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Uber Eichmann zu uns

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Es mag ein zufälliges Zusammentreffen sein, daß in diesen Wochen vor Weihnachten 1961 das vielleicht schwerste Problem Nachkriegsdeutschlands, die Frage nach Schuld und Sühne der nationalsozialistischen Verbrechen. gleich von zwei Seiten auf die Bürger der Bundesrepublik zukommt. Anfang Dezember berichtete die zur Zentralermittlungsstelle für nationalsozialistische Verbrechen der Länder Zugeteilte Staatsanwältin Frau Dr. Barbara Just-Dahl- mann auf einer Tagung der evangelischen Akademie Loccum von den Erfahrungen dieser Stelle. Am 15. Dezember wurde der ehemalige SS-Führer Adolf Eichmann vom Bezirksgericht in Jerusalem zum Tode verurteilt. Alle zwei Ereignisse stoßen, fern von jeder simplifizierenden und damit verfälschenden und ungerechten Vereinfachung, zu dem Kernproblem vor: zum Menschen, der sich ohne zwingenden Grund zum Massenmörder machen ließ. Die Gerichtsverhandlung in Jerusalem ließ Zwar die Ermordung von sechs Millionen Juden aktenkundig werden. Der Mann aber, der sich hinter seinem Glaskasten um korrektes Auftreten bemühte, blieb rätselhaft. Ehe er vom jüdischen Geheimdienst auf gespürt wurde, war sein Name den meisten unbekannt. Heute ist er das Symbol der nationalsozialistischen Menschenvernichtungsmethode, aber wie es um den Menschen Eichmann steht, das wissen wir so wenig wie zuvor. Er war von dem Urteil betroffen. Was allerdings noch viel rätselhafter erscheint, ist seine Befriedigung darüber, daß das Gericht den Vorwurf fallen ließ, er habe eigenhändig einen jüdischen Knaben ermordet, der in seinem Garten Obst gestohlen hatte. Wenn überhaupt, dann wäre dieser Mord noch am ehesten erklärlich gewesen, denn dieser unglückliche Bub hatte ihm immerhin etwas angetan. Aber nein, Adolf Eichmann, der sechs Millionen Juden in den Tod schickte, ist stolz darauf, nicht gemordet zu haben! Von Reue kem Wort. Ein nicht minder erschreckendes Beispiel wußte Frau Just-Dählmann zu berichten. Da war ein angesehener Düsseldorfer Hotelier als KZ-Lager- leiter entlarvt worden. Er hatte durch scharf dressierte Hunde Lagerinsassen zu Tode gequält. In seinem Besitz fand sich ein Photoalbum aus dieser Zeit mit der Überschrift „Die schönsten Jahre meines Lebens". Das ist kein Einzelfall. Frau Just-Dahlmann berichtete von Sekretärinnen, die beim Abtippen der nüchtern vorgebrachten Geständnisse zusammenbrechen, während die Schuldigen kalt und unberührt bleiben.

Gnadenfrist der Reue

Wer sie stehen sieht, diese Schteib- tischmörder, KZ-Schergen und Hen-

ker, mit angegrautem Haar, dem Auftreten seriöser Herren, nicht selten, ja wie Frau Just-Dahlmann berichtete, mit erschreckender Häufigkeit Akademiker, nicht zuletzt Juristen, die sich bemühen, ihre Untaten zu erklären, von Tränen des Selbstmitleids geschüttelt, aber ohne eine Regung der Reue, dem wird auf einmal als Christ mit beklemmendem Schrecken klar, daß es hier nicht um die Strafe als Sühne geht, sondern um etwas ganz anderes. Keinem von ihnen, wie Eichmann und seinen vielen Helfershelfern, wurde die Gnade der Reue zuteil. Sie wurden auch nicht menschliche Raubtiere. Die von Edgar Wallace so strapazierte Wahrheit, daß Mörder ft nicht aufhören können, Menschen zu töten, hat sich hier als falsch erwiesen. Keiner von ihnen ist in diesem Sinn später wieder straffällig geworden. Sie kehrten in ein bürgerliches Leben zurück, als wäre dieser Ausflug ins Morden ein Dienst wie jeder andere gewesen. Hier wird auf einmal begreiflich, was der tiefste Sinn des Strafens vom Christlichen her ist: daß Strafen nicht der Willkür des Menschen überlassen bleiben kann, sondern daß es eine wirkliche Pflicht, man könnte fast sagen, der Nächstenliebe, zur Strafe gibt. Kein Eichmann und kein KZ-Scherge kann seine Untaten auf dieser Welt sühnen. Frau Just-Dahlmann sprach von neun Minuten Haft, die es durchschnittlich für einen Ermordeten gebe. Aber allen ist mit ihrer Strafe die Möglichkeit zur Reue gegeben, die sie, wie unzählige Beispiele beweisen, im Wohlstand nicht zu fühlen vermochten. Das Unvermögen, Vergeltung und Sühne zu üben, ist nie so klar geworden wie hier, wo es so offensichtlich im höheren Sinn um den Dienst am gefallenen Menschen geht.

In jüngeren Händen

Es sei aber an dieser Stelle und am Ende eines Jahres, das für Deutschland irgendwie im Zeichen des Prozesses gegen Eichmann, den Funktionär des Massenmordes, stand, auf die befreiende Wirkung hingewiesen, die von diesem endlich in Gang gekommenen Prozeß der Selbstreinigung ausgeht. Westdeutschland und insbesondere seine immer mehr an die Regierung drängende jüngere Generation kann sich nur dann wirklich mit dem Westen identifizieren, nur dann ihr Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem Osten behalten, wenn sie weiß, daß sich in ihren Reihen keine Mörder mehr be-

finden und keine Mörder mehr geschont werden. Nur aus der Erkenntnis, daß der Rechtsstaat nicht von der Vergangenheit her in Frage gestellt werden darf, kann Westdeutschland seinen Standpunkt in den Stürmen der kommenden Jahre gewinnen. Bei der Schwierigkeit der Materie ist es durchaus möglich, daß es dem einen oder anderen gelingt, durch die Maschen des Gesetzes zu schlüpfen. Darauf kommt es jedoch nicht an. Wesentlich ist allein das Bemühen, alle Schuldigen ohne Ansehen der Person einer Bestrafung zuzuführen. Kollektive Urteile sind ja nur dadurch aufzulösen, daß man die Einzelfälle angeht. Hier sind in den letzten Jahren nach vielen furchtbaren Versäumnissen und insbesondere 1961 beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Daß, wie Frau Just-Dahlmann ausführte, die Voraussetzung dazu, das Übertragen dieser Aufgabe in jüngere, nicht belastete Hände war, bestätigt den in vielen Gerichtsverfahren aufgetauchten Verdacht, daß die Älteren nicht selten aus eigenem Schuldbewußtsein heraus nicht darangingen, diese Fälle zu klären und angemessene Strafen auszusprechen.

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