihnen nun nicht mehr recht. Alte Ressentiments tauchten wieder auf und vereinzelt begannen Funktionäre eigenartige Töne anzuschlagen. Das Vokabel „Journaille“ war wieder zu hören und Landeshauptmann Theodor Kery verstieg sich im Juni dieses Jahres zu einer geradezu unglaublichen Beschimpfung der unabhängigen Presse — wobei er auch feststellte, daß die unabhängigen Jour-

nalisten „höchstens von ihrem Gewissen, vom Verantwortungsbewußtsein“ unabhängig seien.

Konnte man diese Äußerung noch als Entgleisung eines Mannes bezeichnen, der sich nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte, so hat die im folgenden gestartete Kampagne gezeigt, daß offenbar der alte Geist wieder fröhliche Urständ feiert.

Eine Kostprobe aus der Broschüre, die FURCHE betreffend, darf die Art der Kampagne illustrieren: „Es (das Blatt) hat seine bewußt österreichische Haltung bewahrt, die frühere Verständigungsbereitschaft jedoch abgelegt. Politisch spielt die FURCHE eine verhältnismäßig geringe Rolle, da sie mit jenem altkonservativen Flügel der ÖVP verbunden ist, der in den letzten Jahren ständig an Einfluß verloren hat (zum Beispiel Dr. Drimmel). Die Haltung gegenüber der SPÖ ist gehässig.“

Das Flugblatt wiederum konzentriert sich in erster Linie auf die österreichischen Tageszeitungen, wobei festgestellt wird: „Der .Kurier' ist ein ÖVP-Blatt. Das muß jeder wissen, der dieses .schwarze Blattl' liest!“ Andere unabhängige Zeitungen kommen nicht viel besser weg. Die „Kronen-Zeitung“ hingegen wird nicht genannt (!). Im gleichen Atemzuge wird den österreichischen Meinungsforschungsinstituten krasse Manipulation der öffentlichen Meinung vorgeworfen, lediglich das SPÖ-Institut IFES erhält eine gute Zensur.

Die Reaktionen auf das SPÖ-Flugblatt waren bisher freilich auch innerhalb der SPÖ teils sehr negativ. Zahlreiche Landesorganisationen haben sich geweigert, die Kampfschrift überhaupt zu verteilen, und die Salzburger SPÖ gab lediglich die knappe Auskunft: „Flugblatt schon eingestampft.“

Plötzlich will niemand für die verunglückte Aktion verantwortlich sein. Die „Kleine Zeitung“ stellte nüchtern fest: „Als Hauptsündenbock dieser Aktion wird zwar allgemein Zentralsekretär Marsch genannt, doch hat zweifellos auch der Parteivorsitzende Bruno Kreisky eine so maßgebende — wenn nicht überhaupt entscheidende — Rolle bei dieser sogenannten Aufklärungskampagne gespielt.“

Die Frage, wie lange sich Österreichs stärkste Partei einen Mann vom Kaliber eines Fritz Marsch leisten kann, muß sie mit sich selbst ausmachen; eine Frage, die jedoch sehr wohl die Öffentlichkeit angeht, ist seine und die Intoleranz der SPÖ.

Bereits im Juni dieses Jahres meinte Bruno Kreisky über die Broschüre, daß „diese in einzelnen Teilen vielleicht nicht ganz den Tatsachen entspreche“. Warum dann aber diese „Dokumentation“ dennoch verteilt wurde, bleibt unerfindlich — und warum man schließlich noch ein erheblich demagogischeres Flugblatt produzierte, ist endgültig obskur. An Bundeskanzler Kreisky wird es letztlich liegen, diese und ähnliche Aktionen der Öffentlichkeit zu erklären.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung