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Der Skandal in Holland

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Nachdem Bundeskanzler Kreisky ursprünglich in seine Regierung als Landwirtschaftsminister ein Mit glied der SS berufen hatte, gab es einen vehementen Sturm von in- und ausländischen Persönlichkeiten, die einen solchen Mann nicht als Re präsentanten Österreichs akzeptieren wollten, mag Dr. öllinger auch seine fachlichen Meriten gehabt haben und persönlich integer gewesen sein.

Gut, Dr. Öllinger „erkrankte”, der Bundeskanzler verteidigte seine Wahl nun damit, daß er nichts von öllingers Vergangenheit gewußt habe und überdies die Tatsache entscheidend sei, ob jemand „irgend etwas Kriminelles” begangen habe.

Das befriedigte natürlich einerseits jene Österreicher nicht, die im NS- Regime einiges durchzumachen hatten, anderseits aber auch viele Sozialisten nicht, die sich vom Regierungschef der ersten sozialistischen Alleinregierung in Österreich ein anderes Verhalten erwartet hatten (siehe FURCHE Nr. 19/70).

Schon damals allerdings wurde auch das Ausland hellhörig. Denn just zur selben Zeit begann der Bundeskanzler eine Kampagne gegen das Dokumentationszentrum des Ingenieurs Wiesenthal, das sich von Österreich aus mit der Aufklärung von kriegsverbrechen beschäftigt. Man gab Wiesenthal zu verstehen, daß er mit einer Schließung seines Büros zu rechnen habe.

Der Proteststurm blieb nicht aus. Vor allem jüdische Kreise aus fast der gesamten Welt protestierten (siehe FURCHE Nr. 32/70 bei Kreisky, US- Senatoren drohten mit einer Kampagne gegen die SPÖ-Regierung in Wien. Dazu kam, daß Kreisky in einem Interview gegenüber einer holländischen Zeitung abfällige Bemerkungen über Wiesenthal machte, die er später nicht gemacht haben wollte. Auf einem Manuskript sollen Ausbesserungen vorgenommen worden sein (siehe FURCHE Nr. 34/70). Alle diese Dinge registrierte aber fast nur die ausländische Presse — und das in erstaunlich prominenter Aufmachung. Das Schweigen in Österreich hatte natürlich Gründe.

Einerseits existiert in Österreich ja seit langem eine Totschweigetak- tik, wenn es um die eigene Vergangenheit und die von prominenten Österreichern geht;

• anderseits glaubt ein Teil der österreichischen Massenmedien, auf die Exnazis unter ihren Lesern und Hörern Rücksicht nehmen zu müssen.

Aber auch die Opposition (ganz abgesehen von der FPÖ) registrierte keine Reaktion des Auslands gegenüber Kreiskys Regierung. Die ÖVP schwieg und schweigt beharrlich — und, wie sie meint, erfolgreich — zu allen Äußerungen, die im Ausland über die österreichischen Vergangenheitsbewältigung gesagt werden. Daß Dr. Kreisky und seine Partei Wählerfang unter alten NS-Mit- gliedern betreibe, ist ein stereotyper Vorwurf, der heute im westlichen Ausland immer wieder zu hören ist, kommt die Rede auf die eigenartige Totschweigetaktik in diesem Land. Hatten sich vor allem Schweizer und US-Zeitungen mit dem Phänomen des „Heimatlandes Hitlers” (so eine New Yorker Gazette) und seiner heutigen Regierung beschäftigt, geriet nun unversehens (und ein wenig unschuldig) Unterrichtsminister Gratz ins Sperrfeuer.

Denn Anfang April reiste eine Gruppe österreichischer Parlamentarier mit dem Unterrichtsminister

- und unter anderen — dem FPÖ- Bundesparteiobmann Peter nach Holland, um dort Einrichtungen des Bildungswesens zu studieren.

Unversehens brach ein Proteststurm los: Hollands Zeitungen und Fernsehen warfen den Österreichern vor, eine Taktlosigkeit zu begehen und einen früheren SS-Otaersturmführer

— nämlich Peter — in jenes Land zu schicken, daß gerade durch Österreicher in der Kriegszeit am meisten zu leiden hatte (Reichskommissar der Niederlande war der Österreicher Seyss-Inquart, Sicherheitschef der Österreicher Rauter, Leiter des holländischen Judenreferates der Österreicher Rajakowitsch). Der Unterrichtsausschuß des holländischen Parlaments empfing die Österreicher nicht. Und Österreichs Botschafter in Den Haag, Johannes Coreth, seufzte: „Einen derartigen Skandal . haben wir noch nicht erlebt.”

Schließlich warf sich Unterrichtsminister Gratz — mutig, wie allgemein anerkannt wurde — ins Feuer und stellte sich einer Pressekonferenz.

DIE FURCHE bringt nebenstehend einen Auszug aus der Pressekonferenz von Minister Gratz. Er spricht für sich.

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