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Die Novaks sind unter uns

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Selbst recht weit rechts stehende Menschen und Zeitungen erschraken, als sich in diesen Tagen herausstellte, daß in unserer schönen Stadt Wien die rechte Hand Adolf Eichmanns, der SS-Hauptsturmführer Franz Novak, dem vielfacher Mord und die Mitschuld an der Ermordung von hundert- tausenden Menschen angelastet wird, bis heute lebte, arbeitete und, wie sjch herausstellt, auch durchaus wirkte. Friedsam fuhr der Mann, der 1944 an der Deportation und Vernichtung von

400.0 Menschen mitwirkte, täglich mit seinem Kleinauto von Langenzers- dorf nach Wien, wo er als Schriftsetzer unter seinem richtigen, rechten Namen arbeitete. Als einer seiner besten Freunde in Langenzersdorf gilt ein FPÖ-Gemeinderat und Lehrer in der Schule von Langenzersdorf.

Es wäre naheliegend und doch, wie wir glauben, recht falsch, von hier aus einfach die FPÖ und etwa nationale Lehrerkreise anzuzielen. Die große Blindheit in Wien, die als eine schwere Wolke über unserem Land liegt und oft von Gästen aus aller Welt, die zu uns kommen, sehr genau bemerkt wird — gerade von Deutschen aus der Bundesrepublik —, hat tiefere und breitere Gründe, in der sie sich einwurzelt. Es wäre, um hier nicht mißverstanden zu werden, ebenso falsch, hier die hunderttausend ehemaligen Nationalsozialisten anzukreiden, die sich nach peniblen Massenregistraturen und Entnazifizierungsprozessen mit Weib und Kind in unsere Nachkriegsgesellschaft eingegliedert haben. Andere Kräfte und Kreise sind hier anzuvisieren. Da ist es zuerst und zuletzt das Schielen führender Männer und Manager in beiden Regierungsparteien nach „nationalem Stimmvieh“, dem man nicht weh tun möchte. Da ist es zum zweiten das Übersehen der

Tatsache, daß die Freiheit und Unabhängigkeit in Österreich und in der ganzen Welt genau so durch den Rechtsextremismus wie durch den Linksextremismus gefährdet sind. Die Vorgänge in Frankreich, Algerien, der Faschismus in Italien und Spanien verleiten hierzulande selbst „gute Katholiken" dazu, den Rechtsextremismus als eine bewältigte Vergangenheit anzusehen, obwohl eben diese laut aus ihren Augen und Hirnen spricht.

Sehr bewußt hat man hierzulande ein politisches Klima geschaffen, das, ungleich den Verhältnissen in der Bun-

desrepublik Deutschland, die Erinnerung an das Wissen, an das, was geschehen ist und was nicht wenige Österreicher mitverschuldet haben am Zusammenbruch Europas, verdrängt. Wer weiß hier etwas, will etwas wissen von der Tatsache, daß unser Wiener Gauleiter Odilo Globocnik für die Gaskammern in Auschwitz und so weiter verantwortlich war? Als wir dies einmal sehr anständigen Menschen hier vorhielten, erwiderten diese: „Um Himmels willen, laf t doch diese alten Geschichten!“ Sie sind aber Gegenwart: die von unseren Behörden geduldet und „übersehen“ wird. Mit Öffentlichkeitsrecht kann in Graz eine Zeitschrift erscheinen, die den Millionenmord der Mörder um Globocnik und Novak als eine Tat des „Bolsche-

wismus“ anprangert, die dieser den Deutschen in die Schuhe schieben wolle. Als kurz vor Weihnachten 1960 neonazistische Jugendführer vor dem Richter standen, wurde so nebenbei bekannt, daß in dieser neuen Jugendbewegung auch ein Lied gesungen wird, das neue, größere Gaskammern für deren Feinde fordert. Die Gerichtsurteile über neonazistische Vergehen in Kärnten und andernorts spielen durch ihre Freisprüche bereits eine ähnliche Rolle wie jene in der Weimarer Republik, die nicht zuletzt an ihren Richtern zugrunde ging.

Ein letztes Mal: wir wollen keine „Hexenjagd“. Aber wir wollen, da wir nicht wieder Narren und Verbrechern zum Opfer fallen möchten, daß statt der vielen, allzu vielen Lippenbekenntnisse unserer öffentlichen Herumsteher zu „Österreich“ endlich ein Klimawechsel in unserem öffentlichen Leben beginnt: Wir fordern eine ehrliche und entschiedene Absage an den Ungeist von gestern, eine Erziehung in der Schule und beim Bundesheer, die— etwa an Hand der nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland in reicher Auswahl erschienenen Werke — unsere Jugend informiert über das, was geschehen ist.

„Die Mörder sind unter uns!“ Dieser Film wurde in den ersten Nachkriegsjahren in Wien aufgeführt. Seither feiern ein böser Dünkel und eine mörderische Überheblichkeit, ein scheinheiliges Sich - die - Augen - Auswischen bei uns Triumphe. Müssen wir uns immer wieder erst von Amerikanern, Engländern, Holländern und nicht zuletzt von Deutschen (und von

10.0 DM, die auf die Erfassung eines Verbrechers ausgesetzt sind) anregen lassen, über unsere wahren Verhältnisse nachzudenken?

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