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Die perfekte Show

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Draußen kommt eben Kreisky an, die Kartenpartie wird unterbrochen. Vier Bläser stimmen das Euphonium „Drauß’n am Wald" an. Sehr andächtig hört der Kanzler der Darbietung zu, die auf dem Hauptplatz für ihn gespielt wird. Die Andacht geht in ein verbindliches Lächeln über. Ein Kuvert mit einer Geldspende für die Bläser wechselt den Besitzer und Kreisky strebt, umdrängt, dem Rednerpult zu.

„Ich habe wenig Zeit“, gibt Kreisky gleich eingangs zu bedenken. Um so beifälliger nimmt man zur Kenntnis, daß er sich doch ausführlich mit seiner Politik beschäftigt. „Zuerst einmal glaube ich, daß ich es mir ersparen kann, zu sagen, was in den letzten eineinhalb Jahren geleistet wurde. Ich tu das deshalb nicht, weil ich glaube, daß es nicht sehr stark wirkt, wenn man die eigene Arbeit und die Arbeit seiner Freunde lobt.“ Und dann serviert Kreisky die „Zuckerln“ seiner Regierung: Schülerfreifahrten, 15.000 Schilling für junge Ehepaare, Wehrdienstzeitverkürzung, höhere Pensionen und Renten. Keinem Zuhörer fällt dieser Widerspruch auf. Die Begeisterung ist groß, fast drängt man Kreisky von seinem Pult. Und in Zukunft? Da wird alles noch besser werden. Nur läppische 1,5 Prozent mehr an Stimmen, dann wird aus Österreich ein Schlaraffenland.

Nachher wollen ihn seine Mitarbeiter wieder ins Auto verfrachten. Kreisky aber mischt sich unters Volk, dem augenscheinlich vor Augen geführt wurde: uns zuliebe nimmt er die Verspätung auf seiner Reise auf sich, wenn wir da sind, hat er für uns Zeit.

Mit ein paar Leuten wechselt er einige Worte. „Was sind Sie denn von Beruf?“ Der junge Mann möchte Politologie studieren und vielleicht dann auch in der SPÖ aktiv werden. „Das ist sehr gut Mein Sohn beschäftigt sich auch mit Politologie. Sehr interessant. — Wissen Sie, man hat mir, um bei meinem Sohn zu bleiben, oft gesagt: Wie will der im Staat Ordnung halten, wenn er zu Hause nicht einmal mit seinem Sohn zurecht kommt? Was ich dazu meine? Wenn ich zu Hause nicht Meinungsfreiheit gewähre, wie kann ich es dann im Staat?“ — „Sehr richtig“, bekräftigt eine Pensionistin im Hintergrund die Kreisky-Worte. Prompt quittiert der Wahlwerber ihre Anteilnahme mit einem Händedruck.

So geht es weiter, von Station zu Station. In St. Veit ärgert sich Kreisky: „Gibt es kein höheres Pult? Da können mich die Leute nicht sehen!“ Der angesprochene SP- Funktionär tut verzweifelt: „Es war nichts Besseres aufzutreiben.“ Kreiskys Mißmut weicht wieder dem Lächeln. „Meine lieben Freunde…“ Und nach der Feststellung, daß er seine Regierung nicht loben, sondern seinen Blick in die Zukunft wenden wolle, spricht er wieder über die Leistungen der vergangenen eineinhalb Jahre: „Wir haben gearbeitet und so wollen wir es weiter halten. Und so möchte ich zum Schluß Ihnen eines sagen: alle Diskussionen darüber, was nach dem 10. Oktober kommen wind, ob große oder kleine Koalition, erübrigen sich in dem Augenblick, in dem die SPÖ die Mehrheit im Lande bekommt.“ Pause. „Ist das möglich?“ Und die Zuhörer, endlich nicht zum Zuhören verurteilt, rufen begeistert durcheinander: „Ja, ja.“ Und Kreisky zieht den Schlußstrich: „Ja, auf die St-Veiter kann man sich verlassen.“

Ein alter Herr stürzt auf Kreisky zu und schüttelt ihm die Hand: „Zum Wohle unseres Vaterlandes, Gott behüte Sie!“ Kreisky freut sich mit ihm, daß er schon mehr als 90 Jahre alt ist und daß er den weiten Weg vom Berg herab zur Wahlversammlung nicht gescheut hat. Der alte Herr ist Schuldirektor in Ruhe. Kreisky fühlt sich ihm sehr verbunden: „Ich komm selber aus einer Lehrerfamilie. Mein Großvater war Oberlehrer in Deutschböhmen, in

BudwelS." Und als der Gesprächspartner noch feststellt, daß er selbst lange Zeit an der Elbe tätig war, läßt ihn Kreisky noch weitere Verbundenheit ahnen: „Das kenn’ ich sehr gut aus meiner Jugendzeit!“

Feldkirchen ist die nächste Station. Wieder hält Kreisky ruhig und gelassen seine Wahlrede. Jede seiner Feststellungen bekräftigt ein neben ihm stehender Ortsfunktionär mit demonstrativem Nicken. Unbemerkt schiebt sich von hinten ein alter Kärntner in Trachtenrock und Kniebundhose an Kreisky heran. Als der Bundeskanzler vom Rednerpult tritt und noch bevor die Dankesworte gesprochen werden, ist er mit schnellem Schritt beim Mikrophon und ruft hinein: „Nicht verzagen, Bruno fragen.“ Die Umstehenden lachen, Kreisky weiß im Moment nicht,’wie er sich verhalten soll. Verlegen beginnt er mit dem Nächststehenden ein Gespräch: „Was san Sie?“ — „Rentner.“ — „Und was warn S’ früher?“ — „Hilfsarbeiter.“ — „Wieviel haben S’ Rente?“ — „Des san 21 Hundert1. — „2100?“ — „Ja.“ — „Und das 14mal?“ — „Ja.“ — „Na, kommen S’ aus damit?“ — „Ja, es geht wohl, aber…“ Als Kreisky merkt, daß sein Gesprächspartner doch nicht so zufrieden ist, schüttelt er ihm schnell die Hand und eilt weiter. Nun kommen die Autogrammjäger, Alte, Junge, Frauen und Männer. „Kinder, i unterschreib’ euch des gern, aber jetzt kann i nimmer mehr. I muaß weiterfa-hm“, versucht Kreisky die Andrängenden abzuwehren, die sich gegenseitig das Papier mit dem Kreisky-Schriftzug aus der Hand reißen, so daß er nochmals von vorne beginnen muß. Dazwischen findet er noch Zeit, einem Einundachtzigjährigen zu versichern, daß dieses sein Alter „schön ist“ und daß er selber in dem Alter auch so aussehen möchte. Dann hinein in den dunkelgrünen Rover und ab zur nächsten Kundgebung: Eine perfekte Wahlshow. Und wer Kreisky bei seiner Wahlreise erlebt — und ihn von früher her kennt — muß eingestehen: Der volkstümlichste Kreiksy, den es je gab…

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