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Eidimanns Schatten über Bonn

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Die Bundesrepublik Deutschland steht seit Wochen unter einem immer stärker werdenden Alptraum: Anfang April wird in Israel der Prozeß gegen den Leiter der Judenvernichtungsaktion, Eichmann, eröffnet, den die Anklage für verantwortlich an der Tötung einer unvorstellbaren Zahl von Menschen hält, die etwa der Einwohnerzahl der Schweiz entspricht. Eichmann ist ein Deutscher. Daran ist nicht zu rütteln, und er hat im Namen einer deutschen Regierung seine Verbrechen begangen, deren fürchterliches Ausmaß durch diesen Prozeß festgestellt werden soll. Wenn Politiker der Deutschen Bundesrepublik diesem Prozeß mit Beklemmung entgegensehen, dann tun sie das nicht, weil die Bundesrepublik .mjt diesen Untren jn irgendeinem Zusammenhang steht oder damit belastet werden könnte. Das Unbehagen betrifft die Auswirkungen dieses Prozesses auf das Ansehen Deutschlands im Ausland und die bittere Erkenntnis, daß von Westdeutschland kaum etwas geschehen kann, diese zu steuern.

1961: das „Eichmann-Jahr“?

Das Jahr 1961 wird für die Deutsche Bundesrepublik höchstwahrscheinlich das „Eichmann-Jahr“, und es wird viel darauf ankommen, wie Westdeutschland darauf reagiert. Hierbei wird auch die Frage auftauchen, wieweit die BRD mit jenem Geist fertig wurde, aus dem heraus ein Eichmann und viele andere zu Massenmördern wurden. Ereignisse der letzten Monate machen es verständlich, wenn mancher an verantwortlicher Stelle Sitzende dieser Prüfung mit gemischten Gefühlen entgegensieht. Schon die Gewißheit, daß von den etwa 5000 Massenmördern der NS-Zeit erst ein Teil gefaßt und verurteilt ist, erregt Unbehagen. Mitunter kann man sich auch des Gefühls nicht erwehren, als würde der Mord in den Konzentrationslagern und in den Gaskammern von manchen in Westdeutschland als Kavaliersdelikt betrachtet. Nicht nur, daß die Prozesse gegen KZ-Mörder auf Unbehagen stoßen — man solle das doch endlich ruhen lassen —, es ist auch anders kaum zu erklären, daß der im November vergangenen Jahres festgenommene Lagerkommandant des Konzentrationslagers Mauthausen, Bär, mehr als zehn Jahre lang unbehelligt, wenn auch unter falschem Namen, bei seinem Schwiegervater leben oder der ehemalige SS-Sturmbannführer Georg Michaelsen, der an den Judenmorden im Warschauer Ghetto maßgeblich beteiligt war, ebenso lange und ebenso unbehelligt, sogar unter seinem richtigen Namen, seiner Beschäftigung in Hamburg nachgehen konnte, obwohl beide in den FalňfdtingsBGcliéhi 1 dėt' deutschen Polizei standen. Erinnert sei an die unbegreiflichen Urteile deutscher Gerichte zum Beispiel gegen den ehemaligen NS-Justizminister Scher- penberg und andere, und schließlich an den Fall Heyde-Sawade, bei dem am Ende der Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein, Voß, persönlich als Mitwisser entlarvt wurde und die Regierung nur dadurch einer Bloßstellung entging, daß sie Voß am 27. Dezember 1960 innerhalb von 24 Stunden wegen Erkrankung beurlaubte. Heyde, der Leiter der NS-Ak- tion Gnadentod, hatte zehn Jahre lang unter dem Namen Sawade als offizieller medizinischer Gutachter gelebt. Unzählige kannten, wie inzwischen publik wurde, sein Geheimnis. Es mag vielleicht menschlich verständlich sein, aber es ist in unserer Situation unverantwortlich, wenn der evangelische Landesbischof Dr. Wester sich nun vor den Generalstaatsanwalt Voß stellt und öffentlich erklärt: „Wir hoffen, daß Voß am Herzen wieder ganz fröhlich wird, und bitten Gott, daß er vor der Welt offenbare, was rechtens ist!“

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