6674225-1961_14_06.jpg
Digital In Arbeit

Was ist in Schleswig-Holstein los?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Jahreswende 1960/61 stand unter dem Zeichen einer mehr als 50 Seiten langen Regierungserklärung des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten von Hassel, in der er die Vorfälle in seinem Land — er allein nannte nicht weniger als acht! — zu rechtfertigen versuchte und die durch Tatsachen erhärtete Behauptung einer braunen Patronage als „ungehörige und unverantwortliche Verdächtigung“ erklärte. Das üble Spiel aber krönte am folgenden Tag der schleswig-holsteinische Landtag durch eine Erklärung, durch die er sich einhellig von den Verbrechen des Nationalsozialismus distanzierte. Für manchen mag das eine Erleichterung gewesen sein. Es bleibt aber doch am Anfang des Eichmann-Jahres die beklemmende Tatsache bestehen, daß ein deutscher Ministerpräsident, der einen guten Namen zu verlieren hatte, etwas als unverantwortliche Verdächtigung hinstellte, was in Deutschland nachgerade die Spatzen von den Dächern pfeifen, und daß ein deutscher Landtag 16 Jahre nach dem Ende der NS-Herr-

schaft eine Erklärung herausgibt, die anderswo eine selbstverständliche Voraussetzung jedes anständigen Menschen ist. Denn selbst ein so eingefleischter Nationalsozialist wie Herr Sündermann wagte es nicht, in seinem Buch „Das Dritte Reich“ (1959) diese Untaten zu verteidigen.

Gefährliche Wahlpropaganda

Westdeutschland wird sich im Eichmann-Jahr eine scharfe Beobachtung von außen gefallen lassen müssen, die sich mit gewundenen Erklärungen nicht zufrieden geben wird und in der Ungeschicklichkeiten, falscher nationaler Stolz oder was auch hinter diesen Vorkommnissen stecken mag, viel Unheil anrichten können. Wie soll eine mißtrauisch gewordene Welt sich davon überzeugen, daß sich Westdeutschland wirklich gewandelt hat, daß es wirklich mit diesem Eichmann und dem Geist des Nationalsozialismus nichts mehr gemein hat, wenn gleichzeitig die Regierungspartei in einer Flüsterpropaganda auf ein unter alten Nationalsozialisten weitverbrei tetes Ressentiment anspielt. Die der CDU äußerst nahestehende „Deutsche Zeitung“ hat den Umstand, daß der sozialdemokratische Kanzlerkandidat während der NS-Zeit emigrierte, zur Internationalen Brigade in Spanien gehörte und in norwegischer Uniform nach Deutschland zurückkehrte, zum Gegenstand der Diffamierung gemacht. Mitglieder der Bundesregierung gaben die Parole aus, das Emigrantendasein als solches sei nicht diffamierend, aber das deutsche Volk hätte ein Recht darauf, zu erfahren, was der Emigrant draußen getan hat. Wie, so fragt man mit Unbehagen, wäre es, wenn die Welt, von Entsetzen über Eichmann gepackt, die für viele sehr unangenehme Frage stellen würde, was sie denn in den Jahren, als die Eichmanns wüteten, in Deutschland gemacht haben? Es kann sich bitter rächen, daß Bundeskanzler Adenauer am 14. März in der Bundestagsdebatte vermied, das unbedingt nötig gewordene klärende Wort zu sprechen.

Ein klärendes Wort tut not

Soll die Welt wirklich das Schauspiel erleben, daß in demselben Augenblick, wo in Israel ein Deutscher unter der fürchterlichsten Anklage steht, in seiner Heimat sich die Zugeständnisse an jenen Ungeist häufen, der Eichmann zu seinen Untaten verleitete? Die CDU/CSU hat nicht zwölf Jahre lang die gigantische Leistung des deutschen Wiederaufbaus aus dem Geist des Christentums, der geistigen Freiheit und unter der Parole eines besseren Deutschlands vollbracht, um heute auf NS-Parolen ausgehen zu müssen. Dazu verfügt diese Partei auch über zu viele aufrechte Männer, die sich dem NS-Regime entgegengestellt haben, als daß sie sich heute an die alten NS-Erfolgsanbeter halten muß. Ein klärendes Wort aus ihren Reihen wäre aber dringend nötig, um gerade jenen Kräften in dieser Partei gerecht zu werden, die seit 1945 Westdeutschland in einem neuen Geist gestal ten halfen und deren Arbeit durch diese mehr als ungeschickte Propaganda in Mißkredit gerät. Oder sollte Herr von Hassel, der nicht nur Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, sondern auch Wahlleiter der CDU ist, auch hier die Zeichen der Zeit mißverstehen und das Schleswig- Holsteiner Modell auf das ganze Bundesgebiet übertragen wollen? Die Berufung auf den Geist des Widerstandes, die den Aufstieg Westdeutschlands nach 1945 erst möglich gemacht hat, wird unglaubwürdig, wenn man jetzt glaubt, um ein paar Stimmen willen an den Ungeist der Vergangenheit appellieren zu müssen. Der Eichmann-Prozeß bringt Westdeutschland in ein Rampenlicht, in dem es sich solche Parolen nicht leisten kann. Es ist durchaus möglich, durch geeignete Parolen die Erfolgsanbeter Hitlers zu mobilisieren und mit ihrer Hilfe vielleicht die entscheidenden Stimmen für den Wahlsieg in . der Bundestagswahl vom 17. September zu gewinnen. Nur muß man sich im klaren sein, daß Deutschland dann vor der Welt endgültig verloren hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung