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Bundesminister für Äußeres war Bruno Kreisky damals, vor elf Jahren, da mir die Ehre widerfuhr, im Quartett mit ihm, dem Gelehrten und nunmehrigen Auchpolitiker Erma-cora und dem bereits verstorbenen Publizisten und Historiker der Arbeiterbewegung Hanak, unter der geschickten Leitung des von der jungen Generation inzwischen ins hohe Parteimittelalter aufgerückten Blecha am Währinger Brauhaus für den Präsidentschaftskandidaten Franz Jonas zu tcerben.

Es war meine erst persönliche Begegnung mit Kreisky, dessen politisches, vor allem aber menschliches

Auftreten und Gehaben mich sehr für ihn einnahmen. Nicht nur seine überzeugende und überlegte Rhetorik, auch sein Charme, seine Liebenswürdigkeit, die gediegene Altwiener Großbürgertradition verkörperten, erinnerten mich an einen väterlichen Jugendfreund: den Schriftsteller und Hofrat Dr. Otto Friedlaender, mit dem ich ein paar Wochen während des Krieges in den Helnkel-Flugzeugwerken bei Schwe-chat zwangsweise im Personalbüro tätig (besser gesagt: untätig) war. Friedlaender hatte man zu dieser Art von Kriegsdienst eingezogen, weil er Halb- oder Vierteljude war; mit mir versuchte es der Hitlerstaat noch einmal auf die zivile Tour, nachdem ich mich durch einiges Geschick und sehr viel Glück seinem militärischen Zugriff bei etlichen Musterungen entzogen hatte.

An Kreisky fiel mir im persönlichen Gegenüber auch die frappante Ähnlichkeit mit Otto Friedlaender auf, dessen Sohn der österreichische Bundeskanzler beinahe sein könnte. Nach einem langen, überaus herzlichen Gespräch im ,JCünstlerzlm-mer“ des Brauhaussaales bestiegen lüir beide dann unsere Automobile: der Herr Bundesminister seinen schon hochbetagten flaschengrünen Rover, den er selbst chauffierie, und ich meinen auch schon alles eher denn jugendfrischen himmelblauen Hillman.

Von jenem Abend blieben ntir vor allem die Freundlichkeit und Bescheidenheit des sozialistischen Politikers in Erinnerung: vielleicht hat diese Erinnerung auch dazu beigetragen — ich lebe viel in Erinnerungen und aus Erinnerungen —, daß ich mich zwei Jahre später dazu entschloß, in Bruno Kreiskys Partei einzutreten.

Wenn ich nun den Währinger Brauhaus-Kreisky von anno 1965 mit dem Bildschirm-Kreisky von heute vergleiche, dann überkommt mich ein Schauer: Wie kann Macht Menschen verändern! Kreisky selbst hat davon bei den Feiern zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag gesprochen.

Das jüngste Fernsehinterview des Bundeskanzlers über die beantragte Wehrgesetznovelle und die Proteste der sozialistischen Jugend und Jungen Generation gegen seinen Minister Lütgendorf bewog mich zumal, vor dem Bildschirm-Kreisky von heute in die Erinnerungen an den Brauhaus-Kreiksy von einst zu flüchten.

Denn was ließ sich da nicht alles in einem, den Zuhörer enervierenden Grundton vernehmen: Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei nannte seine eigene Parteijugend, die es sich herausnahm, einmal anderer Meinung zu sein als er, „ein paar Leute“. Dann drohte Kreisky der Zukunft seiner Partei mit dem Parteivorstandskrampus.

Hat der oberste Sozialdemokrat des Landes vergessen, daß Demokratie denn nichts anderes ist als die Summierung von „ein paar Leuten“? Hat er ferner vergessen, daß der Parteitag seiner Partei erst kürzlich die „offene Partei“ beschlossen hat, in der jedes Mitglied, nicht nur der „große Vorsitzende“ wie in China, das Recht auf eine eigene Meinung und deren Äußerung hat?

Kreisky gewann sich einst viele Menschen gerade durch seinen, herzlichen, verständnisvollen Umgang mit den Jungen — innerhalb und außerhalb seiner Partei: Warum fällt er jetzt auch ihnen gegenüber in eine Bolle, die ihm schlecht liegt und politisch nicht guttun kann: in die Rolle der Bundesz'widerwurz'n?

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