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Wannseekonferenz: Cognac für Heydrichs Mordkomplizen

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Der 20. Jänner 1942, der Tag der Wannsee-Konferenz, war ein schwarzer Tag der Menschheitsgeschichte. An diesem Tag ließen sich Spitzenbeamte mehrerer deutscher Ministerien zu Mitwissern und Schreibtischtätern des Massenmordes an den Juden machen, ohne Einwände zu erheben.

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Der 20. Jänner 1942, der Tag der Wannsee-Konferenz, war ein schwarzer Tag der Menschheitsgeschichte. An diesem Tag ließen sich Spitzenbeamte mehrerer deutscher Ministerien zu Mitwissern und Schreibtischtätern des Massenmordes an den Juden machen, ohne Einwände zu erheben.

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Auschwitz, Majdanek, Birkenau und Treblinka und wie sie alle hießen, zu leugnen, die Gaskammern und ihre Millionen Opfer zu leugnen, ist etwa so intelligent wie die Behauptung, in Europa sei nie eine Hexe verbrannt worden oder der Sklavenhandel sei ein Phantasieprodukt der Afrikaner. Aber so lange es Menschen gibt, die nicht wahrhaben wollen, daß sie oder die eigenen Vorfahren Wahnsinnigen und Massenmördern auf den Leim gingen, wird es auch Menschen geben, die gern hören, es habe keine Gaskammern gegeben.

Die Leute, die dies gern hören oder die es jedenfalls nicht stört, es zu hören, sind leider nicht nur die Marktnische der sich mehr oder weniger offen deklarierenden Alt- und Neonazis. Es sind ihrer offenbar viel mehr. Wäre es anders, könnte es sich ein Jörg Haider kaum leisten, bei der Suche nach einem wichtigen persönlichen Mitarbeiter ausgerechnet im Umkreis der Spezialisten für das Wegdisputieren der „Endlösung" fündig zu werden. Dies sagt vielleicht mehr über das Denken und Fühlen des Führers einer Partei, die immer mehr österreichische Wähler für sich gewinnt, als der sattsam bekannte Ausspruch über Hitlers „vorbildliche Beschäftigungspolitik".

Immerhin sitzt ein Mann, der den Verdacht, ein Neonazi zu sein, von sich weist, weil er als Nazi ohne Neo ernst genommen werden will, neuerdings sogar in österreichischer Untersuchungshaft. Gottfried Küssel, der sich von einem ausländischen TV-Team in der Pose eines Wehrsportführers filmen ließ, ist ja auch für das Denken der Österreicher ganz gewiß nicht typisch.

Hingegen könnte es schwer fallen, uns von dem Verdacht reinzuwaschen, daß die Langenloiser Gendarmen, die sich weigerten, von den TV-Leuten eine Anzeige wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung gegen Küssel entgegenzunehmen, sehr wohl das angebliche Denken und zweifelhafte Fühlen vieler repräsentieren.

Unsäglicher Seelenfilz

Lauter Gründe dafür, daß der 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz mehr ist als einTag des Gedenkens an Millionen Opfer. Nämlich Anlaß, vor dem unsäglichen Seelenfilz aus Inhumanität und Indifferenz gegenüber Inhumanität zu warnen.

Der Massenmord „im Osten" war an jenem 20. Jänner 1942 längst Realität. Aber noch war er nicht perfektioniert. Noch bediente man sich der Gaswagen, in denen kleinweise getötet wurde. Und noch konnten die Spitzen der zivilen Verwaltung, wenigstens daheim „im Reich", wegschauen oder sich an die Lebenslüge klammem, „diese unschönen Dinge", diese „Auswüchse", seien Privatsache der SS und der Einsatzgruppen. Aber wollten sie denn „sauber bleiben", wie das damals so schön hieß?

Reinhard Heydrich nahm ihnen am Vormittag des 20. Jänner 1942 im schön gelegenen Schloß Am Großen Wannsee 56/58 die Scheuklappen von den Augen, sagte ihnen die Wahrheit und band sie ins Verbrechen ein.

Er rechnete mit Widerstand. Aber die Herren erwiesen sich als erstaunlich kooperativ.

Das Protokoll der Wannsee-Konferenz kann jeder nachlesen. Es ist Teil der Akten des Nürnberger Prozesses [Anmerkung: Diese Aussage ist unrichtig, das Protokoll wurde erst nach dem Nürnberger Prozess gefunden. Der Autor bedauert den Fehler.] Wer denen nicht vertraut, obwohl er nicht nur fair, sondern auch öffentlich geführt wurde, kann sich an Adolf Eichmann selbst halten. Er hatte die Wannsee-Konferenz vorbereitet und das Protokoll geführt. Eines der wichtigsten Statements dazu gab er in seinem Jerusalemer Prozeß als Zeuge in eigener Sache auf eine Frage seines Verteidigers Dr. Robert Servatius ab. (Servatius hatte in Nürnberg Fritz Sauckel verteidigt.)

Servatius: „Gibt das Protokoll den Inhalt der Besprechung richtig wieder?"

Eichmann: „Das Protokoll gibt die wichtigsten Punkte sachlich, korrekt wieder, nur natürlich ist es kein wortgetreues Protokoll, weil die, sagen wir mal, gewisse Auswüchse, gewisser Jargon der vorgebracht wurde, in dienstliche Worte von mir zu kleiden waren und dieses Protokoll ist, glaube ich, drei oder gar vier mal von Heydrich korrigiert worden, auf dem Dienstweg über Müller zurückgekommen. Es wurde seinen Wünschen entsprechend dann umgearbeitet, bis schließlich dieses hier vorliegende Protokoll entstand."

„Gesetzesonkel"

Servatius läßt Eichmann die Stimmung der Teilnehmer beschreiben. Eichmann: „Hier war nicht nur eine freudige Zustimmung allseits festzustellen, sondern darüber hinaus ein gänzlich Unerwartetes, ich möchte sagen, sie Übertreffendes und Überbietendes im Hinblick auf die Forderung zur Endlösung der Judenfrage. Und die größte Überraschung wohl war, so habe ich es noch in Erinnerung, Bühler, aber vor allen Dingen Stuckart (Staatssekretär im Innenministerium, Anm. d. Red.), der stets Vorsichtige, der stets Zaudernde, der hier plötzlich mit einem ungewohnten Elan sich offenbarte."

Servatius: „Herr Zeuge, Sie hatten selbst vor dieser Konferenz schon im Osten etwas von der Vorbereitung der Vernichtungsmaßnahmen gesehen. Stimmt das?" Eichmann: „Jawohl." Servatius: „Wußten die Teilnehmer an der Konferenz ebenfalls schon etwas über diese Art der Endlösung?"

Eichmann: „Ich muß das als bekannt voraussetzen, deshalb, weil der Krieg gegen Rußland um jene Zeit der Wannsee-Konferenz doch schon ein halbes Jahr lang dauerte und, wie wir selbst hier aus den Dokumenten gesehen haben, die Einsatzgruppen in diesen Gebieten walteten. Und die zentralen Schlüsselfiguren der Reichsregierung haben von diesen Tatsachen selbstverständlich Kenntnis gehabt."

Eichmann konnte die „Endlösung der Judenfrage" nicht leugnen, also war ihm daran gelegen, sich selbst als die subalterne Figur unter den Mördern darzustellen, die er ja tatsächlich war. Er erzählt, wie „die Herren... beisammen gesessen sind und da haben sie eben in sehr unverblümten Worten - nicht in den Worten, wie ich sie dann ins Protokoll geben mußte, sondern in sehr unverblümten Worten die Sache genannt - ohne sie zu kleiden. Ich könnte mich dessen auch bestimmt nicht mehr erinnern, wenn ich nicht wüßte, daß ich mir damals gesagt habe: schau, schau der Stuckart, den man immer als einen sehr genauen und sehr heiklen Gesetzesonkel betrachtete und da hier wars eben der Ton und die ganzen Formulierungen waren hier sehr unparagraphenmäßig gewesen..."

„Angenagelte" Staatssekretäre

Eichmann wörtlich: „Es wurde von Töten und Eliminieren und Vernichten gesprochen" und „die Ordonnanzen überreichten die ganze Zeit Cognac oder andere Getränke und es ist nicht, daß etwa eine alkohol ische Wirkung zustandegekommen wäre - ich will damit nur sagen, es war eine offizielle Angelegenheit - aber doch wieder keine chefoffizielle Angelegenheit, wo jeder ruhig war und jeder jeden ruhig aussprechen ließ, sondern wo am Ende alles durcheinandergesprochen wurde."

Aber nicht empört, sondern animiert. Heydrich, der, so Eichmann, „sicherlich auf dieser Konferenz die größten Schwierigkeiten erwartet" hatte, zeigte sich aufgelockert und zufrieden. Kein Wunder. Er hatte zwei Ziele erreicht. Einerseits, „hier auf höchster Ebene gewissermaßen sein Wollen und das Wollen des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei durchzudrücken" - zugleich konnte er nun „das Wesentliche... in das Protokoll verankert wissen, weil er die Staatssekretäre .annageln' wollte und im Protokoll verhaften wollte. Wie soll ich das nennen, gerade um Hitler, das Wesentliche ist im Protokoll drin und das Unwesentliche das hat er ausgelassen, weil er sich hier gewissermaßen die - wie soll ich das sagen - eine Art Rückversicherung geschaffen hat, indem er die Staatssekretäre einzeln festgenagelt hat."

So Adolf Eichmann in öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit seines Verteidigers Robert Servatius. Wer 50 Jahre nach der Wannsee-Konferenz die „Endlösung" leugnet, kann sich keinesfalls auf eine ernstzunehmende Überzeugung berufen.

Der Autor (lange Zeit Theaterkritiker, Ressortleiter und Autor politischer Kommentare der FURCHE) schrieb mehrere Bücher zum Thema, darunter das Standardwerk „Nationalsozialisten vor dem Volksgericht Wien. Österreichs Ringen um Gerechtigkeit 1945–1955 in der öffentlichen Wahrnehmung“ (Innsbruck 2016). Er erhielt 2016 den Preis der Stadt Wien für Publizistik.

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