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Ein Meilenstein zum Massenmord

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Das geht eben sehr ruhig, sehr freundlich, sehr höflich und sehr artig zu ... es dauerte auch nicht lange. Da wird ein Cognac gereicht durch die Ordonnanzen und dann ist die Sache vorbei." So charakterisierte Adolf Eichmann die Wannsee-Konferenz vom 20. Jänner 1942 - vor 40 Jahren —, bei der er das Protokoll geführt hatte.

Eingeladen hatte der Chef der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich in eine Villa am Wannsee außerhalb Berlins, und erschienen waren 13 höhere Beamte aus verschiedenen Ministerien sowie SS-Angehörige.

Worum es bei dieser Konferenz ging: die „Endlösung der europäischen Judenfrage" (siehe Stichwort S. 2) mit „allen an diesen Fragen unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen im Hinblick auf die Parallelisierung der Linienführung" gemeinsam zu behandeln (Wannsee-Protokoll), sprich: den Massenmord in die Wege zu leiten!

In ähnlichen markigen, lakonischen Worten ist der gesamte Protokolltext gehalten. Dazu kommen bürokratischer Euphemismus und statistische Fehler. Das „blutlose Vokabular" verstellt dabei den Blick auf die nachfolgenden Greuel.

Ein Beispiel: In Zusammenhang mit dem „Arbeitseinsatz" von Juden heißt es in dem Protokoll, daß „zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird". „Natürliche Verminderung" — das klang für die Konferenzteilnehmer offensichtlich vornehmer als „zu Tode, schinden".

Das Wannsee-Protokoll ist eines der wenigen erhalten gebliebenen offiziellen Dokumente, das sich mit der „Endlösung" beschäftigt. Und obwohl es unpräzise, verwirrend und voll von scheinbaren Belanglosigkeiten ist, unterstrich Protokollführer Eichmann die Wichtigkeit der Konferenz — sowohl als Meilenstein zum Massenmord des Dritten Reiches wie auch in seiner eigenen Karriere, die ihn zu einem „Orchestra-tor" des Genozids machte.

Vergangene Woche gaben vier Uberlebende von Hitlers Konzentrationslagern (Ella Lingens, Franz Danimann, Hermann Langbein und Josef Meisel) im Wiener Presseclub Concordia Zeugnis von der Realität der „Endlösung".

Herausragend war dabei ein Kurzvortrag Hermann Langbeins, der eindringlich und prägnant den Ablauf der „Endlö-

sung" darstellte und die Geschichtlichkeit desHolocausts gegen die Angriffe und Entstellungen der in letzter Zeit wieder stärker werdende neonazistische Propaganda verteidigte.

Mörderisch war der Nazismus, der auf den Theorien eines Sozialdarwinismus und des Rassismus aufbaute, schon lange bevor die „Endlösung" in Angriff genommen wurde. Langbein wies dabei auf Hitlers Euthanasie-Programm und die blutigen Säuberungen hin.

Und die Ermordung von Juden hatte es auch schon vor der Wannsee-Konferenz gegeben, die ihrerseits als eine Folge von Reichsmarschall Hermann Görings Befehl an Heydrich am 31. Juli 1941 zu sehen ist, einen „Gesamtentwurf ... zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen".

Langbein ließ keinen Zweifel daran, daß Hitler die „Endlösung" angeordnet hatte. So erklärte etwa Eichmann, als er noch in Freiheit im argentinischen Exil lebte, daß der Befehl zur Endlösung vom Führer kam. Und Rudolf Höss, Kommandant von Auschwitz, zitierte SS-Führer Heinrich Himmler ebenfalls in diesem Sinne.

Neonazis und der britische Historiker David Irving machten über die Tatsache viel Aufsehen, daß es nur eine geringe Zahl schriftlicher Beweise dafür gibt, die Hitler mit der „Endlösung" direkt in Zusammenhang bringen. Aber ist es denn überhaupt vorstellbar, daß Himmler ein solch gewaltiges Mord-Unternehmen ohne die Billigung und Ermutigung des Führers initiieren hätte können? Es ist absurd, Hitler in dieser Sache reinwaschen zu wollen!

Letztlich darf es nicht überraschen, daß es an dokumentarischen Beweisen fehlt. Denn Menschenschlächtereien diesen Ausmaßes konnten selbst die Nationalsozialisten schwerlich verantworten, ohne mit der Wimper zu zucken: Auch deshalb haben die Henker auf sprachliche Verschleierungen wie „Endlösung" oder „Liquidierung" zurückgegriffen.

Darüber hinaus hat, wie Hermann Langbein anmerkte, das frühere „offizielle" Euthanasie-Programm den Protest der Kirchen hervorgerufen. Anzunehmen ist deshalb wohl auch, daß Hitlers Schergen die „Endlösung" geheimzuhalten oder zumindest .zu tarnen versuchten, um nicht abermals den direkten Konflikt mit den Kirchen und mit den Gewissen der Reichsdeutschen heraufzubeschwören.

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