Ins Rot-Braune getroffen

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Simon Wiesenthal war sein Leben lang der Stachel im Fleisch der "Nichts-getan-habenden Wegschauer". Karl Pfeifer

Simon Wiesenthal 1908-2005

Nazijäger

Bereits in ihrer ersten Regierungserklärung vom 27. April 1945 betonte die österreichische Bundesregierung, die Verantwortlichen des nationalsozialistischen Regimes und Kriegsverbrecher "sollen auf keine Milde rechnen können". Der Kalte Krieg und das Buhlen um die Stimmen der "Ehemaligen" ließen jedoch die große Koalition 1955 die Volksgerichte abschaffen und 1957 das Kriegsverbrechergesetz im Rahmen des ns-Amnestiegesetzes aufheben. Hatte der Eichmann-Prozess in Deutschland zu einer Reihe von bedeutenden Prozessen gegen ns-Täter geführt, so zeichnete sich die österreichische Justiz durch Untätigkeit beziehungsweise Aneinanderhäufung von Skandalen aus, "auf den Geschworenenbänken saßen vorwiegend Nichts-getan-habende Wegschauer' über ihre eigene Vergangenheit zu Gericht".

Im November 1969 veröffentlichte die Furche den kurzen Artikel "Arbeit für Wiesenthal", in dem unter anderem kritisiert wurde, dass "Dr. Broda von der spö und Zeilinger von der fpö in seltsamer Geeintheit im Parlament" beanstandet haben, "daß der Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums, Ing. Simon Wiesenthal, Auskünfte sowohl eingeholt als auch gegeben hat, die der Ausforschung und Verfolgung von Massenmördern der ns-Zeit dienten".

Reflexartig unterstellte die Arbeiter-Zeitung der Furche daraufhin, ein "vp-Wahlkampforgan" zu sein. Die Furche replizierte, sie hätte, "ohne es zu wissen, ins Schwarze oder richtiger gesagt ins Rotbraune getroffen" und ließ Simon Wiesenthal auf die Vorwürfe antworten. Seine Antwort war zurückhaltend und nobel (siehe unten).

Unter einem Bundeskanzler Bruno Kreisky sollte es aber noch viel ärger kommen: Er versuchte Wiesenthal abzuwerten und zu kriminalisieren. Seine Argumente gegen Wiesenthal sprachen verschiedene antisemitische Stereotype an, vor allem die Weltverschwörung und Ehrlosigkeit ("jüdischer Dreh"). "Kreisky profilierte sich hier als echter Österreicher, der zwar antisemitische Argumentation bemüht, aber den Vorwurf des Antisemitismus im Namen aller Österreicher empört zurückweist", heißt es dazu in dem 1990 von Ruth Wodak herausgegebenen Buch "Wir sind alle unschuldige Täter".

Noch immer wissen wir nicht, wieso diejenigen Sozialisten, die noch 1965 gegen den Antisemiten Taras von Borodajkewycz demonstrierten, ein paar Jahre später nichts gegen die Diffamierung von Simon Wiesenthal sagten oder sogar in den Chor der Verleumder einstimmten. Damit der Antisemitismus endgültig aus der österreichischen Politik verschwindet, wäre es deswegen notwendig, wenn spö und övp ihr diesbezügliches Verhalten nach 1945 kritisch durchleuchten würden.

Simon Wiesenthal jedoch wird in die österreichische Geschichte als unerschrockener Aufdecker von ns-Verbrechern eingehen, der dazu beigetragen hat, dass heute den meisten Österreichern bewusst ist, dass Österreich zwar als Staat Opfer des ns-Regimes war, aber nur eine Minderheit sich als Widerstandskämpfer betätigte.

Nicht zuletzt als Folge von Wiesenthals Einsatz wurde Licht auf Täter, Mitläufer und Nutznießer geworfen und Österreich stellte sich Ende des 20. Jahrhunderts dieser dunklen Seite seiner Vergangenheit. Ironie der Geschichte bleibt, dass Simon Wiesenthal - den man in Österreich jahrzehntelang als "Nazijäger" und als einen Mann, der "parapolizeiliche Tätigkeit" ausübt, diffamierte - zuerst die höchsten Auszeichnungen anderer Staaten erhielt und erst in letzter Zeit, kurz vor seinem Tod, von der Zweiten Republik geehrt wurde.

Der Autor, freier Journalist, war von 1982 bis 1995 Redakteur des offiziellen Organs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.

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