Die NS-Logistik auf der Anklagebank

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Der Eichmann-Prozess in Jerusalem löste eine Reihe von politischen und juristischen Kontroversen aus. Eine internationale Tagung in Wien hat sich damit beschäftigt.

Am 11. April 1961 war es soweit. Unter weltweitem medialen Interesse wurde in Jerusalem der Prozess gegen den ehemaligen "SS-Obersturmbannführer“ Adolf Eichmann eröffnet. Eichmann war im Berliner Reichssicherheitshauptamt Leiter des zuständigen Referats für die Vertreibung und Deportation der Juden gewesen und damit zentral mitverantwortlich für die Ermordung von etwa sechs Millionen Menschen.

Nach Kriegsende konnte Eichmann mithilfe des Vatikans über die als "Rattenlinie“ bekannte Fluchtroute nach Argentinien gelangen. Unter dem Namen "Ricardo Klement“ lebte er samt Familie unbehelligt in der Nähe von Buenos Aires. Doch 1957 erhielt der hessische Staatsanwalt Fritz Bauer aus Argentinien den Hinweis eines jüdischen Emigranten darüber, wo sich Eichmann aufhält, und meldete dies den israelischen Behörden. Am 11. Mai 1960 wurde Eichmann vom israelischen Geheimdienst "Mossad“ nach Israel entführt. Die Aufspürung Eichmanns geht aber vor allem auf die Recherche von vier jüdischen NS-Verfolgten - unter ihnen auch Simon Wiesenthal - zurück.

Nur ein "Befehlsempfänger“

Die Anklage gegen Eichmann konzentrierte sich mit der Deportation der Juden auf die Morde in den Lagern. Insgesamt 111 Holocaust-Überlebende erschienen als Zeugen vor Gericht. Eine zweite Zeugengruppe bildeten Polizeibeamte, Richter und Militärangehörige, die zu Beobachtern des Holocausts geworden waren. Eine dritte Zeugengruppe - einstige NS-Funktionäre - erschienen aus guten Gründen nicht in Jerusalem.

Eichmanns Verteidigungsstrategie wurde von vielen NS-Tätern vor und nach ihm bemüht: Er sei ein reiner Befehlsempfänger gewesen, der unter Gewissensqualen seine Dienstpflicht erfüllt habe. Im menschlichen Sinne fühle er sich schuldig, doch juristisch betrachtet habe er nur seine Pflicht getan. Auch die politische Theoretikerin Hannah Arendt beschrieb den oft als "Inkarnation des Bösen“ bezeichneten Eichmann in ihrer kontroversen Theorie von der "Banalität des Bösen“ als geistlosen, mittelmäßigen Befehlsbefolger - ja gar als "gesetzestreuen Bürger“. Eichmann wurde jedoch in fast allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Er habe, so der Richterspruch, aus "innerer Überzeu-gung gehandelt und beharrlich an der "Endlösung“ gearbeitet. Im Juni 1962 wurde Eichmann gehängt.

Auch in Österreich stieß die Causa Eichmann auf Resonanz. Hektisch suchte man im Innenministerium nach Belegen, dass Eichmann kein österreichischer Staatsbürger gewesen sei. Der Prozess in Jerusalem brachte laufend Beweise für Verbrechen von Österreichern: So berichtete Eichmann in den Einvernahmen über seine Zusammenarbeit mit Hermann Höfle. Dieser leitete als "Judenreferent“ die Massenmorde im Zuge der "Aktion Reinhard“. Aufgrund belastender Materialien der israelischen Behörden wurde Höfle 1961 in Salzburg verhaftet. Er erhängte sich kurz vor Beginn seines Prozesses in der Gefängniszelle. Somit war "der kleine Eichmann-Prozess“ in Österreich gescheitert.

Bereits 1946 war der österreichi-sche Eichmann-Mitarbeiter Anton Brunner als Verantwortlicher für die Deportation von rund 48.000 Österreichern zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Damit war einer der Hauptzeugen für die Delikte der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien beseitigt. Viele seiner Mittäter wurden nie ausgeforscht.

Amnestien für "Ehemalige“

Insgesamt gab es im ersten Nachkriegsjahrzehnt Verfahren gegen rund 136.800 mutmaßliche NS-Täter. Davon wurden nur etwa 28.100 Personen angeklagt, rund 13.600 Menschen für schuldig gesprochen, 43 Todesurteile gefällt und 30 tatsächlich vollstreckt.

In der österreichischen Eigenwahrnehmung stellte die Abrechnung mit den NS-Tätern eine "Siegerjustiz“ der Alliierten dar. So drängten Politiker ab 1948 auf die Abschaffung der gerichtlichen Ahndung von NS-Verbrechen. Zirka eine halbe Million "Ehemalige“ erhielten im Zuge von Amnestien ihr Wahlrecht zurück. Nach Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 wurden zahlreiche Gerichtsverfahren eingestellt. Mit einer NS-Generalamnestie im März 1957 waren die ehemaligen Nazis endgültig rehabilitiert. Das Kriegsverbrechergesetz wurde zur Gänze, das Verbotsgesetz mit Ausnahme des Verbots der NS-Wiederbetätigung abgeschafft.

1965 setzten sich Simon Wiesenthal und das Internationale Auschwitz-Komitee für die Aufhebung der Verjährung von NS-Straftaten ein. Wiesenthal war mit der Ergreifung Eichmanns bekannt geworden und konnte sein Dokumentationszentrum in Wien aufbauen. Möglich war aber nur mehr eine Anklage von "unmittelbar Beteiligten“ an NS-Morden.

Problematik "Schreibtischtäter“

Zwei Prozesse wegen Deportationsverbrechen zeigen, wie schwierig es wurde, Schreibtischtäter anzuklagen: Für die Verurteilung von Franz Novak, Eichmanns "Transportfachmann“, zu sieben Jahren Haft brauchte es bis 1972 vier Prozesse. Ein weiterer Prozess gegen den Grazer Erich Rajakowitsch, der in Berlin und Den Haag Judendeportationen organisiert hatte, endete 1965 mit der Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft.

NS-Verfolgte wie Hermann Langbein und Simon Wiesenthal machten Gerichtsverfahren erst möglich. Sie beschafften nicht nur Zeugen und Beweismaterial, sondern machten das Thema publik. Vor allem im Ausland wurden die skandalösen Freisprüche negativ kommentiert. Der bekannteste Fall ist der Freispruch von Franz Murer 1963 in Graz. Murer hatte den Massenmord an 60.000 Juden verantwortet. Die unerhörten Umstände des Prozesses - ÖVP-Protektion, Verhöhnung der jüdischen Überlebenden durch Murers Söhne sowie ein triumphal gefeierter Freispruch - erregten erstmals sichtbaren Widerspruch in der österreichischen Öffentlichkeit. Der letzte Prozess wegen NS-Verbrechen endete hierzulande im Jahr 1975 mit einem Freispruch. Die Nachkommen der NS-Opfer und -Täter aber haben mit ihrer Familiengeschichte - sofern überhaupt bekannt - noch immer eine schwere Last zu tragen.

Die wissenschaftliche Grundlage für diesen Artikel lieferten die HistorikerInnen Lisa Hauff, Sabine Loitfellner, Hans Safrian und Katharina Stengel.

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